Luxemburg / Ein Blick hinter die Kulissen: So ist der nationale Mobilitätsplan 2035 entstanden
Der nationale Mobilitätsplan wird die Lebensqualität der Luxemburger für die nächsten 13 Jahre in großen Zügen beeinflussen. Grund genug, einen Blick auf die Entstehung des PNM2035 zu werfen. Das Tageblatt hat mit Frank Vansteenkiste geredet. Er arbeitet als Berater im Ministerium für Mobilität – und war Teil der Entwicklung des Planes.
Das Luxemburger Mobilitätskonzept steht für die nächsten 13 Jahre fest. Mit dem PNM2035 will sich Luxemburg fit für die Mobilität der Zukunft machen, sprich dem Bevölkerungswachstum gerecht werden. Ein großes Vorhaben, an dem viele Menschen seit Ende 2019 gearbeitet haben. Darunter Frank Vansteenkiste. Er ist Berater im Ministerium für Mobilität, hat unter anderem die grafischen Elemente des Plans zusammengestellt und war an etlichen Konferenzen mit anderen Verwaltungen beteiligt.
„Ponts et chaussées“, Luxtram oder die CFL waren von Anfang an Teil der Planung. „Es ist das erste Mal, dass ein Strategiedokument von einem Mobilitätsminister sehr eng mit den Verwaltungen ausgearbeitet wurde“, sagt Vansteenkiste. Das sei auch wichtig, damit es nicht nur „beim Papier bleibt“. Die Verwaltungen seien schließlich diejenigen, die die jeweiligen Projekte auch umsetzen müssen. „Dass sie dabei waren, stimmt mich extrem positiv, dass wir uns daran halten“, sagt der Berater.
Hinter der Entstehung des PNM2035 stecke eine ganze „Maschinerie“. „Wir nennen das Dokument noch immer Broschüre, denn wir wollten das Ganze auf 80 bis 90 Seiten drucken, aber das ist uns nicht gelungen“, sagt Vansteenkiste. Das Büchlein zählt satte 200 Seiten.
„Daten, Daten, Daten“
Doch wie entsteht ein solch komplexes Dokument überhaupt? Zuerst habe das Ministerium zwei Beratungsfirmen gesucht – eine für den nationalen Blick und ein ausländisches Unternehmen, „um einen frischen Blick von außen zu bekommen“, so Vansteenkiste. Danach heiße das Stichwort: „Daten, Daten, Daten.“ Die Projekte und Schlussfolgerungen des Dokumentes würden nämlich auf konkreten Informationen basieren. Zuerst müsse man sich fragen, wie die Menschen unterwegs seien. Welche Transportmittel benutzen sie? Wie verhalten sie sich bei gutem Wetter? Wie bei schlechtem Wetter? Wie funktionieren die Wegeketten? Diese Aspekte seien von einer Studie aus dem Jahr 2017 abgedeckt worden, erklärt Vansteenkiste.
In dieser Hinsicht seien seit 1995 keine relevanten Daten mehr erhoben worden. „Wenn man dann weiß, wie sich die Menschen bewegen, versucht man sie in Korridore und Räume einzuteilen“, so der Berater. Die ländliche Mobilität unterscheide sich schließlich von der städtischen. Damit diese Zahlen auch zukunftstauglich sind, werden sie laut Vansteenkiste mit einer Wachstumsprognose hochgerechnet. „Dafür haben wir das mittlere Wachstumsszenario vom Statec genommen – das sagt ein Anwachsen von 3 Prozent BIP pro Jahr vor.“ Daraus würden dann 40 Prozent mehr Fahrten im Jahr 2035 entstehen.
Danach versuche man neue und bereits geplante Projekte so miteinander zu verbinden, dass ein gesamtumfassendes Konzept entsteht. „Das war die intellektuell schwerste Übung“, sagt Vansteenkiste. Das Ministerium rechne also, auf die einzelnen Strecken aufgeteilt, wie viele Menschen dort in Zukunft fahren werden und wie diese Menschen am effizientesten von A nach B kommen können. „Da steckt eine riesige statistische Arbeit dahinter“, sagt Vansteenkiste. Und: Nur weil der Plan jetzt öffentlich ist, heiße das nicht, dass die Arbeit vorbei sei.
Das Mobilitätsministerium erstelle jetzt noch Verkehrssimulationen. Das Programm werde mit allen möglichen Daten gefüttert: Anzahl der Arbeitsplätze, Schulen, Einwohner, verfügbare Verkehrsmittel, Staus und so weiter. Dann werden die 140 Projekte des PNM2035 und der Bevölkerungszuwachs hinzugefügt. „Da kommen Belastungspläne dabei heraus“, sagt der Berater. Heißt: Wie viele Menschen werden auf der hauptstädtischen Umgehungsstraße unterwegs sein? Wie viele Menschen pro Auto? Wie viele Menschen werden mit dem Bus nach Remich fahren? Wie viele Menschen werden den Zug von Differdingen nach Luxemburg nehmen?
Politischer Konsens nötig
Der Mobilitätsplan soll alle fünf Jahre kontrolliert und angepasst werden. Es sei wichtig, dass endlich Kontinuität herrsche „und nicht, dass jeder Minister und jede Regierung in Sachen Mobilität wieder etwas komplett Neues bringt“, sagt Vansteenkiste. Die CFL benötige beispielsweise einen auf 15 Jahre angelegten Plan, um die Konzepte umzusetzen. „Wenn das permanent ändert, verlieren wir extrem viel Zeit, und das können wir uns als Land nicht mehr leisten“, sagt Vansteenkiste. Doch habe er das Gefühl, dass ein breiter politischer Konsens für den PNM2035 existiere. „Ich glaube, dass es gut für einen Mobilitätsplan ist, wenn er nicht in einen Wahlkampf fällt.“
Bis jetzt sei der Plan von der Bevölkerung positiv aufgenommen worden. Um die Menschen mit ins Boot der Verkehrswende zu bekommen, sei eine gute Infrastruktur essenziell. „Ich bin zum Beispiel gespannt, wie sich die Fußgängerbrücke auf Belval auswirken wird. Für mich ist das ein Quantensprung in Sachen Qualität der Infrastruktur und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das ein voller Erfolg wird“, sagt Vansteenkiste.
Wichtig sei auch, dass der nationale Mobilitätsplan nicht nur eine Auflistung von Projekten sei, es müsse ein ganzheitliches Konzept dahinterstecken. „Im ganzen PNM gibt es keine Liste von Projekten. Diese sind viel mehr in einem Text eingebaut, damit man merkt, dass ein Projekt mit dem anderen zusammenhängt“, sagt Vansteenkiste.
Einzigartig im Vergleich mit dem Ausland
Im Vergleich mit dem Ausland sei der Plan jedenfalls zukunftsweisend. Natürlich gebe es mit Städten wie Amsterdam und Kopenhagen noch bessere Beispiele. Aber: „Ich kenne jetzt keine nationale Strategie unserer Nachbarländer, die so detailliert und übergreifend alle Verkehrsträger zusammenfasst – das ist eine große Chance für Luxemburg“, sagt Vansteenkiste. Das Großherzogtum habe nur zwei administrative Ebenen, deswegen könne ein nationaler Plan relativ tief ins Detail gehen.
Mobilitätsminister François Bausch („déi gréng“) werde am 13. Juni einen Vortrag in Koblenz am Deutschen Nahverkehrstag halten, wo er auch vom rheinland-pfälzischen Staatssekretär empfangen werde. „Ich bin gespannt auf die ersten Reaktionen. Ich glaube schon, dass der Plan Eindruck machen wird“, sagt Vansteenkiste. Mit der Einführung des kostenlosen öffentlichen Transports sei das Interesse an Luxemburg im Ausland extrem gestiegen. Luxemburg investiere in der EU am meisten pro Kopf in den öffentlichen Verkehr. Durch den Mobilitätsplan gebe es nun die Möglichkeit, das im Ausland zu zeigen. „Wir sind dabei, uns so langsam auf der Weltkarte zu etablieren“, so der Berater. Die Regierung werde im März 2023 zusammen mit der Stadt Luxemburg einen Mobilitätskongress organisieren. „Wir haben uns in der Vergangenheit unter Wert verkauft.“
Frank Vansteenkiste freut sich jedenfalls über den gelungenen Plan. „Wie so oft fällt man nach dem Abschluss eines solchen Projekts in ein tiefes Loch, weil man so lange nichts anderes gemacht hat – doch man ist auch stolz auf das positive Feedback.“ Zwar habe er mehr kontroverse Diskussionen erwartet. Die Prinzipien des Mobilitätsplans seien allerdings nicht mehr so umstritten wie noch vor fünf Jahren. Jeder wisse, dass es an der Zeit sei, umzudenken und dass man der Entwicklung nicht mehr hinterherlaufen könne.
Radfahren in Luxemburg – die Serie:
1. Auf dem Weg zum vollwertigen Individualverkehrsmittel: Das will der nationale Mobilitätsplan 2035
2. Acht Thesen, acht Antworten: Beliebte Vorurteile gegenüber dem Rad
3. Bürgermeister Mischo über Escher Radwege: „Habe kein Problem damit, Parkplätze zu opfern“
4. Hauptstädtischer Verkehrsschöffe Patrick Goldschmidt: „Radfahren in der Stadt ist nicht überall so ohne“
5. Der lange Weg zur Mobilität der Zukunft: Blick hinter die Kulissen
6. Wenn eine Luxemburger Stadtplanerin in den Niederlanden lebt: So sieht gute Fahrradinfrastruktur aus
7. Mobilitätsminister François Bausch: „Das alte Lagerdenken muss aufgebrochen werden“
8. Fahrradaktivisten melden sich zu Wort: „Entscheidend sind die Dinge, die man macht“
9. Das Fazit der Fahrradserie: Von Verkehrskrieg und sicheren Wegen
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