Kino / Ein Blick auf die Welt von „Mad Max“
1979 kam mit „Mad Max“ der erste Teil eines Franchises in die Kinos, das nicht nur Mel Gibson zum Star machte, sondern bis heute einen Kultstatus ausgebildet hat, der nicht nachzulassen scheint. Mit „Mad Max: Furiosa“ ist der zweite Teil eines Franchise-Reboots in den Kinos gestartet, das 2015 mit „Mad Max: Fury Road“ begonnen hatte. Der australische Regisseur George Miller kehrt damit als ein ausgewiesener Regisseur filmischer Action zurück auf die große Leinwand.
Auf den verlassenen Autobahnen eines nicht wiederzuerkennenden Australiens herrscht ein gnadenloser Krieg zwischen gesetzlosen Motorradfahrern und Interceptor-Polizisten, die mit Autos mit überdrehten Motoren versuchen, über die Gesetzlosen zu triumphieren. In dieser verfallenden Welt verschwindet das Gute und das Böse, Gewalt und Geschwindigkeit scheinen die einzigen operativen Größen zu sein. „Anarchy Road“ prangt es da gleich zu Beginn auf einem Straßenschild. Nicht nur die Richtung nach vorn, sondern auch die gesetzlose Haltung ist schon vorgegeben. Das ist die Welt von „Mad Max“, einem Film, der den damals 22-jährigen australischen Schauspieler Mel Gibson schlagartig berühmt machte.
Gewalt und Geschwindigkeit
Gibson gibt darin den Titelhelden Max Rockatansky, einen Polizisten, der in einer dystopischen Zukunft gegen eine gewalttätige Motorradgang kämpft. Nachdem seine Familie von der Gang getötet wird, begibt sich Max auf einen Rachefeldzug. Der Film ist heute noch bekannt für seine spektakulären Verfolgungsjagden und seine düstere Atmosphäre, nur über Lautsprecherdurchsagen werden Themen wie die Rohstoffknappheit implizit mitgeführt, nie aber werden diese Bezüge indes wirklich handlungstragend. Miller entwarf dieses Drehbuch gemeinsam mit James McCausland – die Auswirkungen der Ölkrise von 1973 und die Benzinknappheit bilden dabei nur entfernt eine realweltliche Inspirationsquelle – beide waren entschlossen, diesen Stoff als genuin australisch zu bearbeiten: Die Geschichte, die in der nahen Zukunft spielen sollte, war ganz bewusst als eine australische Dystopie angelegt, in der Barbarei herrscht und vorbeirasende Motorradbanden willkürlich morden, plündern und vergewaltigen. Dass der Stoff dabei weit über diese Grenzen hinaus Erfolge verzeichnen konnte – allein in den USA spielte er rund acht Millionen Dollar ein –, war in dieser Entwicklungsphase niemandem so recht bewusst.
Die Anziehungskraft dieser skurrilen Welt aus harschem futuristischem Realismus, mit seinen skurrilen Bikern und den schießwütigen Polizisten, die ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Recht und Gesetz haben, mag aus dem Umstand resultieren, dass der Film in einem genuin amerikanischen Mythenreservoir verankert liegt: dem Western. Dröhnende Motoren, quietschende Autoreifen und Kollisionen auf dem Asphalt bestimmen den Klangteppich, weite Graslandschaften und endlos lange Highways die Bildebene. Der Bilderkatalog, der da zitiert wird, ist einem filmischen Publikum wohlbekannt. Westernbilder in einem zeitgenössischen Rahmen sind nicht neu, man denke da an John Sturges’ „Bad Day at Black Rock“ (1955) oder noch an Don Siegels „Dirty Harry“ (1971), aber George Miller erfindet mit dieser ungewissen und barbarischen Zukunft tatsächlich eine eigenartige und genuine Bildsprache, die sowohl dem Spaghetti-Western als auch dem amerikanischen Roadmovie verpflichtet ist. Gerade diese wilde Stilmischung aus Lederkostümierung, extravaganten Frisuren und allerlei buntem Polizeigefährt ragen heraus, es ist diese hemmungslose und willkürliche Intertextualität, die das Absonderliche dieser Reihe bereits damals ausmachte.
Verrückte Welt
Schon die packende Eröffnungsszene war für damalige Verhältnisse ein visueller Schock. Auf den einsamen Straßen Australiens verspottet der gefährliche „Adler der Straße“ die Polizei. Wir lernen die Bronzes kennen, eine lederbekleidete Polizeieinheit, die mit ihrem Interceptor-Rennwagen Gesetzlose festnehmen soll. Mel Gibsons Darstellung verleiht Max eine rohe Intensität – so wie dieser Gesetzeshüter zum Racheengel wird und jedwede Hemmung verliert, so verliert auch Millers Film zunehmend den kausal-logischen Tiefensinn. Alles, so scheint es, will da nur noch in reinster Bewegung aufgehen. Ungemein kleinteilig geschnitten, schießen uns Bilder von aufheulenden Motoren und Geschwindigkeitstachos entgegen. Immer hektischer knüpft Miller eine Verfolgungsjagd an die nächste – das formbetonende Spektakel nimmt überhand: Explosionen, Benzin, triefendes Motoröl, Staubwolken. Alle diese Zeichen der Geschwindigkeit werden im Laufe der Handlung immer mehr akzentuiert.
Im Rückspiegel betrachtet, fällt nun umso mehr auf, wie sehr diese Rolle Mel Gibsons Leinwand-Image nachhaltig prägte: Mit Filmen wie „Payback“ (1999) oder noch „Edge of Darkness“ (2010), ja sogar als schottischer Freiheitskämpfer William Wallace in „Braveheart“ (1995) war dieses Bild des „Vigilante“ bzw. des rachsüchtigen Vollstreckers immer wieder bestätigt. Der Legende nach wurde Miller auf Mel Gibson aufmerksam, nachdem dieser am Vortag des Castings in einer Bar in eine große Prügelei geraten sein soll. Miller war von Gibsons furchterregender Präsenz, den starren und entschlossenen Augen beeindruckt, Augen, aus denen auch der verhaltene Wahnsinn spricht, der ständig mit mehr oder weniger Intensität ausbricht.
Das funktioniert wunderbar mit dieser Figur Max, einem zwielichtigen, ambivalenten Helden und potenziellen Psychopathen, der versucht, vor seinen niederen Instinkten zu fliehen, aber dennoch ein Gefangener ist: Die wütende Welt, die ihn umgibt, lässt ihn nicht los. „The world is full of crazy people“, heißt es an einer Stelle. Die nervöse Inszenierung, auch über die Musik heraus, fängt die Gefahr, das Adrenalin und den Hauch des Todes, der zwischen Verfolgern und Gejagten herrscht, immer wieder ein, bis die Trennlinie immer diffuser wird: „I’m scared, Fif. You know why? It’s that rat circus out there. I’m beginning to enjoy it“, meint Max zu seinem Kollegen.
Ernüchternde Einsicht
Mit „Mad Max 2: The Road Warrior“ kam 1981 eine Fortsetzung in die Kinos, auf die mit „Mad Max Beyond Thunderdome“ 1985 ein vorerst abschließender Teil folgte. Das Franchise-Reboot profitierte 2015 ungemein von den Fortschritten im Bereich der digitalen Abbildungen: Was Ende der Siebzigerjahre noch als Low-Budget-Produktion an Originalschauplätzen ohne spektakuläre Schauwerte auskam, avancierte mit „Mad Max: Fury Road“ zu einem bombastischen Action-Spektakel in den desolaten Weiten einer nicht weiter bestimmbaren postapokalyptischen Wüstenlandschaft, eine Ästhetik heraufbeschwörend, die bizarr und betörend zugleich ist: die Hell’s Angels vor den Gemälden von Hieronymus Bosch. Hier nun übernahm Tom Hardy die Rolle des schweigsamen Antihelden Max, doch diesmal kämpfte er nicht allein: Mit Charlize Theron war ihm eine ebenbürtige Action-Heldin an die Seite gestellt, Furiosa, die mit dem neuesten Film „Mad Max: Furiosa“ eine Anfangsgeschichte nachgereicht bekommt – Anja Taylor-Joy übernahm dafür die Hauptrolle.
Freilich, es ist mithin unbedeutend, wie sehr dieser Stoff in der Breite neu ausgelegt wird, wie sehr die Soundkulisse und die actiongeladenen Schauwerte aktualisiert und gesteigert werden. Am Ende bleibt in dieser Welt indes nur ein ambivalenter und ernüchternder Eindruck, ist der Adrenalinrausch erst einmal verklungen: In erster Linie nämlich ist sich Max selbst zum Problem geworden. Wozu diese Raserei, wozu diese bahnbrechende Geschwindigkeit? Was hat dieser wütende Vollstrecker Max letztlich von seinem Rachefeldzug? Nichts. Doch damit ist die unbehagliche Wandlung durchaus getroffen: „Mad Max“ zeigt, wie aus scheinbar braven Ordnungshütern psychopathische und sadistische Gewalttäter werden können. Was in allen Fällen bleibt, ist ein Eindruck intensivster kinetischer Energie, die mit „Mad Max: Furiosa“ auch biblische Anklänge findet.
Mad Max
Dieser Text ist Teil einer Serie von Marc Trappendreher über die Filmreihe „Mad Max“. Der zweite Teil erscheint voraussichtlich am Montag.
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