Pilotprojekt in Remich fördert Artenvielfalt / „Ein Obstgarten mitten im Weinberg“
Schon vor 2.000 Jahren wurde an der Mosel Weinbau betrieben, die Römer sorgten für dessen Aufschwung und Weiterentwicklung. Damals wie heute handelt es sich dabei um eine vorwiegende Monokultur-Landwirtschaft. „Jeder Mensch weiß, dass Monokulturen nicht gut für die Umwelt sind“, sagt Winzerin Corinne Kox. Mit einem neuen Projekt will sie jetzt für mehr Vielfalt im Weinberg sorgen, berichtet Daisy Schengen.
„In der Bourgogne, in der Champagne – überall sieht man ein Meer an Weinreben“, erzählt Corinne Kox, während sie am 26. April die Presse zu einer Parzelle am Remicher Scheuerberg führt. An diesem Morgen stellt sie ihr neuestes Projekt vor, das sich der Artenvielfalt im Weinberg widmet.
Schon als Kind habe sie gestört, dass man im Weinberg nur eine Sorte Pflanzen vorfinde. „Ich sagte mir, ich muss hier etwas ändern oder zumindest etwas Neues versuchen.“
Neugier und Pioniergeist liegen in den Kox’schen Genen. Schon Corinne Kox’ Eltern Rita und Laurent gingen teils unkonventionelle Wege in Sachen Weinbau. Mit Qvevri-Weinen, nach georgischer Tradition im Tongefäß ausgebaut, setzten die Eltern damals bereits ein Ausrufezeichen an der Mosel. Nach der Übernahme des Domaine Laurent & Rita Kox in Remich richtete Tochter Corinne das Weingut auf die Zukunft aus. Auch das aktuelle Projekt zeichnet sich durch Pioniergeist aus, denn es ist das erste seiner Art in Luxemburg.
Lehrreicher Anfang
Ihr erster Versuch eines Mehrkulturen-Anbaus startete die Familie in einem Weinberg unweit ihres Domaine in Remich. Dort pflanzten sie 2019 Wintergemüse an. Ihr Mut wurde mit einer reichen Ernte beschenkt. Aber um jedes Jahr eine solche Ernte einzufahren, muss man kontinuierlich den Boden bearbeiten. „Ich war mir aber unsicher, ob das der richtige Weg für alle Weinberge war“, erzählt die Winzerin.
Also suchte sie nach anderen Möglichkeiten, mehr Abwechslung in den Weinberg zu bringen. Und zwar solche, die sich für jedes Areal, wo sie Weinberge bewirtschaftet, eignen. Im Winter 2020 pflanzte Corinne Kox die ersten Bäume in der Parzelle „Mosella“ in Stadtbredimus. Gleichzeitig vertiefte sie sich in die Materie und pflanzte Obstbäume und Sträucher auf zwei weiteren Parzellen.
Seitdem verfolgt die promovierte Biologin ihr Konzept der Weinforstwirtschaft, einer speziellen Form der Agroforstwirtschaft, konsequent weiter. Dafür ging sie 2022 nach Bordeaux, um noch mehr darüber zu lernen und sich gleichzeitig mit anderen Winzern aus der Gegend auszutauschen.
Nach nur zwei Jahren seit den ersten Schritten setzte die Fachfrau ihr Konzept auf drei Parzellen um: auf der „Mosella“, der „Fille d’Ausone“ (Remich) und auf „Joala“, auf dem Remicher Scheuerberg.
Obstgarten trifft Weinreben
Die sogenannte Weinforstwirtschaft zeichnet sich durch mehrere Vorteile aus: Sie verbessert die biologische Vielfalt im Boden des Weinbergs, hilft, die Auswirkungen der Klimaextreme abzuschwächen, die Kohlenstoffspeicherung zu optimieren sowie zusätzliche Biomasse zu gewinnen und gleichzeitig die Holzproduktion vor Ort zu unterstützen.
Weinforstwirtschaft lässt sich vielfältig umsetzen: mithilfe von Baumreihen, Sträuchern oder Hecken zwischen den Rebreihen oder aber auch als Umrandung der Parzellen. Die dritte Möglichkeit, wofür sich auch Kox entschied, war, die Obstbäume und -sträucher zwischen den Rebzeilen zu pflanzen.
Besondere Tropfen
Auf dem Areal am Scheuerberg will die junge Winzerin ein Projekt für mehr pflanzliche Artenvielfalt und Bodenverbesserung starten. „Ein Obstgarten mitten im Weinberg“, fasst Corinne Kox ihr Konzept griffig zusammen. „Die Idee ist, Bäume und andere Kulturen mit den Weinbergen zu verbinden.“
Das Projekt trägt den klangvollen Namen „Orchard“, das so viel wie „Bongert“, Obstgarten, bedeutet. Der Name bezieht sich auf die Philosophie zur Artenvielfalt und gleichzeitig auf den Standort der Kellerei, der als „der grousse Bongert“ in Remich bekannt ist. Bei den Produkten, die aus dem Projekt entstehen, handelt es sich um klassische Weine. Bei ihrer Herstellung soll so wenig wie möglich eingegriffen werden, erklärt Kox im Tageblatt-Gespräch. Bei den „Orchard“-Weinen gehe es nicht um „Opportunismus des Besten“, fügt die junge Winzerin hinzu, sie sollen viel mehr für die Besonderheit und Individualität des Ortes stehen.
„Verantwortung für das Ökosystem“
Die Parzelle nahe Remich wurde fürs Pilotprojekt ausgewählt, weil sie bereits von einem kleinen Wald und Wiesen umsäumt und dank der bestehenden Pflanzenvielfalt eine ideale Ausgangsbasis für Weinforstwirtschaft bietet. Auch die Quelle der „Heedbaach“ entspringt am Rande des Grundstücks. Der lehmhaltige Boden schließt das Wasser in seinem Inneren ein und sorgt so für eine ausreichende Versorgung der Pflanzen, was wiederum ein weiteres Argument für die Wahl der Parzelle war.
Gleichzeitig befindet sich die Parzelle in einem Natura-2000-Naturschutzgebiet, wo die Vereinigung „Natur&Ëmwelt“ die Artenvielfalt beobachtet. In dieser Gegend lebt außerdem eine Fledermauskolonie, sodass auch dies bei den Überlegungen zum Weinforst miteinbezogen wurde.
„Meine persönliche Überzeugung ist, dass ein Weinberg nicht nur dafür da ist, um Trauben zu produzieren. Wir sind ein Teil eines Ökosystems und haben eine gewisse Verantwortung, das zu schützen, was wir haben.“ Die Auswirkungen des Klimawandels und der Verlust von Vielfalt bei Flora und Fauna sind inzwischen deutlich sichtbar, sodass es höchste Zeit sei, zu handeln, sagt Kox.
Welche Bäume genau gepflanzt werden, hängt von vielen Faktoren ab. Ein Baum kann Fledermäuse und Vögel anziehen, da diese erhöhte Objekte brauchen und sie so in die Weinberge angezogen werden. Außerdem bieten Blüten, Blätter und Äste ideale Nahrungsquellen und Lebensräume für Insekten und sorgen beim Abfallen und Verrotten für eine erhöhte Bodenaktivität.
Die „Orchard“-Weine
Für den Jahrgang 2020 wurden auf der Lage „Mosella“ 694 Flaschen produziert, 2021 waren es mit 538 Flaschen etwas weniger. Es handelt sich dabei um einen trockenen, mineralischen Weißwein, der sich durch eine spontane Gärung und einen Ausbau auf der Feinhefe während acht Monaten im Tank auszeichnet.
In der Nase zaubert er ein delikates Bukett mit Noten von gelben Früchten, Zitrusfrüchten und Frühlingsblumen. Am Gaumen präsentiert sich der „Mosella-Orchard“-Wein geradlinig, mit einer leichten Salzigkeit.
„Fille d’Ausone“: Für den Jahrgang 2020 wurden 271 Flaschen produziert, 2021 waren es mit 504 fast doppelt so viele. Auch steht ein trockener Weißwein im Mittelpunkt, der jedoch in Barrique-Fässern vinifiziert und ausgebaut wird. Während acht Monaten darf der edle Tropfen auf der Feinhefe liegen. Er überzeugt mit Noten von gelben Früchten, Butter, Vanille und Lindenblüten. Am Gaumen zeigt er sich rund, frisch und ausgewogen, leicht vom Holz geprägt.
Auf die Weine der Lage „Joala“ muss man noch etwas warten. Die erste Lese wird für 2026/2027 erwartet.
Wer neugierig auf den Geschmack dieser besonderen Weine geworden ist, kann den Jahrgang 2021 beim Domaine Kox noch verkosten. Die Tropfen des Jahrgangs 2020 hingegen sind bereits vergriffen, hieß es auf Nachfrage.
Wachsen und gedeihen
Ein entscheidendes Argument für Vielfalt im Weinberg dreht sich um Mikroorganismen. Neuere Studien bescheinigen den Böden im Weinbau sehr wenige Bakterien und Pilzkulturen. Um sie dorthin zahlreich anzuziehen, braucht es Wurzeln und organisches Material.
Das Areal am Scheuerberg befindet sich an einem kühleren Ort mit überwiegend lehmhaltigem Boden. Besonders auf Flächen mit dieser Bodenbeschaffenheit haben Bäume dickere und tiefere Wurzeln und „öffnen“ so die Erde, schildert die Winzerin.
So wurden bereits kleine Schritte unternommen, um die Gesundheit des Bodens zu verbessern, indem die Räume zwischen den Reihen mit Pflanzen bedeckt wurden. Denn „offener, unbedeckter Boden trägt zu einem Anstieg der Treibhausgasemissionen bei“, erklärt Kox. Während der Lese im vergangenen Jahr säte sie auf den Lagen „Joala“ und „Fille d’Ausone“ Gründüngung aus, um eine noch größere Pflanzenvielfalt zu fördern.
Der Name der Parzelle und der Wein, der hier entsteht, wird „Joala“, vom französischen „joualle“, lauten. Dieser alte okzitanische Begriff steht für Landwirtschaft, die auf Kulturvielfalt aus Obstbäumen, Gemüse und Weinbergen beruht, erklärt Corinne Kox ihren Zukunftsgedanken.
Zwischen den Reben wachsen jetzt Obstbäume, von jeder Obstsorte jeweils ein Baum. Dazwischen nehmen kleine Sträucher und (Kräuter-)Hecken Platz. Von Apfel, Birne bis hin zu Johannis- und Stachelbeere – die Vielfalt zwischen den Rebzeilen kann sich sehen lassen.
Der Weinausbau konzentriere sich auf das Wesentliche, schildert Kox: auf die Trauben, unabhängig von ihrer Rebsorte, auf die einheimische Flora und auf so wenig menschliche Eingriffe wie möglich. Die „Orchard“-Weine geben den Charakter ihres Terroirs wieder, das Weinsortiment entstehe aus „der lebhaften Stimmung der Winzerin“, sei vielfältig und authentisch zugleich, beschreibt die Macherin ihre neuen Kreationen.
Historisch verbunden mit der Mosel
Die klangvollen Bezeichnungen der Lagen für die Weine des Weinforstprojekts von Corinne Kox sind nicht zufällig gewählt. Jede für sich ist historisch gewachsen und zeugt von der tiefen Verbundenheit der Winzerin mit ihrer Heimat.
Der Name „Mosella“ wurde für diese Parzelle aufgrund ihrer Nähe zum Fluss gewählt. Dieser Weinberg, der sich auf dem Remicher Scheuerberg befindet, blickt auf die Mosel. Der lateinische Name des Flusses bot sich dafür nahezu an, da „Mosella“ auch der Titel einer Erzählung des gallo-romanischen Dichters Ausonius ist. Darin beschreibt er den Fluss und die Landschaft, die er durchquert. Die Reisebeschreibung in Versform ist das einzige überlieferte Gedicht, das sich einem Fluss widmet.
Und auch bei der Namensgebung zur „Fille d’Ausone“ spielte Ausonius, der als Lehrer nach Trier berufen wurde, um den Sohn des Kaisers Valentinus zu unterrichten, eine entscheidende Rolle. „Fille d’Ausone“ (zu Deutsch: „Tochter des Ausonius“) bezieht sich auf die Wurzeln der jungen Winzerin in der Moselregion.
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