Coronavirus / Ein Ganzkörperanzug schützt nicht vor Leid: So erlebt eine erfahrene Bestatterin die Krise
Karin Thill-Schaaf arbeitet als Bestatterin im Unternehmen „Maison Platz“ in Luxemburg-Stadt. Damit ist sie eine der wenigen Frauen mit diesem Job. Ihre Arbeit ist sozialer, als manch einer glauben würde – und ihr Arbeitsalltag seit der Corona-Krise nicht mehr der gleiche.
Als „Doudegriewer“ oder „croque-mort“ bezeichnet zu werden, gefällt Karin Thill-Schaaf überhaupt nicht. In den Zeh einer Leiche hat sie noch nie gebissen. „Ich bin seit 14 Jahren Bestatterin.“
Zum Beruf ist die 56-Jährige über den Umweg einer Schreinerausbildung gekommen. Das war Anfang der 80er-Jahre. Damals sei es normal gewesen, dass der Schreiner, der den Sarg baut, sich auch um den Verstorbenen kümmert, erzählt sie. Durch den Schreinerberuf war sie es von Anfang an gewohnt, alleine unter Männern zu sein. „Es war nicht immer einfach als Frau in einer Männerdomäne“, sagt sie. Selbst heute würde sie häufig anders behandelt als ihre männlichen Kollegen.
Karin Thill-Schaaf sieht ihr Alleinstellungsmerkmal jedoch als einen Vorteil. Manche Familien würden es bevorzugen, mit einer Frau zu sprechen. Die Erfahrungen, die sie jahrelang als freiwillige Krankenwagenfahrerin sammeln konnte, kommen ihr als Bestatterin ebenfalls zugute. „Ich kenne beide Seiten – wie es ist, wenn jemand überlebt, und wie es ist, wenn eine Person es nicht schafft“, sagt sie.
Wünsche und Erwartungen
Der erste Kontakt zur Familie eines Verstorbenen erfolgt in der Regel per Telefon. Im Gespräch werden Wünsche und Erwartungen besprochen. „Dabei müssen wir auch auf die Religion Rücksicht nehmen“, sagt Thill-Schaaf. Besprochen wird, ob der Körper gewaschen, angezogen und zurechtgemacht werden soll. Dazu gehört gegebenenfalls das Schminken. Auch die Frage, ob ein Kreuz oder bereits vor der Bestattungszeremonie Blumen auf dem Sarg liegen sollen, muss geklärt werden.
„Jede Familie ist anders – darauf müssen wir eingehen“, sagt die Bestatterin. Sie passe sich der Situation an. Diese Fähigkeit ist ihr wohl selten so zugutegekommen wie jetzt. Denn mit der Corona-Krise hat sich auch ihr Arbeitsalltag stark verändert. Der Schutz vor dem Virus hat oberste Priorität.
Dafür muss sich die Bestatterin an strenge Vorlagen des Gesundheitsministeriums halten. „Wir wissen im Voraus nur sehr selten, ob die Person, die wir abholen, am Coronavirus gestorben ist“, sagt Thill-Schaaf. Deshalb hat sie die Schutzkleidung stets dabei. Handelt es sich um einen infizierten Körper, muss sie einen sogenannten Tyvek-Ganzkörperanzug, Schutzbrille, Chirurgenmaske und Handschuhe tragen. Auch wenn sie unsicher ist, ob der Patient infiziert war, rüstet sie sich mit der vollen Montur. Handelt es sich nicht um einen Corona-Patienten, gehören Handschuhe und Mundschutz zu ihrer aktuellen Grundausstattung. Desinfektionsmittel darf ebenfalls nie fehlen.
Ich kenne beide Seiten – wie es ist, wenn jemand überlebt, und wie es ist, wenn eine Person es nicht schafftBestatterin
Was in dieser Zeit besonders auffällt: Das Verhalten der Familien hat sich verändert. Die Bestatterin erlebt, wie Angehörige auf Distanz bleiben, beobachtet aber auch eine große Verzweiflung bei jenen, die sich aufgrund der strengen Besucherregelungen nicht mehr von ihren Liebsten verabschieden konnten. „Das ist mit sehr viel Herzschmerz verbunden und bewegt mich auch.“
„Eleng gestuerwen – eleng begruewen“
Nadine Braconnier spürt derzeit genau diesen Herzschmerz. Am Sonntagmorgen hat sie ihre Oma Margot zum ersten Mal seit acht Wochen gesehen – und gleichzeitig auch zum letzten Mal. Den Krankenhausaufenthalt, bei dem eigentlich nur Blutanalysen durchgeführt werden sollten, hat Margot nicht überlebt.
In den letzten 15 Jahren ist keine Woche vergangenen, in der Nadine Braconnier nicht mit ihrer Oma gesprochen oder sie nicht gesehen hat. Eine Zeit lang hat sie Margot sogar bei sich zu Hause gepflegt. „Sie war wie eine Mutter für mich.“ Mit dem Ausbruch der Corona-Krise wurde der Kontakt schlagartig abgebrochen. Besuche in Altenheimen wurden verboten. Telefonate mit ihrer Großmutter waren aufgrund von deren Schwerhörigkeit nicht möglich. Auch zu ihr ins Krankenhaus durfte Nadine Braconnier nicht mehr – bis Oma Margot starb.
„Eleng gestuerwen – eleng begruewen“, lautet die Überschrift ihres Facebook-Posts, den sie aus Wut nach dem Verlassen des Krankenhauses geschrieben hat. „Ich verstehe nicht, wieso ich nach ihrem Tod zu ihr durfte, aber nicht davor“, sagt sie im Gespräch mit dem Tageblatt.
Mit dem unglaublichen Feedback zu ihrem Facebook-Post hatte sie nicht gerechnet. Der Beitrag wurde inzwischen mehr als 2.500 mal geteilt und 1.100 mal kommentiert. „Zusätzlich habe ich hunderte Privatnachrichten bekommen, in denen Menschen mir erzählt haben, dass sie das Gleiche mit einem geliebten Menschen erleben mussten“, sagt sie. Am Anfang hieß es auch, dass die Bestattungszeremonie im Krematorium für Oma Margot erst in acht bis zehn Wochen stattfinden könne.
Zeremonie per Facetime
Es sei sehr unterschiedlich, wie die Menschen mit der Situation umgehen, sagt Karin Thill-Schaaf. Einige zeigen Verständnis und akzeptieren ein Begräbnis mit einer maximalen Besucherzahl von zehn Personen, andere wollen die Zeremonie auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Eine Familie konnte bei der Bestattung nicht dabei sein. „Wir haben ihr dann angeboten, die Zeremonie per Facetime mitzuerleben.“
An der Art, wie das Bestattungsunternehmen mit dem Körper umgeht, hat sich ebenfalls einiges geändert. Ist die Person im Krankenhaus verstorben, holt Thill-Schaaf sie dort ab. Die Krankenpfleger haben den Körper dann bereits in eine biologisch abbaubare Hülle gelegt. Wenn diese einmal geschlossen ist, darf sie nicht mehr geöffnet werden. Die Krankenpfleger müssen den Toten zudem identifiziert haben und alle Angaben auf ein Etikett schreiben, das an der Hülle angebracht wird. „Sonst nehmen wir den Körper nicht mit.“
Liebe zum Job
Das Waschen und Zurechtmachen des Körpers fällt in der aktuellen Lage also weg. Ist der Patient nicht am Coronavirus gestorben, können Ausnahmen gemacht werden. Es sei allerdings schwer, sicher zu sein. Besonders dann, wenn der Verstorbene nicht im Krankenhaus, sondern bei sich zu Hause abgeholt wird. „Die meisten Angehörigen sind zwar ehrlich, aber unser eigener Schutz steht an erster Stelle“, sagt Thill-Schaaf.
Nadine Braconnier hat am Montag dann doch noch eine gute Nachricht bekommen: Weil die Lage sich aktuell entspannt hat, konnte die Bestattungszeremonie für Oma Margot noch am Dienstag stattfinden. In ihrer Rede hat sich Nadine Braconnier bei ihrer Oma bedankt – dafür, dass sie auch nach ihrem Tod noch etwas Gutes tun konnte: nämlich auf die Situation aufmerksam machen – damit anderen Familien der Schmerz des verwehrten Abschieds hoffentlich erspart werden kann.
Karin Thill-Schaaf macht ihre Arbeit gerne. Um sie auszuführen, müsse man den Tod verstehen, sagt sie. Untereinander würden sich die Bestatter regelmäßig austauschen, um das Erlebte aufzuarbeiten. „Wir wollen den Menschen helfen, die in Trauer sind. Das ist unser Job.“
Zeremonien im Krematorium
Im Krematorium in Hamm konnten bis vor kurzem keine Bestattungszeremonien abgehalten werden. Das hatte organisatorische Gründe, sagt Tom Jungen, Präsident des Sicec („Syndicat intercommunal ayant pour objet la construction, l’entretien et l’exploitation d’un crématoire“). Im Krematorium seien nämlich nur vier Mitarbeiter, die sowohl für den administrativen Teil als auch für die Zeremonie zuständig sind, angestellt. Für den Einäscherungsprozess sei ein externer Dienstleister zuständig. „Um die Sicherheit unserer Angestellten zu garantierten, mussten wir die Mitarbeiterzahl halbieren“, berichtet Jungen. Dann kam eine Anfrage des Gesundheitsministeriums, das Sicec auch abends zu öffnen, um eine maximale Verfügbarkeit zu garantieren.
„Durch die Umstellung auf Schichtarbeit wurde die Mitarbeiterzahl erneut halbiert“, sagt Jungen. Es hat also immer nur eine Person im Sicec gearbeitet. „Weil es aus Personalmangel einfach nicht möglich war, haben wir uns schweren Herzens dazu entschieden, die Zeremonien im Krematorium vorerst auszusetzen.“
Mit den ersten Lockerungen wurde das Zwei-Schichten-System in dieser Woche jedoch wieder aufgehoben. Somit sind seit dem 27. April 2020 wieder Bestattungszeremonien möglich, an denen bis zu 20 Personen teilnehmen können.
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Wieso liefern die Krankenhäuser die Leichen nicht in einem hermetisch geschlossenen Bodybag der direkt verbrannt wird?
Schließlich ist Pandemie da wird nicht gespielt.
@ winter. Weshalb die Corona-Toten nicht sofort anonym in einem Massengraben verscharren?
@trotinette josy: Misst zwar a Pandemiezäite mat engem ‚héich-ustiechende Virus‘ effektiv de Fall sin. An zwéngend Anaescherung vun als Coronaverstuerwn deklaréierte Patienten, faalen am Prinzip ënnert ‚Biohazard‘.
2 trotinette josy
„@ winter. Weshalb die Corona-Toten nicht sofort anonym in einem Massengraben verscharren?“
Verbrennen ist sicherer.
@winter: dann eben anonym eingeäschert! Und der menschliche Aspekt bleibt einfach auf der Strecke? Hoffentlich kommen Sie nie in den Fall, einen Ihrer Nächsten auf diese tragische Weise zu verlieren und ihm nicht das letzte Geleit geben zu dürfen.
@trotinette josy
„@winter: Hoffentlich kommen Sie nie in den Fall, einen Ihrer Nächsten auf diese tragische Weise zu verlieren und ihm nicht das letzte Geleit geben zu dürfen.“
Zu spät. War ich schon mehrmals, und das ohne Krise.
In unserer Familie glauben wir nicht an Ammenmärchen und alle werden verbrannt und ohne Zeremonie verstreut, ohne Anwesenheit von Familie oder Freunden.
@ Winter. Das ist Ihre Einstellung und die Ihrer Familie, die Respekt abverlangt. Der Tod ist leider kein Ammenmärchen, besonders wenn Eltern ein Kind oder ein Kind seine Mutter verliert. Da wird diese “ Zeremonie “ , dieses Ritual, ein Trost sein. Sage mir, wie du mit deinen Toten umgehst und ich sage dir, wer du bist. Aber bei vielen ist der Tod und das Sterben eh ein Tabuthema. Was sind sein kann, darf nicht sein.
Korrekt. Was nicht sein kann, darf nicht sein.
@Winter. Wenn Menschen zu Roboter werden!