/ „Ech sinn dee mam Baart“: Oktav-Prediger Guy Diederich über Zölibat, Gläubige und seinen Alltag
Die Haare zum Pferdeschwanz gebunden, ein struppiger Vollbart: Guy Diederich könnte glatt als Mitglied von ZZ-Top durchgehen. Das Tageblatt hat sich mit dem Oktav-Prediger über schwindende Gläubigenzahlen, die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche und sein Leben als Geistlicher unterhalten.
Tageblatt: Wie wurden Sie Oktav-Prediger?
Guy Diederich: Anfang November letzten Jahres gab es eine Diakonen-Feier in der Bonneweger Kirche. Im Vorfeld wurde mir mitgeteilt, dass der Erzbischof mich im Anschluss an die Feier treffen möchte. Es ging dabei aber nicht um eine Versetzung, wie das meist der Fall ist, wenn der Erzbischof um ein Treffen bittet. Ein Jahr zuvor hatte ich eine Predigt gehalten und da schon positives Feedback vom Erzbischof erhalten. Und so hat er mich dann halt gefragt, ob ich mir vorstellen kann, Oktav-Prediger zu werden.
Wie ging es weiter?
Ich wollte zunächst eine Bedenkzeit haben. Ende November habe ich dann zugesagt. Ab da stand fest, dass ich Oktav-Prediger sein werde. Und Hand aufs Herz: Ich hätte es ungern gesehen, wenn es ein anderer gemacht hätte und ich dann später hätte feststellen müssen, dass ich es besser hingekriegt hätte. (lacht) Das diesjährige Motto – „Bleif bei eis“ – konnte ich mir selbst aussuchen. Anschließend fingen die Vorbereitungen an. Insgesamt stehen während der zwei Oktav-Wochen 14 Predigten auf dem Programm.
Aber die Predigten sind stets anders gelagert, oder?
In der Tat, deshalb musste ich eine Art Leitlinie finden. Aus diesem Grund habe ich beschlossen, mich umzuhören. Ich wollte wissen, über welche Themen die Menschen während der Predigten informiert werden wollen. Es gab viel Feedback und eine Menge Diskussionen. Raymond Aendekerk, Direktor von Greenpeace Luxemburg, hat mir beispielsweise ans Herz gelegt, mich dem Thema Ökologie zu widmen. Ich wollte unter keinen Umständen Antworten auf Fragen geben, die keiner stellt. Denn das passiert oft bei uns. Oft geäußert wird eine Sorge, die viele ältere Menschen gegenwärtig haben: dass ihre Kinder und Enkelkinder nicht mehr so religiös sind, wie sie sich das vorstellen. Was ich auch ansprechen möchte, ist, wie man als Erwachsener seinen Glauben im Alltag leben kann. Aber da kann ich keine pauschale Lösung für jedermann anbieten, sondern nur Wegweiser.
In einer Zeit, in der das Thema Trennung von Kirchen und Staat allgegenwärtig ist und die Institution Kirche an Wert und Wertschätzung eingebüßt hat, stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch eine Legitimation gibt – dies auch vor dem Hintergrund, dass die Kirchengänger immer weniger werden. Wie gehen Sie damit um?
Die Trennung von Kirche und Staat ist in der Hinsicht nur eine Nebensache. Die Herangehensweise an den katholischen Glauben und an die katholische Kirche befindet sich in einem tiefen Wandel. Was früher eine „Volleks-Kierch“ war, wandelt sich heute in eine „Kierch am Vollek“. Eine Kirche, die es den Menschen erlaubt, ihren Glauben gut zu leben. Wir sind in dem Sinne keine Autorität mehr und es wird nichts mehr aufgezwungen – und das ist in meinen Augen auch gut so.
Ist es demotivierend, zu sehen, dass immer weniger Menschen Gottesdienste besuchen?
Ich denke, wir sollten einfach wegkommen vom „Zählen“. Entscheidend ist, dass jeder die Möglichkeit hat, zu uns zu kommen. Die religiöse Präsenz sollte gut und authentisch sein – von denen, die es leben. Was die anderen daraus machen, steht ihnen völlig frei. Und ob die Kinder und Enkelkinder zum Glauben finden oder nicht, das werden wir feststellen. Dieser Bruch und diese Erosion gehen schon länger so – das wird auch oft ans Jahr 1968 geknüpft.
Wie gehen Sie eigentlich mit den Missbrauchsskandalen innerhalb der katholischen Kirche um, die in den letzten Jahren mehr und mehr aufgedeckt wurden? Nicht nur in Luxemburg, sondern weltweit.
Das wiegt zweifellos sehr schwer und hat unserem Image äußerst geschadet. Wenn solche Fälle ans Licht kommen, bekommen wir das natürlich sofort vorgehalten. Es sind Fakten. Ich bin enttäuscht darüber, dass solche Dinge passieren, und frage mich stets in diesem Zusammenhang, wie man diesen Missbrauch unterbinden könnte.
Sexualität ist in der Kirche lange Jahre ja auch ein Tabuthema gewesen, oder?
Sexualität betrifft jeden Menschen, es ist etwas völlig Natürliches und etwas Positives – allerdings ist keiner Herr darüber. Man bekommt so eine Art Pulsion, oder wie nennt man das, und ist dann nicht mehr richtig Herr über seine Gefühle. Das Problem ist, dass die Kirche einem seit Jahrhunderten in Sachen Sexualität eigentlich vorschreibt, was man tun soll. Zeitweise hat das geklappt, doch wir haben jetzt festgestellt, dass das nicht der Fall ist.
Warum wird das Zölibat dann nicht einfach abgeschafft?
Das weiß ich nicht.
Wären Sie denn dafür?
Ich bin dafür, dass man uns die Entscheidung überlässt. Dass man als Geistlicher die Wahl hat, mit einem Partner zusammenzuleben, wenn man es denn möchte. Man soll allerdings nicht die Partnerschaft verherrlichen und das Zölibat verdammen, denn beides hat sowohl positive als auch negative Seiten. So hat man in einer Partnerschaft natürlich ein wesentlich ausgewogeneres Sexualleben, aber Kinder und Partner können auch Probleme mit sich bringen. Im Zölibat fehlt diese menschliche Nähe gänzlich – und auch das „normale“ Ausleben der Sexualität.
Hatten Sie, bevor Sie Geistlicher wurden, schon einmal eine Partnerschaft?
Ich hatte wohl Freundinnen, aber es blieb immer nur bei einem Neujahrs-Kuss. Das größte Problem als Geistlicher ist nicht, dass man seine Sexualität nicht ausleben kann – das weiß man immerhin schon, wenn man sich für diese Richtung entscheidet. Was für mich schwierig war, war die Tatsache, dass ich mich nicht fortpflanzen darf. Ich hatte irgendwann das Gefühl, ein dünner Ast zu sein, der irgendwann abfällt. Schon Abraham beschwerte sich in der Bibel darüber. So meinte er: „je meurs sans enfants“. Das setzte mir arg zu – besonders im jungen Alter, wenn ich Kinder taufen musste und die Freude der jungen Eltern sah. Das waren schon Situationen, in denen ich mir gesagt habe: Da habe ich etwas aufgegeben, um etwas anders zu leben. Mein Priestertum hat diesen Wert eingenommen. Da muss man dann schon voll und ganz hinter seiner Entscheidung stehen. Viele stellen sich diesbezüglich Fragen – und einige treten dann aus.
Wie gehen Sie mit dieser „Einsamkeit“ um?
Ich bin kein Mensch, der in Einsamkeit lebt. Manche leben ihren Zölibat allein. Ich hatte und habe ja immer Menschen um mich. So hatte ich nun ein paar Jahre lang eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien zu Gast bei mir zu Hause. Ich bin nicht gern allein.
Dieser Bart ist sozusagen Ihr Markenzeichen, oder?
Diesen Bart habe ich bereits, seit ich 19 Jahre alt bin. Damals ist ein guter Freund von mir gestorben und ich habe daraufhin beschlossen, mir einen Bart wachsen zu lassen, damit ich ihn nicht vergesse. Heute ist es aber eher so, dass ich „dee si mam Baart“. Ich kann mir mein Aussehen ohne Bart gar nicht mehr vorstellen. Er ist ein Teil von mir – und ich glaube, dass ich als Kind schon den Wunsch gehegt habe, später mal einen Bart zu tragen.
Wie sieht Ihr Alltag aus?
Der Wecker klingelt um 6.20 Uhr. Jeden Morgen hole ich meine Haushälterin ab, die mit ihrem Ehemann ein paar Ortschaften von Mensdorf – dort, wo ich lebe – entfernt wohnt. Das mit dem öffentlichen Transport klappt da gar nicht. Nach dem Frühstück füttern wir gemeinsam die Hühner, Kaninchen, Enten und Ziegen. Ich habe einen kleinen Bauernbetrieb und immer noch diesen Hang zur Natur. Danach widme ich mich ganz den Menschen. Der Ablauf ist da nicht vorgegeben. Ich mache Hausbesuche, dränge mich aber nirgends auf. Wichtig ist für mich diese Nähe zu den Mitmenschen. Es stehen Gottesdienste auf dem Programm, die vorbereitet werden. Auch wenn nur noch 15 bis 20 Gläubige die Messe wochentags besuchen. Mittwoch sollte ein freier Tag sein – theoretisch. Es stehen aber Gespräche im Rahmen von Taufen und Todesfälle an. Bei den Trauergesprächen lote ich stets aus, was an Persönlichem einfließen soll oder darf. Das Persönliche kommt in der Regel gut an.
Abschließende Frage: Machen Sie Urlaub nach der Oktav?
Ich mache nie Urlaub, werde mich aber nach der Oktav erst mal ein oder zwei Tage ausruhen. Dann liege ich da „les quatre fers en l’air“. (lacht) Ich verreise nicht gern. Nur einmal im Jahr gönne ich mir eine kleine Auszeit im Karmelitinnen-Kloster in Mazille in der Nähe von Mâcon. Diese Auszeit ist von den Tagen immer so organisiert, dass keiner mich bei den Gottesdiensten ersetzen muss. Denn es ist kein Ersatz mehr da.
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Beim Aperitif Sonntags seh ich die Gläubigen bei uns auch immer in die Kirche marschieren.
Alle beide.
Na, sein Frisör sitzt wohl im Gefängnis? ????