Luxemburg-Stadt / Ein Jahr nach dem Hochwasser: „Sobald es viel regnet, habe ich Angst“
Während Luxemburg aktuell vor Hitze nur so ächzt, sorgte vor genau einem Jahr ununterbrochener Starkregen landesweit für Überschwemmungen. Dominique Colaianni war zu dem Zeitpunkt Mitinhaber von zwei Restaurants an der Place Dargent in der Luxemburger Hauptstadt – einem der Orte im Großherzogtum, die am 14. und 15. Juli 2021 von schlammigen Wassermassen überflutet wurden. Vier Treppenstufen, ein motiviertes Team und viele treue Kunden haben dazu beigetragen, dass ein Jahr nach der Katastrophe in einem der beiden Lokale immer noch gegessen werden kann.
„Der 14. Juli weckt Erinnerungen“, stellt Dominique Colaianni fest und sein Tonfall macht deutlich: Es sind negative Erlebnisse, an die dieses Datum den Restaurantbesitzer zurückdenken lässt. Gemeinsam mit einem Geschäftspartner besitzt der 58-Jährige im Großherzogtum vier Lokale – vor dem Hochwasser im letzten Jahr waren es noch fünf. Denn während eines ohnehin schon sehr nassen Sommers führte pausenloser Starkregen am 14. und 15. Juli 2021 dazu, dass unter anderem die Place Dargent in der Hauptstadt – vielen auch als „Eecher Plaz“ bekannt – überflutet wurde. Eben dort befindet sich das Restaurant „La Mirabelle“. Gleich nebenan ist über einem geschlossenen Rollladen noch heute der Schriftzug „Sapori“ zu lesen.
„Mittwochs hat es den ganzen Tag über stark geregnet. Wir waren an dem Abend ausgebucht. Gegen 22.15 Uhr kam die Polizei und informierte uns, dass wir die Gäste wegen großer Überschwemmungen evakuieren müssten“, erinnert sich Dominique Colaianni, als er fast ein Jahr später an einem Tisch mit gestärkter Tischdecke im „La Mirabelle“ sitzt. In seiner Hand hält der Franzose mit italienischen Wurzeln sein Handy. Auf dem Bildschirm zu sehen: ein Foto vom 14. Juli 2021, aufgenommen um 22.41 Uhr. Es zeigt zwei Menschen, die auf der „Eecher Plaz“ mit Regenschirmen in der Hand durch braune Wassermassen waten. Immer noch etwas fassungslos berichtet Dominique Colaianni: „Das waren die letzten Gäste. Das Wasser reichte ihnen fast bis zur Taille. Ich hätte nie gedacht, dass der ganze Platz sich in einen See verwandeln könnte.“
Das Team und er versuchen zu retten, was noch zu retten ist. Doch der Pegel steigt in rasantem Tempo, der Strom fällt aus und es gibt kein Licht mehr. Der Geschäftsmann bekommt es mit der Angst zu tun. Kurz vor 23 Uhr verlässt Dominique Colaianni laut eigener Aussage als Letzter das „La Mirabelle“. „Wir fragten uns nur noch, was danach kommen wird. Was geschehen wird“, erinnert sich der freundliche Restaurantbesitzer. Am Donnerstag steht dann die ganze Côte d’Eich unter Wasser: Die Straßen sind gesperrt und es gibt kein Durchkommen. Erst freitags können der Geschäftsmann und seine Angestellten nach der Katastrophe wieder einen Fuß in das Lokal mit der Nummer 9 am Dargent-Platz setzen.
Fehlende Worte
Was sie sehen, verschlägt ihnen die Sprache. „Mir fehlen die Worte dafür, es war schrecklich. Im Keller stand das Wasser immer noch etwa einen Meter hoch. Nichts konnten wir behalten.“ Erneut zeigt Dominique Colaianni im Gespräch Bilder auf seinem Smartphone. Darauf zu sehen sind umgekippte Kühlschränke und kaputte Aufbewahrungsboxen. Dazwischen Obst und andere Lebensmittel. „Wie gesagt, wir befanden uns mitten im Betrieb und waren die Tage ganz ausgebucht.“ Auch auf den Bildern: viel Schlamm. Mindestens 20 Zentimeter, sagt der Restaurantbesitzer. Der Stromzähler, die Waschmaschine im Keller – kaputt. Drei Tage lang schleppen das Team und der Vorgesetzte Sachen nach draußen.
Wer vor dem schicken Restaurant auf der „Echer Plaz“ steht, muss vier Stufen nehmen, um einzutreten. Es ist diese Treppe – die etwa ein Meter hohe Erhebung – die dafür sorgt, dass der Gastraum im Juli 2021 „La Mirabelle“ weitgehend unberührt von den braunen Wassermassen bleibt. „Es kam nicht ins Restaurant. Hier waren nur die Toiletten, die Küche und eben der Keller betroffen“, erklärt Dominique Colaianni. Bei einer Besichtigung der im Untergeschoss gelegenen Räumlichkeiten weist er darauf hin, dass bald neu gestrichen werden kann. Bisher waren die Wände dafür noch zu feucht.
Dramatischer sieht die Situation am 16. Juli 2021 im „Sapori“ gleich nebenan aus. „Dort stand das Wasser etwa 1m10 hoch im Restaurant.“ Eigentlich alles – die Möbel, die Küche – ist dort kaputt. Da beide Lokale im Überschwemmungsgebiet liegen, gibt es später kaum Geld von der Versicherung zurück. Die Geschäftsführer entscheiden, das tiefer gelegene Restaurant nach rund 17 Jahren an diesem Standort nicht wiederzueröffnen. Bis heute sind sie auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten dafür. Bisher gab es für diesen Verlust noch keine finanzielle Unterstützung vom Staat, denn das Dossier liegt bis zu einer Wiedereröffnung auf Eis.
Treue Kundschaft
Insgesamt 35 Menschen zählte das Team der Restaurants an der Place Dargent, jetzt sind es noch 17. Die übrigen arbeiten laut ihrem Chef jetzt in den anderen Gaststätten der Gruppe – bis zu einer eventuellen Neueröffnung vom „Sapori“. Was das immer noch geöffnete Lokal angeht, gab es finanzielle Hilfe im Wert von 200.000 Euro. Eine wertvolle Unterstützung und doch muss Dominique Colaianni nach der Katastrophe aus eigener Tasche Geld in das Restaurant stecken. Denn während der Renovierungsarbeiten bleibt dieses geschlossen, sodass der Umsatz von drei Wochen fehlt. „Wir haben alles verloren. Ein Restaurant und die drei Wochen. Es war die totale Katastrophe“, lautet sein nüchternes Fazit.
Nach drei Wochen Renovierungsarbeiten kann das „La Mirabelle“ im August 2021 wieder öffnen. „Die Kundschaft kam zahlreich und viele kamen gleich mehrmals zum Essen. Sie sagten uns: ,Wir sind für euch da‘. Wir bekamen so viele Nachrichten, die Solidarität war einfach unglaublich. Ich habe geweint“, erzählt ein dankbarer Dominique Colaianni. Bereits 1995 hat er ein Hochwasser an der Place Dargent miterlebt und sagt nach letztem Sommer: „Sobald es viel regnet, habe ich Angst.“ Trotzdem kann er sich nicht vorstellen, auch mit dem zweiten Restaurant die „Eecher Plaz“ zu verlassen.
Die Zahlen der Katastrophe
Der Dachverband der Versicherungsgesellschaften (ACA) spricht nach dem Hochwasser vom Juli 2021 und Entschädigungen im Wert von 126 Millionen Euro vom größten Schaden in der Geschichte der Luxemburger Versicherungen. Rund 6.500 in Mitleidenschaft gezogene Wohnungen sowie Häuser und 1.300 Autos wurden der ACA gemeldet.
Etwa 90 bis 95 Prozent der Menschen sind laut dem Dachverband bisher komplett entschädigt worden. In dem Zusammenhang haben außerdem 664 Privatpersonen bis Mitte Juni 2022 beim Familienministerium einen Antrag auf finanzielle Unterstützung gestellt – wie aus einer kürzlich veröffentlichten, gemeinsamen Antwort mehrerer Ministerien auf eine parlamentarische Anfrage hervorgeht. Rund 7.163.000 Euro wurden ausbezahlt. Dem Innenministerium wurden derweil von Gemeinden Schäden in Höhe von rund 21.187.000 Euro gemeldet. Vor allem wegen unvollständiger Dossiers seien bis Mitte Juni aber erst rund 1.373.000 Euro ausbezahlt worden.
Denn zu sehr hängt sein Herz an dem Ort, an dem er vor 30 Jahren mit seinem Geschäftspartner das erste Lokal eröffnet hat. „Das hat einen sentimentalen Wert. Und wenn ich den Menschen sage, Place Dargent, dann wissen sie gleich, wo wir sind.“ Nun wollen die Geschäftspartner positiv in die Zukunft blicken und mit über das gesamte Jahr verteilten Veranstaltungen das 30-jährige Jubiläum vom „La Mirabelle“ feiern. Am liebsten würde Dominique Colaianni nicht mehr an die Ereignisse von vor einem Jahr denken. Aber, so sagt er: „Man vergisst das nicht. Die Narben bleiben. Ich hoffe, dass wir sowas nicht noch einmal erleben müssen.“
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Tja mein lieber Dominique.Dann frag mal die Leute im Müllertal.(Restaurant und Camping). Glaubst du das wäre das letzte Mal gewesen? Nein.Wir buddeln und bauen unverhohlen weiter als wäre nie was geschehen. Die Maschinen der Bauern werden immer schwerer und verdichten die Böden.Die Rohre der Entwässerungen werden immer dicker,die versiegelten Flächen immer größer( Parkplätze usw.) So jetzt reden wir vom Klimawandel,soll heißen nach Dürre kommt Flut,nach Windstille kommt Sturm. Heuer fallen in einer Stunde die Regenmassen die vor Jahren in einer Woche gefallen sind. Also.Der Rest ist einfach zu rechnen. Auf 1000 000 Einwohner! Aber jetzt da wir die Mosel demnächst anzapfen um Trinkwasser daraus zu brauen kanns ja weitergehen. Oh mei.