2. Anne & Françoise Groben-Preis / Dirigent Roland Kluttig im Gespräch über Nachwuchstalente
Am vergangenen Donnerstag wurde zum zweiten Mal der „Anne und Françoise Groben“-Preis des „Orchestre de chambre Luxembourg“ an aufstrebende Nachwuchstalente vergeben. Wir trafen den Dirigenten Roland Kluttig bei den Proben zum Finalkonzert auf ein Gespräch.
Tageblatt: Herr Roland Kluttig, Sie sind gerade bei den Proben zum Finalkonzert. Wie läuft es?
Roland Kluttig: Ich bin überrascht, auf welch hohem Niveau die fünf Finalisten (Sieger Matis Grisó, Yanis Grisó, Isabelle Kruithof, Christophe Pütz, Colin Toniello; d.Red.) spielen. Jeder von ihnen hat das Zeug, den Preis zu gewinnen. Am Ende haben wahrscheinlich Kleinigkeiten entschieden. Aber ich bin überzeugt, jeder dieser fünf Musiker wird seinen Weg machen. Der Preis bzw. die Teilnahme an diesem Wettbewerb ist ja eine Belohnung und eine Aufmunterung, die zeigen soll: Schau, wir haben dein Talent erkannt und geben dir die Möglichkeit, jetzt in die Öffentlichkeit zu treten. Was jeder Teilnehmer für sich im Kopf hat, sei es eine Solokarriere, sei es Kammermusik oder sei es, in einem Orchester zu spielen, weiß ich nicht, aber durch eine solche Initiative wird er auf jeden Fall gefördert. Der Rest wird sich dann im Laufe der kommenden Jahre zeigen.
Unser letztes Gespräch haben wir während der Corona-Krise telefonisch geführt. Was hat sich dadurch für die musikalische Szene eigentlich verändert?
Es sind gerade die jungen Musiker, die unter den Folgen der Corona-Krise zu leiden hatten – vor allem ist viel an Negativem durch die Schulschließungen passiert, was weit über die Musik hinausgeht. Plötzlich waren die jungen Musiker alleine. Und als Musiker möchte man ja spielen, auftreten, in einem Orchester, einem Ensemble spielen oder Kammermusik machen. Die Entwicklung des Musikers geschieht durch das Spiel. Und wenn es da eine plötzliche Pause von zwei Jahren gibt, dann hat das verheerende Folgen. Ich habe aber auch gemerkt, dass nach Corona plötzlich ein ganz neues, junges Publikum da war. Den Veranstaltern, insbesondere in den nordischen Ländern, ist es tatsächlich gelungen, über die sozialen Medien und eine geschickte Aufbauarbeit junge Menschen für die Musik direkt anzusprechen und zu begeistern. In Deutschland ist man allerdings noch weit von solchen Initiativen entfernt.
Wie wichtig sind denn gerade heute die Wettbewerbe für junge Musiker?
Ein Wettbewerb ist ein Wettbewerb – also sehr wichtig für die Teilnehmer, aber er bestimmt nicht darüber, ob eine Karriere in Gang kommt oder nicht. Da müssen so viele Fakten zusammenkommen. Ein Wettbewerb ist für einen Musiker immer ein Heraustreten aus einem Kokon. Jede Initiative, die geschaffen wird, um jungen Musikern ein Forum zu geben, eine Bühne zu bieten, ist wichtig. Schauen Sie, der Groben-Preis besitzt zwar nicht das Renommee eines „Reine Elisabeth“, gibt aber trotzdem jungen Musikern die Möglichkeit, mit einem Orchester zu arbeiten und sich einer Konkurrenz und einem Publikum in einem akustisch erstklassigen Saal wie der Philharmonie Luxemburg zu stellen. Der Groben-Preis ist ein lokaler Preis. Ich denke, es ist seine Aufgabe, einen jungen Musiker aus Luxemburg regional zu positionieren und ihm hier Möglichkeiten zu schaffen und dem jungen Gewinner, wie auch den anderen Finalisten, Türen zu öffnen. Schauen Sie auf den Cellisten Benjamin Kruithoff, der die erste Ausgabe des Groben-Preises vor sieben Jahren gewonnen hat. Er wurde dadurch ermutigt, ist seinen Weg weitergegangen, hat anschließend den Enescu-Preis in Bukarest gewonnen und ist auf dem Sprung, eine internationale Karriere zu machen.
Was sind denn die Voraussetzungen, die ein junger Musiker mitbringen soll?
Auf jeden Fall ein langer Atem, denn eine Karriere kommt nicht von heute auf morgen. Selbst als Orchestermusiker muss man meistens etliche Vorspiele machen und somit oft abgelehnt werden, ehe man seine Stelle gefunden hat. Ehrgeiz ist enorm wichtig; ohne ständiges Üben, Lernen, Ausprobieren kommt man nicht weiter. Musik machen ist harte Knochenarbeit. Sehr wichtig: Man muss sich bemerkbar machen, sich zeigen. Wenn man nur im stillen Kämmerlein vor sich hinspielt, dann wird es nichts mit einer Karriere, so gut man auch sein mag. Also, auf die Bühne und spielen! Es ist an sich egal, ob man jetzt auf der Bühne der Carnegie Hall spielt oder in einem kleinen Saal eines Kulturhauses. Wenn man sein Bestes gibt, dann erfreut man die Menschen. Und Menschen gibt es überall. Die jungen Musiker des Groben-Wettbewerbs kommen alle aus Luxemburg, sie studieren zwar in München oder Amsterdam, sind aber hier verwurzelt. Und sollten dann auch zuerst diese Möglichkeiten ergreifen, die sich ihnen hier in ihrem Umfeld bieten.
Man muss jungen Musikern auch die Möglichkeit zur Veränderung eines Orchesters geben und sich nicht vor ihrem Können und ihrer Spiellust verschließenDirigent
Luxemburg gilt bei vielen immer noch als Provinz, die in den Köpfen der Menschen immer etwas Zweit- oder Drittklassiges darstellt – doch der Großteil der Musiker weltweit spielt hauptsächlich in der Provinz.
Genau, die sogenannten Weltstars bilden nur die Spitze der Pyramide. Da darf man sich schon wünschen, hinzukommen, aber die Realität sieht leider anders aus. Genauso bei den Toporchestern. Die freien Stellen bei den Berliner Philharmonikern, den Wiener Philharmonikern oder dem Concertgebouw sind selten und sehr begehrt. Selbst bei den Orchestern der sogenannten zweiten Reihe stehen die Anwärter Schlange. Als jemand, der in der Provinz Chefdirigent war, nämlich in Coburg, muss ich allerdings eine Lanze für die sogenannte Provinz brechen. Als ich damals in Coburg war, hatte ich die Möglichkeit, junge Musiker zu engagieren, die vorher beim European Union Youth Orchestra oder dem Gustav Mahler Jugendorchester gespielt und somit mit Dirigenten wie Claudio Abbado oder Franz Welser-Möst gearbeitet hatten. Die jungen Musiker waren sich nicht zu schade und haben ihre Chancen realistisch eingeschätzt – sie sind mit viel persönlichem Engagement und großer Lust auf Musik nach Coburg gekommen. Wenn man das Glück hat, solche dynamischen Musiker im Orchester zu haben, dann kann man auch verkrustete Strukturen nach und nach von innen aufbrechen und aus einem ehemaligen Beamtenorchester ein wirklich gutes Ensemble machen. Man muss jungen Musikern auch die Möglichkeit zur Veränderung eines Orchesters geben und sich nicht vor ihrem Können und ihrer Spiellust verschließen. Es hängt viel von der Haltung der jungen Musiker ab, wie sich die musikalische Landschaft entwickeln wird. Heute haben wir so tolle und frische junge Musiker, dass wir überall qualitativ aufrüsten könnten. In diesem Sinne bietet gerade die Provinz ein enormes Wachstumspotenzial.
Ich habe seit einigen Jahren den Eindruck, als habe sich die Welt der Kammermusik in der Tat durch junge Musiker komplett verändert.
Das stimmt. Früher war die Kammermusik einigen ehrwürdigen Ensembles vorbehalten und man setzte eine gewisse Altersreife voraus. Heute ist es aber so, dass es unheimlich viele Meisterklassen gibt, und dass die jungen Musiker so gut ausgebildet sind wie noch nie. Viele der großen Kammerensembles machen sich eine Freude daraus, ihr Wissen und Können an die junge Generation weiterzugeben. Da ist seit einigen Jahrzehnten eine solche Dynamik entstanden, dass es die Kammermusik quasi aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt hat und diese sich vor allem des Klischees entledigt hat, sie sei nur etwas für ein elitäres Publikum. Wir sind jetzt schon bei der dritten Generation von Kammermusikensembles angelangt, die ihr Wissen weitergibt und immer wieder neue Möglichkeiten für die darauffolgende Generation schafft. Jetzt kommt es darauf an, dass man diese Qualität, die sich in der Kammermusik jetzt etabliert hat, auch in die Orchesterarbeit nimmt. Leider muss ich sagen, dass die Orchesterarbeit an verschiedenen Hochschulen etwas an den Rand gedrängt wird. In den skandinavischen Ländern ist das ganz anders. Da wird sehr intensiv innerhalb der Orchester gearbeitet und die Ideen kommen demnach auch aus dem Orchester, nicht von einem Dirigenten oder der Verwaltung. Das Orchester bestimmt selbst, wie es spielen will. Und wenn der Orchestermusiker selbst mitbestimmen kann, dann kann das nur zu einer Verbesserung der Qualität führen. Wenn sich diese Demokratisierung im Orchesterbereich einmal überall durchgesetzt hat, wird das Resultat dieser neuen Qualität für junge Musiker ungeahnte Möglichkeiten bieten. Davon bin ich überzeugt.
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