Sozialarbeit in Luxemburg / Ein Kaffee, eine Umarmung und ein Lachen: Das „Para-Chute“ als Anlaufstelle für Menschen in Not
Einen Kaffee, Hilfe bei administrativen Anträgen oder einfach nur eine Umarmung: Im Lokal von „Para-Chute“ am Hauptbahnhof finden Obdachlose und andere Menschen in Not schnelle und unbürokratische Unterstützung.
Donnerstagmorgen, kurz vor zehn Uhr: Rund ein Dutzend Frauen und Männer halten sich in dem kleinen Raum von „Para-Chute“ gleich neben dem Hauptbahnhof auf und genießen einen Kaffee. Einer der Anwesenden hat es besonders eilig, drängt sich vor und fordert aufgeregt, bedient zu werden. „Keine Manieren“, sagt eine Frau, die auf einem der wenigen Stühle sitzt. Sozialarbeiter Fabien Reeff greift ein und beruhigt den Mann, dann bekommt er seinen Kaffee. Er ist kein Unbekannter hier und nicht der einzige, der öfters hierherkommt. Er und die anderen Anwesenden kennen sich offenbar. „Viele von uns kommen regelmäßig“, sagt er.
Etliche „Kunden“ von Para-Chute seien Obdachlose, sagt Christof Mann, Leiter der Sozialdienste der Stadt. „Da es die erste Stelle ist, die morgens um 8.00 Uhr öffnet, kommen sie hierher, um einen Kaffee zu trinken, meistens mit viel Zucker, damit sie Energie haben für den Tag. Dann gehen sie weiter zur nächsten sozialen Einrichtung.“
Bis zu 150 Personen schauen täglich vorbei. Einige kommen nur wegen eines Kaffees, andere nehmen die administrative Hilfe in Anspruch, die ihnen hier geboten wird, wie das Verfassen von Lebensläufen oder das Ausfüllen von Anträgen für finanzielle Unterstützung. Zwei Sozialarbeiter, Fabien Reeff von der Gemeinde Luxemburg und Sandrine Solynski von der Caritas, und mehrere Freiwillige kümmern sich um die Hilfesuchenden. Eine weitere Aufgabe von Para-Chute ist es, Menschen in prekärer Lage an andere spezialisierte Hilfsorganisationen weiterzuleiten. „Ecoute, abri, assistance“ sei die Mission der Anlaufstelle. Die nationale Eisenbahngesellschaft CFL stellt das Lokal und die Getränke zur Verfügung. Am Eingang sorgt zudem, falls nötig, ein Wachmann für Ordnung.
Brennpunkt Bahnhof
Bahnhöfe auf der ganzen Welt kennen das Problem: Da sie der erste Kontaktpunkt vieler Zugereisten sind, entwickeln sie sich oft zu sozialen Brennpunkten. Luxemburg ist da keine Ausnahme. Nicht nur konzentriert sich hier die Drogenszene des Landes, auch gibt es besonders viele Obdachlose. Im Bahnhof finden sie Schutz und ein Dach über dem Kopf – sowie eine Gemeinschaft von Menschen, die sich in der gleichen Situation befinden. Eventuell können sie hier sogar ein bisschen Geld verdienen – etwa durch Betteln. Reisende betrachten die Sache oft anders: Sie sehen gefährliche Gruppen, Diebe, Unsicherheit, Drogen und Schmutz.
„Die Idee zu Para-Chute entstand 2008“, sagt Doris Horvarth, Leiterin der Abteilung Sicherheit und Umwelt der CFL. „Wir haben uns auf anderen europäischen Bahnhöfen umgeschaut, wie man dort mit der Lage umgeht.“ Auf der Suche nach einem Partner für das Projekt sei man an die Stadt Luxemburg herangetreten, die bereits andere soziale Einrichtungen auf ihrem Gebiet unterstützt. Der Name „Para-Chute“ und der umgedrehte Fallschirm symbolisieren die Hilfe für diejenigen, die tief fallen, sagt Horvarth.
Auf der Eingangstür zum Büro der Sozialarbeiter hängt das Foto eines Schildes mit der Aufschrift „Quai 7“. Dahinter würden sich die Ursprünge der Sozialarbeit am Bahnhof verstecken, erklärt Fabien Reeff. Eine Gruppe von Obdachlosen, die sich regelmäßig am Bahnsteig Nr. 7 traf, habe stets gegen eine Bahnhofsmauer gepinkelt. Die Verantwortlichen der CFL hätten daraufhin ein kostenloses Pissoir zur Verfügung gestellt. Reeff zeigt auf ein weiteres Foto, auf dem eine Gruppe von Jugendlichen abgebildet ist. „Das war die Gruppe vom Quai 7“, sagt er, und fügt hinzu: „Die sind alle schon tot.“
Am 1. März 2016 öffnete „Para-Chute“ (offiziell „Pôle social et d’orientation Para-Chute“) seine Türen. Reeff war als Mitarbeiter der kommunalen Sozialdienste an der Ausarbeitung des Konzepts beteiligt. Seit 2018 verbindet das Projekt sogar drei Partner: neben der CFL und der Gemeinde Luxemburg auch noch das Familienministerium, welches das Projekt durch die Finanzierung einer Sozialarbeiterin, Sandrine Zolynski von der Caritas, unterstützt.
Gemeinde will weiter helfen
„Der Schöffenrat hat vor, die Beteiligung der Gemeinde am Projekt noch zu erhöhen“, sagt Maurice Bauer, der zuständige Sozialschöffe der Gemeinde. Werde der Vorschlag, der demnächst dem Gemeinderat vorgelegt wird, angenommen, dann werde bald ein dritter Sozialarbeiter bzw. -arbeiterin eingestellt.
Während unseres Gesprächs bittet ein Mann Fabien Reeff, telefonieren zu dürfen. Kurz danach steht eine Ambulanz vor der Tür. Wie sich später herausstellen sollte, hatte sich der Mann eine Blutvergiftung zugezogen. Fabien Reeff verspricht dem Mann, ihn im Krankenhaus zu besuchen. „Mit solchen Sachen haben wir hier fast täglich zu tun“, sagt Reeff. „Wird den Hilfesuchenden in anderen sozialen Einrichtungen geholfen, ein ,Lebensprojekt‘ auf die Beine zu stellen, kann davon bei uns keine Rede sein“, sagt er und zeigt auf ein Schild mit der Aufschrift „Jeder Tag ohne Zettel am Zeh ist ein guter Tag“. Das Ziel der Leute, die hierherkämen, sei einfach nur zu überleben.
Seine Arbeit und die seiner Kollegen lasse sich schwer in ein paar Worten beschreiben. „Die Bandbreite ist enorm“, sagt Reeff. „Die größte Hilfe, die wir ihnen manchmal bieten können, ist ein Lachen, oder die Tatsache, dass sie hier jemanden finden, der sie in den Arm nimmt.“
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