/ Trotz „innigem Wunsch“ von Großherzog Jean: Wieso Johann der Blinde immer noch keine eigene Grabkammer hat
Großherzog Jean wird am Wochenende in der Krypta der Kathedrale beigesetzt. Dort befindet sich neben der Grabstätte des Hauses Nassau-Weilburg auch der Sarkophag von Johann dem Blinden. Und eigentlich sollte die Grabkammer des mittelalterlichen Königs längst zu einem europäischen Erinnerungsort ausgebaut sein. Doch bis heute sind diese Pläne nicht umgesetzt worden.
„Es war ein inniger Wunsch von Altgroßherzog Jean“, schrieb der Historiker Michel Pauly 2001 in der Zeitschrift forum. „Sein berühmter Vorfahre, auf dessen Namen er getauft worden war, sollte endlich eine würdige Ruhestätte erhalten.“ Auch die Regierung um Staatsminister Jean-Claude Juncker (CSV) war gegen Ende des Jahrtausends von dieser Idee überzeugt. Johann der Blinde, spätmittelalterlicher Graf von Luxemburg und König von Böhmen, sollte eine neue Grabkammer in der Krypta der Kathedrale Notre-Dame erhalten.
Premierminister Juncker ließ deshalb 1999 einen Architektenwettbewerb ausschreiben. Es gab Bewerbungen und einen Gewinner. Doch der „innige Wunsch“ von Großherzog Jean blieb unerfüllt, das Projekt ist bis heute nicht realisiert worden.
Jim Clemes war damals der Sieger der Ausschreibung. Und der Architekt aus Esch kann bis heute seine Enttäuschung darüber, dass er das Projekt nie umsetzen durfte, kaum verbergen. Er spricht von „einer großen Ernüchterung“ und von einem „unwürdigen Umgang“ mit den sterblichen Überresten von Johann dem Blinden sowie der eigenen Geschichte.
Europäische Grabkammer für Johann den Blinden
Clemes gilt als renommierter Architekt, zahlreiche Orte in Luxemburg tragen seine Handschrift: Das Friedensgericht in Esch, „Les Thermes“ in Strassen, die Wassertürme in Düdelingen und Gasperich oder auch der Bahnhof auf Belval – nur einige seiner Projekte.
Für den Wettbewerb zum Ausbau der Krypta hatte er gemeinsam mit dem Objektkünstler Nico Thurm Pläne entworfen. Die Idee: dem blinden König eine europäische Grabkammer errichten. Denn während die Historiker des 19. Jahrhunderts noch in Johann dem Blinden einen dezidiert nationalen Helden sahen, wollte Clemes im Luxemburger Grafen und böhmischen König eine Figur der europäischen Geschichte sehen.
Genau mit dieser Vorstellung konnte er damals punkten. Premierminister Juncker war von der europäischen Deutung des Ritters begeistert. Denn sie kam gerade zur rechten Zeit. Im Zuge der Osterweiterung der EU sah Juncker im Rückgriff auf europäische Geschichte ein verbindendes Moment. Und mit Johann dem Blinden, der auch in Tschechien als nationaler Held gilt, bot sich eine geradezu perfekte historische Figur an, um eine europäische Identität zu schaffen. Kurzum: eine Grabkammer als Verlängerung der Politik mit anderen Mitteln.
Abenteuerliche Nachtod-Erfahrung
Johann der Blinde gilt dabei seit Jahrhunderten als mythische Figur. Sein Tod brachte ihm Heldenstatus, aber keine Ruhe. Seine Gebeine haben eine abenteuerliche Nachtod-Erfahrung hinter sich. Sie wurden verschleppt, versteckt und erobert. Nach seinem Tod 1346 in der Schlacht bei Crécy wurde der einbalsamierte Leichnam in der Münsterabtei in Luxemburg beigesetzt. Aufgrund von Kriegen und Bränden wurde er gleich mehrmals innerhalb Luxemburgs verlegt, bis Mönche die Überreste in den Felsengruben im Grund vor französischen Revolutionstruppen Ende des 18. Jahrhunderts verbargen.
Über Umwege gelangten die Gebeine Anfang der 1830er-Jahre in den Besitz der preußischen Hohenzollern. Der Kronprinz von Preußen, Friedrich Wilhelm, sah in Johann einen bedeutenden deutschen Vorfahren und ließ dem blinden König bei Kastel an der Saar eine Grabkapelle errichten.
Als Mitte des 19. Jahrhunderts die Vorstellung einer nationalen Luxemburger Gemeinschaft an Attraktivität gewann, gab es mehrere Initiativen, Johann – von nun an Luxemburger Nationalheld – aus „dem fremden Lande“ in die Heimat zu holen. Allerdings scheiterten diese Versuche allesamt. Das lag jedoch nicht am Widerstand der Preußen. Im Gegenteil: Diese waren bereit, die Gebeine nach Luxemburg zurückzuführen. Unter der Bedingung, dass die Luxemburger eine würdige Grabkapelle errichten würden. Doch das gelang nicht; selbst auf dem Wege einer öffentlichen Ausschreibung konnten sie das nötige Kapital für die Beherbergung ihres nationalen Kulturerbes nicht aufbringen.
Baukosten von über 5 Millionen
Eine günstigere Gelegenheit bot sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Luxemburger Truppen um den Nationalisten Siggy Koenig brachten den Sarg Johanns des Blinden 1946 nach Luxemburg zurück. Und stellten ihn provisorisch vor den Eingang der Krypta, die kurz vor dem Krieg als Grabkammer für die großherzogliche Familie unterhalb der Kathedrale angelegt wurde. Ein halbes Jahrhundert verharrte der Sarkophag des blinden Königs an seinem provisorischen Platz. Bis Großherzog Jean und Staatsminister Juncker den Anschub für die Idee eines Architekturwettbewerbs gaben.
Doch warum geriet das Projekt ins Stocken? Warum ist die Grabkapelle trotz prominenter Unterstützer nie gebaut worden? Darauf will niemand eine konkrete Antwort geben. Laut Alex Langini, Kulturhistoriker und Diözesankonservator, war es tatsächlich ein Anliegen von Altgroßherzog Jean, eine große Grabkammer zu bauen. Der provisorische Zustand war „lieblos“ und hatte zur Folge, dass der Sarkophag zu Schaden kam.
Es sei auch im Sinne des Bistums gewesen, eine bessere Lösung zu finden. Da die Kathedrale jedoch im Besitz der Stadt Luxemburg sei und es sich um ein staatliches Projekt handele, sei es eine außerkirchliche Angelegenheit. Langini zufolge waren es wohl finanzielle Erwägungen, die das Denkmalprojekt zum Erliegen brachten.
Das Kulturministerium bestätigt das. Aus finanziellen Gründen habe man davon abgesehen. Das Projekt sei irgendwann in der Verwaltung der öffentlichen Bauten begraben worden. Wie hoch die Kosten waren, kann oder will auch niemand so recht mitteilen. Nur so viel: Sie sollen weit unter 5 Millionen Euro gelegen haben.
Das Projekt ist tot, es lebe das Projekt
Clemes selbst will sich zu den Gründen nicht äußern, gibt jedoch zu verstehen, dass es wohl nicht nur finanzielle Erwägungen waren, die das Projekt kippten, sondern vielmehr politische. Der Architekt ist dabei weiterhin vom Projekt überzeugt: „Ich würde es immer noch gerne realisieren.“ Zwar seien einige Pläne beim Großband seines Architektenbüros in Esch im Dezember 2014 zerstört worden, aber daran sollte es laut Clemes nicht scheitern.
Unterstützung erhält das Projekt derweil vom Altstadt-Komitee. Der gemeinnützige Verein der Hauptstadt, der für die Organisation der traditionellen „Éimaischen“ verantwortlich ist, will Lobbyarbeit betreiben und das Projekt wiederbeleben. „Wir halten das Denkmal für eine großartige Idee und wollen helfen, es umzusetzen“, erklärt Präsident Guy Jourdain. Architekt Clemes zeigt sich erfreut über die unerwartete Rückendeckung, die er 20 Jahre nach Wettbewerbsgewinn erhält. Er gibt allerdings zu bedenken: „Man kann nur hoffen, dass der Umgang mit Großherzog Jean besser sein wird als der mit Jang de Blannen.“
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Über Johann den Blinden gibt es eine Unmenge Halbwahrheiten und Legenden. Sein Heldentod in der Schlacht von Crécy hat ganze Generationen zu Tränen gerührt. Ob es sich tatsächlich so zugetragen hat wie die Überlieferung behauptet, ist eine andere Frage .
Ausserdem wird von seinen sterblichen Überresten kaum mehr übrig sein als eine Handvoll Asche. Demnach wird eigentlich nur der Sarkophag zu einem Pilgerort für realitätsfremde mittelaterliche Nostalgiker. Die Toten sollte man ruhen lassen.
Baut eppes fir déi Lieweg, déi Doudeg ginn ouni eis eens.