EU-Gelder / Ein Baumwipfelpfad ohne Bäume wird zum Symbol für Korruption in Ungarn
Eigentlich sollte der Baumwipfelpfad Touristen anlocken. Jetzt interessieren sich vor allem Regierungskritiker und Journalisten für den Park, dessen kahle Felder zum Symbolbild der Korruption in Ungarn wurden.
Ein Baumwipfelpfad, finanziert von der EU, sollte Touristen nach Nyirmartonfalva locken. Doch anstelle von Ausflüglern kommen nun Regierungskritiker und Journalisten in das entlegene ungarische Dorf. Denn statt durch einen Wald führt das neue Bauwerk über kahle Felder und wurde so zum Symbol für Korruption in Ungarn – jenem Land, das nun für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt.
Dichte grüne Baumkronen suchen Besucher in Nyirmartonfalva vergeblich, der Wald wurde abgeholzt, noch bevor die Holzbrücke fertig war. „Es ist eine beeindruckende Veranschaulichung des Diebstahls und der Verschwendung von EU-Geldern“, sagt Akos Hadhazy, ein unabhängiger Abgeordneter, der gegen Korruption kämpft.
Es ist eine beeindruckende Veranschaulichung des Diebstahls und der Verschwendung von EU-Geldernunabhängiger Abgeordneter
Seit der rechtspopulistische Regierungschef Viktor Orban 2010 an die Macht zurückkehrte, rutschte Ungarn im Korruptionsindex der Organisation Transparency International vom 50. auf den 76. Platz ab und steht damit an letzter Stelle der 27 EU-Länder. Im gleichen Zeitraum häufte Orbans engster Kreis durch öffentliche Aufträge spektakuläre Reichtümer an, zum Beispiel sein Vertrauter Lorinc Meszaros oder sein Schwiegersohn Istvan Tiborcz, die nun große Teile der Wirtschaft kontrollieren. Unter anderem wegen der vermuteten Korruption bei öffentlichen Aufträgen fror Brüssel rund 19 Milliarden Euro an EU-Mitteln für Ungarn ein.
Der 80 Meter lange Steg in Nyirmartonfalva wurde vergangenes Jahr über Nacht berühmt, als das Investigativ-Portal Atlatszo darüber berichtete. Ermittlungen wegen Korruption wurden eingeleitet, Reporter, Oppositionspolitiker und sogar der US-Botschafter David Pressman reisten in das abgelegene 2.000-Einwohner-Dorf nahe der rumänischen Grenze.
„Was für ein Anblick!“, spottete Pressman und postete auf der Plattform X ein Foto von sich auf der sinnlosen Brücke. Immer wieder warnt der Diplomat vor den „zerstörerischen Auswirkungen der Korruption auf die Demokratie“.
Alles begann, als der Unternehmer Mihaly Filemon einen EU-Zuschuss für einen Baumwipfelpfad auf seinem Grundstück beantragte. 2021 erhielt Filemon, der inzwischen mit Unterstützung von Orbans Partei Fidesz zum Bürgermeister gewählt worden war, eine Zusage über 160.000 Euro und begann mit dem Bau. Doch als die Inflation die Preise in die Höhe trieb, beschloss Filemon, den Wald abzuholzen und das Holz zu verkaufen, um die Arbeiten zu finanzieren.
Untersuchung gegen Aufdecker
„Hier brauchte es keinen Wald“, behauptet Filemon und verweist darauf, dass die Ausschreibung keine Mindesthöhe der Bäume vorgab. „Der Wald wird nachwachsen, er wächst schon“, sagt der Unternehmer und zeigt auf die jungen Bäumchen, die er zu beiden Seiten der Brücke mittlerweile pflanzen ließ.
Die Untersuchung des EU-finanzierten und von Ungarn verwalteten Projekts deckte gravierende Unregelmäßigkeiten auf, unter anderem Absprachen, überhöhte Preise und Vetternwirtschaft. Ermittelt hat die Anti-Korruptions-Behörde, die Ungarn Ende 2022 auf Druck aus Brüssel einrichtete und die den Missbrauch von EU-Geldern verhindern soll. Die Behörde stellte Strafanzeige, die Fördermittel an Filemon wurden nicht ausbezahlt. Bei der Kommunalwahl im Juni verlor er sein Amt als Bürgermeister.
Korruptionsbekämpfer Hadhazy freut sich zwar über den Erfolg in Nyirmartonfalva, bedauert aber, dass „in Ungarn nur außergewöhnliche Korruptionsfälle vor Gericht gebracht werden“. Viele andere würden von Orbans „Propagandamaschine“ vertuscht. Die Anti-Korruptions-Behörde hält der Abgeordnete für eine „Scheininstitution“, da sie über keine rechtliche Handhabe verfüge.
Dass die Befugnisse ausgeweitet werden, gilt als unwahrscheinlich. Stattdessen nimmt das umstrittene Amt zum Schutz der Souveränität, das Ungarn vor „ausländischer Einmischung“ schützen soll, gerade das Investigativ-Portal Atlatszo und die ungarische Sektion von Transparency International unter die Lupe. (AFP)
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