/ „Ein groß angelegtes Making-of“: Milo Rau über „Orestes in Mosul“ und seine Erfahrungen im Irak
Ein Regisseur, der für Tabubrüche bekannt ist, inszeniert einen Weltklassiker in einer Konfliktzone im Irak. Der Schweizer erklärt uns, wieso es ihn und seine Schauspieler nach Mossul verschlagen hat und wieso Aischylos’ Tragödie um Rache und Verzeihen ein perfekter Vorwand ist, um sich mit dem politischen Zeitgeschehen auseinanderzusetzen.
Ein Regisseur, der für Tabubrüche bekannt ist, inszeniert einen Weltklassiker in einer Konfliktzone im Irak. Der Schweizer erklärt uns, wieso es ihn und seine Schauspieler nach Mossul verschlagen hat und wieso Aischylos’ Tragödie um Rache und Verzeihen ein perfekter Vorwand ist, um sich mit dem politischen Zeitgeschehen auseinanderzusetzen.
Nach Stücken über Genozide und Kinderschänder, die teilweise zu den aktivistischsten Inszenierungen unserer Zeit gehören, hat sich Milo Rau der Orestie angenommen: Wer Aischylos’ Trilogie kennt, weiß, dass es in ihr um einen Rachezyklus geht, der damit beginnt, dass König Agamemnon seine Tochter Iphigenie den Göttern opfert, damit diese den Wind, der zur Weiterfahrt nach Troja gebraucht wird, hinaufbeschwören.
Rau hat dieses Stück aber nicht mit formaler Innovation oder zeitgenössischem Kontext auf eine westliche Bühne gebracht, sondern den Text mit europäischen und irakischen Schauspielern in Mossul geprobt, umgeschrieben und uraufgeführt. Da den irakischen Schauspielern das Visum für Europa verweigert wurde, läuft in Europa nun eine Art Making-of des Projekts. Wir haben uns in Gent mit dem Regisseur getroffen.
Tageblatt: In unserem letzten Interview behaupteten Sie: „Wenn man einen Klassiker inszenieren soll und mit tollen Schauspielern zusammenarbeitet, kann man gleich unter dem Tisch schlafen. Das geht zu schnell, ist zu einfach.“ Jetzt inszenieren Sie selbst einen dieser Weltklassiker. Und Sie tun eben das nicht. Was ist der Unterschied zur klassischen Orestie?
Milo Rau: Ich muss mich vielleicht korrigieren: In Mossul macht die Orestie per se Sinn. Die Kunst ist dort eine Auflehnung gegen das Verbot – wir haben bspw. weibliche Schauspieler engagiert, was schwierig war, weil für Frauen das Schauspiel verboten ist. In dem Sinne gibt es keinen Tisch, unter dem ich schlafen könnte.
Es hat mich erst mal selbst überrascht, dass für mich so ein Stück wieder interessant wurde. Es ist ein guter Text. Aber ich dachte immer: Was kann ich da noch hinzufügen abseits der Gegebenheit, ihn formschön zu inszenieren?
Welchen Unterschied machten die Proben und die Aufführung in Mossul?
Durch den Kontext Mossul nimmt der Weltklassiker von Aischylos eine neue Relevanz an – der Zyklus der Gewalt und die Unmöglichkeit des Verzeihens, wovon diese Trilogie ja eigentlich spricht, spiegeln die Wirklichkeit in Mosul wider, wo ein jahrhundertelanger Zyklus der Gewalt existiert. Dieser hat sich seit 2003 beschleunigt. Seit dem Fall von Hussein und der Herrschaft der Milizen – Al-Kaida, IS, jetzt die Schia-Milizen – bricht er nicht ab. Als wir da geprobt haben, gab es einen Anschlag vor der Kunstakademie, die bereits vorher komplett zerstört wurde. Die vom Text aufgeworfenen Fragen spielen in der westlichen, post-tragischen Welt keine Rolle mehr. Bei uns ist es ein alter Text, der über Probleme spricht, die man sich schon vorstellen kann. Den kann man gerne inszenieren – aber es soll an einem Ort sein, wo er wieder relevant wird.
Wie kam es zur Idee des Stücks? Wieso Mossul?
Als wir 2016 für „Empire“ in den Irak gingen, war Mossul noch besetzt. Die Idee für „Empire“ war, die Flüchtlingsroute rückwärts zu reisen und in Qamischli zu enden. Damals musste man Mossul umfahren und gelangte über Sindschar nach Syrien. Ursprünglich wollte ich „Orestes in Sindschar“ inszenieren. Dann wurde Mossul aber wieder befreit.
Mossul ist die Hauptstadt des IS gewesen und hat deswegen eine stärkere symbolische Kraft – dort wurde das Kalifat ausgerufen, es gab ein Gebäude, von dem der IS die Homosexuellen geworfen hat, eine Moschee wurde gesprengt.
Eine der zehn Forderungen Ihres Genter Manifests verlangt, dass im Fall einer Klassikeradaptation nur 20 Prozent des Originals übernommen werden dürfen. Können Sie diese Vorgehensweise erläutern?
Im Stück kommen vier Szenen aus der Orestie vor. Diese wurden in Mossul gefilmt und werden in Europa als Video gezeigt.
Dies macht aber nur Sinn, um dokumentarisch zu zeigen, was wir dort gemacht haben, da es unmöglich ist, die im Irak ansässigen Schauspieler nach Europa einzuladen. Wir kürzen Teile der drei Tragödien auf jeweils fünf Minuten. Der für mich wesentlichere Rest des Stückes besteht daraus, dass man Leute von dort zu Wort kommen lässt – indem man ihnen Fragen über Video stellt, in denen die Schauspieler von ihren eigenen Erfahrungen erzählen, in denen man erfährt, was eigentlich Mossul ist.
In dem Sinne ist „Orestes in Mosul“ ein groß angelegtes Making-of. Je länger das Stück geht, desto mehr erfährt man von den Parallelen zwischen der Situation in Mossul und der antiken Tragödie.
Ihre Arbeit verlief bisher oft in Trilogien – es gab die Tribunale, die Europa-Trilogie. Sehen Sie die Orestie als bereits in sich geschlossene Trilogie – oder planen Sie bereits weitere Kapitel?
Wir behandeln die Orestie nicht als Trilogie – dafür ist das Stück viel zu kurz. Jeweils nur einen Teil davon zu spielen wäre auch ein bisschen redundant. Was im Stück passiert, ist banal: Es gibt den Rache-Zyklus und das Verzeihen. Das nächste Stück bzw. der nächste Film ist die Jesus-Verfilmung in Süditalien in Matera. Matera ist die europäische Kulturhauptstadt 2019. Pasolini und Mel Gibson haben dort ihre Jesus-Filme gedreht. Im Film wird man sowohl Schauspieler (der Philosoph Giorgio Agamben, der damals einer der Apostel von Pasolini war, spielt beispielsweise mit) als auch Sklavenarbeiter sehen.
Es gibt in Matera 500.000 Einwanderer aus Afrika, die auf Monokulturen arbeiten. Diese Arbeiter machen Schulden bei der Mafia und müssen diese dann abarbeiten. Wegen des Dubliner Übereinkommens können sie weder zurück noch dürfen sie in ein anderes Land.
Sie leben in Lagern um Matera herum und widmen sich der Ernte. Jesus war historisch gesehen der Anführer einer landlosen Bewegung an der Peripherie des römischen Reiches. Und das übersetzen wir in die Jetztzeit. Wir drehen den Film und organisieren gleichzeitig einen Streik, um die von der Mafia kontrollierte Tomatenernte zu stoppen. Die Vorgehensweise ist ähnlich wie in Mossul: Man nimmt einen Klassiker – hier die Bibel –, setzt ihn in die heutige Zeit um und schaut, wie die Jetztzeit reagiert. Das ist dann quasi Teil zwei der Trilogie.
Für den dritten Teil werde ich „Wilhelm Tell“ in der Schweiz inszenieren. Ähnlich wie beim „Genter Altar“ geht es mir darum, zu sehen, was dieser Mythos heute noch wert ist. Das wird dann sozusagen meine Klassiker-Trilogie. Wobei es sich dabei um ein sehr offenes Feld handelt und die gewählten Stücke schon ein bisschen zufällig gewählt sind.
Am 27. März fand die Uraufführung in Mossul statt. Nun wird das Stück in Gent aufgeführt – in der westlichen „Comfort-Zone“ sozusagen. Welchen Unterschied macht es, das Stück im Irak und in Belgien uraufzuführen – das Iraker Ensemble wird ja aufgrund von Visum-Problemen nicht bei den europäischen Daten dabei sein?
Der Unterschied liegt darin, dass wir im Irak etwas taten und in Europa darüber berichten. Wir haben für die europäische Bühnenversion einige Szenen hinzugefügt, die wir hier noch mal spielen, damit es quasi einen Bühnenwert hat. Die im Irak gefilmten Klassikerteile hier auf der Bühne zu zeigen oder nachzustellen macht dokumentarisch natürlich durchaus Sinn. Ob es auch szenisch Sinn macht, weiß ich nicht.
Richtig sinnvoll wäre es eben, wenn die irakischen Schauspieler dabei wären und wir nicht so viel auf Videoprojektionen angewiesen wären. Deshalb hat sich auch in den letzten Wochen ein Gefühl des Scheiterns in Bezug auf eine internationale Produktion breitgemacht.
Wir wussten natürlich von Anfang an, dass die irakischen Schauspieler kein Visum für Europa bekommen, und haben deshalb alles aufgezeichnet. Aber Theater ist ein Präsenzmedium. Und die fehlt hier dann doch.
Wie war die Rezeption des Stückes in Mossul?
Wir haben uns natürlich ein bisschen zurückhalten müssen. Wir haben uns stark auf die Freundschaft zwischen Pilates und Orestes konzentriert. Diese Freundschaft ist keine homosexuelle Freundschaft im Original, sie ist es aber bei uns. Das war für uns wesentlich – wegen der Unterdrückung der Frauen, der Homosexuellen, der Kunst im Allgemeinen (das Musikspielen war beispielsweise verboten) während der IS-Zeit.
Die Menschen dort sind noch immer eingeschüchtert, verängstigt. Es gibt schätzungsweise noch 2.000 Schläfer in der Stadt, weswegen wir abgemacht hatten, dass es keinen Kuss auf den Mund, sondern nur auf die Wange geben soll. Aber auch das war noch zu viel, die Leute waren stark geschockt und haben dann alle anwesenden Medien gebeten, nichts auszustrahlen, damit es nachher keine Repressalien geben konnte.
Im Gegensatz dazu war niemand von den Szenen expliziter Gewalt schockiert. In den Proben haben die irakischen Schauspieler uns erklärt, wie genau ein Genickschuss oder eine rituelle Erwürgung funktioniert. Gewaltszenen traumatisieren dort niemanden. Man sagte uns: Es ist schon gut, was ihr gemacht habt, aber es ist 1 Prozent dessen, was wir hier erlebt haben. Um das Geschehene widerzuspiegeln, müsstet ihr eigentlich zehn Stunden lang auf der Bühne morden.
Das Tribunal, das im Stück aufgeführt wird und sich sowohl auf die Aischylos’ Tragödie als auch auf die Verurteilung der IS-Kämpfer bezieht, kommt zu keinem Entschluss: Sie beschreiben das Verzeihen als unmöglich, die Rache als undurchführbar, das Vertrauen in die Justiz als inexistent. In welchem Sinn kann die antike Tragödie neues politisches Licht auf die Geschehnisse im Orient werfen?
Bestrafen wir Orestes nicht, schaffen wir die Gerechtigkeit ab. Wenn jeder weiß, dass er davonkommt, schrecken wir niemanden ab. In dieser Logik haben alle widerstrebend bei einem ersten (fiktionalen) Tribunal der Todesstrafe für die IS-Kämpfer zugestimmt. Bei einer zweiten Abstimmung haben sich dann alle enthalten. Was ich ehrlicher fand, weil es die tragische Situation, in der diese Gesellschaft steckt, viel klarer zum Ausdruck bringt.
Der Ausbruch aus dem tragischen Antagonismus – Todesstrafe oder totaler Freispruch – ist möglich, wenn es eine Institution gibt, in die jeder vertraut und der man den Verbrecher übergibt. Das passiert im letzten Teil der Trilogie. Wenn es diese Institution – den Staat, eigentlich – aber nicht gibt, dann befinden wir uns in der tragischen Situation. Man könnte sagen, dass die Tragik an die Struktur des Bürgerkriegs gebunden ist. Und die besteht im Irak fort. Niemand vertraut dem Gericht. Am Schluss gehen wir in ein Lager, in dem die IS-Kämpfer untergebracht sind. Es ist einfach ein KZ. Die Insassen werden gefoltert, vergewaltigt. Es ist kein Gefängnissystem, wo es eine Strafe gibt. Es ist ein langsames Sterben. Es gibt mögliche Bearbeitungsformen des Verbrechens nur, wenn man ein starkes Justizsystem hat, um es mal ganz pragmatisch zu formulieren. Man findet in Mossul wenig Leute, die überhaupt Rache wollen. Das Fundament ist quasi da, aber es gibt keinen Staat, der auf dieser Basis das Gewaltmonopol an sich reißt und die Milizen entmachtet.
Inwiefern schwingt der Gedanke der westlichen Mitschuld in Mossul mit?
Er schwingt definitiv mit. Das komplette Zerstören des Iraks fand durch den Angriff 2003 statt. Seit dem Fall von Saddam herrscht Chaos. So bösartig ein Staat auch sein mag – ihn zu zerstören ist nicht die richtige Herangehensweise. Dadurch wurde die Region in die Hand der Milizen gegeben, der Staat hat danach nie wieder die Macht an sich reißen können. Am Ende hat Saddam einen Genozid gegen die Schiiten, die Kurden und seine Feinde organisiert. So hatte er das Machtmonopol.
Es ist traurig, das zu sagen, aber die europäischen Nationen entstanden auf eine ähnliche Art: durch innere und äußere Kriege, die Französische Revolution, den Völkermord in der Vendée. Das war immer der Anfang. Wenn dann jemand von außen kommt und diesen Staat zerstört, dann herrscht halt das Chaos.
Es gibt das, was ich die Faktoren des Unglücks nenne: Rohstoffreichtum, eine Weltwirtschaft, die auf weltkoloniale Verteidigungsmuster zurückgreift, und eine nicht-existente Zivilgesellschaft, die genug Zeit hat, sich zu organisieren. Hier ist die Kolonialzeit nur einer der Faktoren, die zur aktuellen Situation im Irak führten. Weil in der langen historischen Distanz der Moment, in dem das Öl entdeckt wurde und die Briten kamen, sehr kurz ist. Dies zu betrachten lindert die westliche Mitschuld.
In Ihrem begleitenden Essay steht: „Collective authorship is not a dream, but a necessity.“ Wie funktioniert der kollektive Schaffensprozess? Welche Rolle steht noch dem Regisseur zu?
In diesem Stück musste relativ schnell viel zusammengesetzt werden. Für die Übergänge improvisierten wir und setzten uns zusammen, um die Struktur des Stückes kohärent zu gestalten. Es ist ein gemeinsamer Aushandlungsprozess. Was das Schreiben des Textes betrifft, bin ich eine Mischung aus Autor und Lektor.
Zusätzlich gibt es die Stimmen der Iraker, die einfach erzählen, was sie erzählen. Und schlussendlich hat man eine Quelle wie die Orestie, für die es 40 Übersetzungen gibt und wo man sich etwas zusammensucht und es abändert. Bei einigen Stellen weiß ich nicht, ob es unsere Erfindung ist oder ob es sich um das Original handelt – weil wir oft das, was wir sagen wollten, in eine pseudo-griechische Sprache gebracht haben, damit man es in Mossul überhaupt spielen kann. So ist es oft im Endeffekt auch bei den Stimmen der Schauspieler: Am Ende wird es unklar, von woher das alles eigentlich kam.
Was ist die Intention, wenn man so ein Stück in Europa zeigt? Aufrütteln?
Das Stück ist in einem gewissen Maß eine Form der Selbstkritik. Die Frage, die sich mir stets stellt, ist folgende: Was kann man eigentlich machen? Und die traurige Antwort lautet: Man kann nichts machen. Man kann nicht mal die Schauspieler einladen. Man verabschiedet sich. Drei Tage später kriegt man ein Filmchen geschickt, das einen Anschlag auf die Arts Academy zeigt. Man kann sich dieses Filmchen angucken und hier ein bisschen Orestie mit Kostümen spielen. Aber that’s it. Das ist der depressive Outcome. In dem Sinne ist es kein aktivistisches Stück. Es sagt vielmehr etwas über die Unmöglichkeit des Verzeihens, die Unmöglichkeit der Solidarität. Wenn man es sich in Europa anguckt, merkt man die Sinnlosigkeit des ganzen Tötens auf der Bühne – weil es im Endeffekt zu nichts führt. Ich bin auf jeden Fall nicht am Ende mit dem Thema. Es gibt hier kein Fazit. Die Realität geht weiter. Wir sind wieder hier und die anderen sind im Irak.
Hier stößt man dann doch auf die Grenzen globalen Theatermachens.
Das Eingestehen des Scheiterns ist als Geste zwar ehrlich, kann aber nicht die letzte Geste gewesen sein.
Inwiefern hat jemand wie Christoph Schlingensief Sie beeinflusst? Sie beide stehen für radikale Tabubrüche …
Wenn man nicht nur bürgerlichen Formalismus sucht, landet man schnell bei Schlingensief. Schlingensief ist natürlich ein Kind seiner Zeit. Seine sind sehr ironische Werke, die sich viel mit Deutschland auseinandersetzen – während für mich Deutschland und auch der Faschismus der Vergangenheit nie so ein gewichtiges Thema war. Mich interessiert mehr der Faschismus unserer Zeit. Seine Mittel waren zeitgebunden ironischer und grober als die unseren.
Es gab bei ihm auch, worum ich ihn beneide, eine größere Freiheit – heute kannst du nicht mehr als weißer Mann Nazikostüme anziehen oder einen Auschwitz-Vergleich machen. Letztes Jahr hatte ich das deutsche Stadttheater mit einem KZ verglichen und ich musste mich öffentlich entschuldigen. Die jüdische Vereinigung hat getobt, ich wurde in allen Zeitungen angegriffen, hatte kurz das Gefühl, meine Karriere ist jetzt beendet, während Schlingensief einfach ständig in SS-Uniformen rumgelaufen ist und die Leute Nazis beschimpft hat.
Viele Diskurse sind vermint, die im Poptheater von Schlingensief als Spielereien durchgingen: Man hat der Kunst diesen Spielraum gegeben. Heute wird alles sofort zu einem Skandal, der rufmörderisch ist. Das hat damit zu tun, dass die Rechte wieder so stark geworden ist. Es sind viel Freiheit und Leichtigkeit verloren gegangen. Gleichzeitig sind vielleicht auch die Konflikte, in denen wir leben, ernster geworden. Später wurde Schlingensiefs Theater dann auch ernster. Da Theater eine kollektive Form ist, beginnt man dann auch, nachzudenken, wie man der Kollektivität eine Form gibt, die nachhaltiger ist als das Aneinanderreihen von Projekten.
Vom Gefühl des Scheiterns
Raus Gefühl des Scheiterns ist verständlich: Mit „Orestes in Mosul“ schafft der Regisseur ein Projekt, dessen Prämissen vielversprechender als das Resultat sind. Die kitschige Musik, die zu Beginn ertönt, verheißt nichts Gutes, dass der Donnie-Darko-Song „Mad World“ dann gleich zwei Stunden lang fast ununterbrochen läuft, um mit seinem symbolschwangeren Titel die Absichten hinter dem Projekt zu verdeutlichen, ist nervenstrapazierend. Die Transposition der Orestie nach Mossul wirkt mau, die Verzahnung von politischer Realität und der Universalität des antiken Textes etwas zu offensichtlich. Die Abwesenheit der irakischen Schauspieler zwingt zu manchmal hölzern gespielten Reproduktionen und führt in den schwächsten Momenten dazu, dass man den Eindruck einer klischeehaften Transponierung der Situation im Irak in den wohlhabenden Westen erhält. Man merkt, dass der internationale Anspruch des Projekts auf der Genter Bühne wie eingezwängt wirkt. In den besten Momenten – wenn die Schauspieler ihre ergreifenden Lebensgeschichten erzählen oder wenn die verschiedenen Zeitebenen und -zonen (die Proben im Irak, Aischylos’ Originaltext und das Spiel auf der Bühne des NTGent) die Zeitlosigkeit der Kunst feiern – bekommt man eine schönen Einblick dessen, was aus diesem Projekt hätte werden können.
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