Tourismus / Ehemaliger „Leekëppert“ René Risch: „Das war mein Zuhause hier“
René Risch (83) hat den größten Teil seines Berufslebens ein Produkt hergestellt, das heute kaum noch bezahlbar ist. Fast 30 Jahre lang spaltet er Schiefer und schneidet ihn anschließend als Dachziegel zurecht. Auf historischen Schlössern, Herrenhäusern oder Kirchen im Land zeugen sie noch heute von der Schieferindustrie in Martelingen. Bei seinen Vorführungen tauchen Besucher in diese Zeiten ein.
Noch immer gerät der ansonsten ruhig und bedächtig agierende ehemalige „Leekëppert“ in Rage, wenn er davon erzählt, dass ehemalige Kollegen die Dächer ihrer Häuser mit Blech oder gar Eternit ausgelegt haben. Auf René Rischs Dach liegen selbstverständlich Ziegel aus Schiefer. Immerhin hat er den Baustoff fast 30 Jahre lang zugeschnitten. Das Gestein, das typisch fürs Ösling und die Ardennen ist, ist ein Teil seines Lebens.
Wenn René Risch zwischen den Kindern steht und ihnen die Schieferverarbeitung erklärt, verschmilzt er mit der Umgebung. Sie ist ihm vertraut, er scheint dort hinzugehören. „Das war mein Zuhause hier“, sagt er und bestätigt den Eindruck. So sicher, wie jeder seiner Griffe wirkt, ist es undenkbar, dass er je etwas anderes gemacht hat, als dem grau-schwarzen Material seine Form abzutrotzen.
Als junger Mann fängt er in Martelingen an
Einmal jedoch versucht er woanders, sein Geld zu verdienen. Ein paar Jahre arbeitet er bei Goodyear in Colmar-Berg. Der Lohn war damals besser, aber er verträgt das Gummi nicht und bekommt Allergien. Es wird sein einziger beruflicher Abstecher. Er geht wieder zurück nach Martelingen und bleibt für den Rest seines Berufslebens. Rischs Familie stammt aus Differdingen und sein Vater bildet Steiger in der Schiefergrube aus.
Er bringt den 14-jährigen Sohn 1954 in der Schieferindustrie unter. Es ist die Zeit, als Auguste Rother das Sagen in dem Werk hat. Die Unternehmerfamilie Rother aus Frankfurt am Main ist seit 1890 Besitzer des Schieferabbaus und kauft im gleichen Jahr das gesamte Dorf „Haut-Martelange“ auf, um ihre Arbeiter unterzubringen. Um 1900 arbeiten rund 600 Arbeiter in der Schieferproduktion.
Es ist die Blütezeit der „Obermosel Dachschiefer- und Plattenwerke Obermartelingen“. In einem dieser Arbeiterhäuser wohnt René Risch jahrelang, bis er sich 1975 sein eigenes auf der belgischen Seite leisten kann. Noch heute hat er die verschiedenen Maße der Schieferziegel, die um ihn herum zu Ausstellungszwecken liegen, im Kopf, genauso wie die einzelnen Arbeitsgänge.
Dachziegel-Herstellung im Akkord
„Der Schiefer muss nass sein, wenn er gespalten und geschnitten wird“, erklärt er gerade einer Feriengruppe von Acht- bis Elfjährigen. Seine Vorführungen sind gut gebucht. Rund 67 hat er allein zwischen Januar und Juni dieses Jahres gemacht. Wenn er erzählt, dass die Verantwortlichen ihm immer wieder sagen, er werde gebraucht, huscht ein leichtes Lächeln über sein Gesicht.
Heute kann er sein Tempo selbst bestimmen, früher war es Akkord. Das brachte mehr Geld, die Arbeiter werden zu der Zeit nach Stückzahlen bezahlt. Bis zu 800 Ziegel hat er damals pro Tag geschnitten. Auguste Rother stirbt 1962 und ein Jahr später verlassen Vater und Sohn die Arbeit in Martelingen. Der Senior wechselt zu einem Unternehmer in den Straßenbau, der Junior heuert bei Goodyear an.
1968 kommt René wieder zurück und bleibt bis zur Schließung der luxemburgischen Seite der Produktion Mitte der Achtziger Jahre. In diesen Jahren kamen manchmal noch drei Lkws aus Frankfurt, um Fensterbänke, Treppenstufen oder Dachziegel abzuholen. Aufhalten konnte das den Niedergang der Schieferproduktion nicht. Zu stark war der Druck ausländischer Konkurrenz und anderer Materialien. „Das war ein trauriger Tag“, sagt Risch über das Aus am 4. Oktober 1986.
Sein ehemaliger Arbeitsplatz wird ein Museum
Es ist das Ende der 200-jährigen Geschichte der Schieferindustrie in diesem Gebiet. Ein Jahr zuvor stirbt die letzte Rother, Christiane, die Tochter von Auguste Rother. Zu dem Zeitpunkt arbeiten nur noch rund zwei Dutzend Arbeiter in dem Betrieb, erinnert sich Risch. Auf der belgischen Seite des geteilten Dorfes geht die Schieferproduktion noch ein paar Jahre weiter und Risch findet dort wieder Arbeit. 1996 geht er schließlich in Rente. Da ist er 56 Jahre alt.
Als er hört, dass sein ehemaliger Arbeitsplatz ein Museum werden soll, ist er sofort zur Stelle. „Ich wollte unbedingt mitmachen“, sagt er mit der gleichen inneren Überzeugung, mit der er seine Vorführungen macht. Er wird Mitglied bei den „Frënn vun der Lee“, die seitdem das acht Hektar große und 22 Gebäude umfassende Gelände beleben und dafür sorgen, dass die Schieferproduktion nicht in Vergessenheit gerät.
In der ehemaligen Produktionshalle ist Risch inzwischen so etwas wie ein lebendes Inventar. „Es macht mir einfach Freude“, sagt er über sein drei Jahrzehnte andauerndes Ehrenamt. „Ich komme so lange, wie es geht, ich bin ja schon 83 Jahre alt.“ Als er dieses Jahr zur Verleihung des Luxembourg Tourism Award eingeladen wird, rechnet er zunächst gar nicht mit einem Preis. Zu selbstverständlich erscheint ihm selbst sein Engagement. Die goldfarbene Statuette krönt seinen Einsatz.
Das „Schiefermusée“
Das „Schiefermusée“ wird seit dem 1. Januar 2019 von dem neu gegründeten Verein „Musée de l’Ardoise Asbl.“ verwaltet. Darin haben sich die „Frënn vun der Lee“, der Staat Luxemburg und die Gemeinde Rambrouch, auf deren Terrain sich das Museum befindet, zusammengeschlossen. Zehn Millionen Euro sind seitdem in den Ausbau des Industriedenkmals geflossen. Dabei wurden neben der Verarbeitung auch die Grubengänge für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In 42 Metern Tiefe können seit Oktober 2022 Besucher das Abbaugebiet erleben. Der unterirdische Rundgang erfreut sich großer Resonanz. Nach Museumsangaben haben seit dem 1. Januar 2023 knapp 10.000 Besucher das Museum besucht. 5.522 davon haben gezielt eine der vielen Aktivitäten, die das Museum anbietet, gebucht. Siehe auch: www.ardoise.lu
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