Gesellschaft / Eine andere Normalität: Radikalisierung und psychische Gesundheit
Inwiefern hängen Radikalisierung und psychische Gesundheit zusammen? Diese Frage steht im Mittelpunkt einer Fachtagung, die am 23. und 24. November in Belval stattfindet. Organisiert wird sie von „respect.lu“, dem Zentrum gegen Radikalisierung.
„Ihr seid also die Erfüllungsgehilfen dieses freiheitsraubenden Systems“, waren die Begrüßungsworte eines seiner „Kunden“. Der Psychologe Peter Kagerer von „respect.lu“ erinnert sich noch genau an diesen Satz, der für ihn sehr gut die Gedankenwelt widerspiegelt, in der sich Betroffene glauben zu befinden. „In Fällen von Radikalisierung haben wir es mit Menschen zu tun, die etwas ganz anderes als normal empfinden als die Mehrheit der Leute“, sagt Kagerer.
„Der helle Wahn – oder doch ganz normal?“, lautet der Titel seines Vortrags, den er im Rahmen der oben erwähnten Fachtagung hält. Das sei keineswegs provokatorisch gemeint, es gebe aber keine eindeutige Antwort. „Allein schon, was normal ist, ist recht schwierig zu definieren.“ Es sei wichtig zu verstehen, dass es bei der Arbeit von Psychologen nicht um Schuldzuweisung geht; es gehe vor allem darum, die Beweggründe der Menschen zu verstehen. Es sei allerdings ein altes Vorurteil gegenüber der Psychologie, dass sie die Erklärung einer Tat als „mildernden Umstand“ darstelle.
Stressabbau durch Gewalt
Bei der Ursachenforschung von radikalen Taten und Äußerungen begegnen Psychologen wiederkehrenden Themen wie Empörung über Zustände in der Gesellschaft, ein einhergehendes Ohnmachtsgefühl, das Gefühl, die eigene Meinungsfreiheit sei eingeschränkt, und sozialer Neid („Anderen geht es gut, warum mir nicht?“). Und die manchmal darauffolgende Gewalt trage dazu bei, den Stress abzubauen: „Es ist wie eine Entladung, man lässt Dampf ab“, erklärt Kagerer. Und es gebe so etwas wie eine Protestindustrie, die das ausnütze. In Krisenzeiten, wie z.B. Corona, gebe es Zeitfenster, in der gefährdete Personen empfänglicher für radikale Angebote sind.
Der Ursprung einer Radikalisierung sei meistens eine Krise, durch die die Person aus dem Gleichgewicht gerate. Jeder mache Lebenskrisen durch. Darauf folge oft eine Suche nach Gemeinschaft, man wolle sich wohler fühlen, ergänzt Karin Weyer, Geschäftsführerin von SOS Radicalisation Asbl., dem Trägerverein des Zentrums „respect.lu“.
Auch auf die Frage, warum und wie sich jemand radikalisiere, gebe es nicht die eine Antwort. Pauschalisierungen wie „unglückliche Kindheit“ oder „zerrüttetes Elternhaus“ greifen hier nicht. Kagerer nennt als Beispiel einen der Attentäter des 11. September 2001 in New York: Mohammed Atta kam aus einer gutbürgerlichen Familie und hatte einen Hochschulabschluss als Architekt und Städteplaner.
2017 nahm „respect.lu“ seine Arbeit auf. In Folge der Attentate 2015 in Paris und Brüssel war die Regierung der Meinung, man brauche eine Einrichtung, die die Gefahr der Radikalisierung bekämpft und den Personen, die von Extremismus und gewalttätiger Radikalisierung betroffen sind, eine Beratung bietet.
Auch für Karin Weyer gibt es nicht den „typischen“ Radikalen. Um allgemeine Aussagen bezüglich eines bestimmten Typus zu machen, sei das Zahlenmaterial in Luxemburg sowieso zu dürftig. 2021 betreute „respect.lu“ 49 „radikalisierte“ Personen. Die meisten der Betroffenen befinden sich in den Alterskategorien der 12- bis 18-Jährigen und der über 30-Jährigen. Einige seien über 60, sogar über 70 Jahre alt. Alle Bildungsstände seien vertreten.
Gewaltfantasien
Bei ihrer Arbeit sind die Mitarbeiter an die Schweigepflicht gebunden, außer es besteht Selbst – oder Fremdgefährdung. Wie bei dem Mann, der Gewaltfantasien hatte, und sich fragte, wie er an einen Lkw kommen könnte, um sie damit in die Tat umzusetzen. In dem Fall wusste die Therapeutin, dass sie ihre Schweigepflicht brechen und die Behörden verständigen musste.
Die „Kunden“ kommen auf drei Wegen zu „respect.lu“. Das sind zum ersten die Menschen, wegen deren Äußerungen sich Bekannte, Verwandte oder Erzieher Sorgen machen und deswegen Kontakt mit dem Zentrum aufnehmen. Dann gibt es solche Personen, denen von der Staatsanwaltschaft oder gar vom Gericht ein Deradikalisierungs-Workshop auferlegt wurde. Dann gibt es noch eine dritte Gruppe, nämlich die Menschen, die für sich selbst Hilfe suchen. Das sei aber sehr selten, es gebe nur ein bis zwei Fälle pro Jahr, so Karin Weyer.
Etliche ihrer Kunden würden zu Beginn ihrer ersten Sitzung kritisieren, dass das sinnlos sei, aber sich am Ende sofort nach dem nächsten Termin erkundigen. Der springende Punkt sei, dass man den Betroffenen zuhöre. Sie hätten Fälle von über 60-Jährigen, die sagten: „Mein ganzes Leben hat mir noch nie jemand zugehört.“
Die Vereinigung
Die Vereinigung „SOS Radicalisation Asbl.“ wurde am 5. Mai 2017 mit dem Ziel gegründet, Gefährdungen der luxemburgischen Gesellschaft durch alle Formen der Radikalisierung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenzuwirken. Seit Juli 2017 verwaltet die Vereinigung das Zentrum „respect.lu“ zur Prävention und Beratung. Seine Aufgaben umfassen drei Bereiche: Prävention, Begleitung und Deradikalisierung.
Fachtagung
Mit der Fachtagung „Ist das noch gesund? – Radikalisierung und psychische Gesundheit“ will respect.lu einen Beitrag zu einem differenzierteren Verständnis der Zusammenhänge von Radikalisierung und psychischer Gesundheit leisten. Dabei werden Themen wie z.B. „toxische Männlichkeit“ oder „Dummheit und Radikalisierung“ behandelt.
Am 23. und 24. November, IFEN Belval, 3-5, avenue de la Fonte, L-4364 Esch/Alzette
Info: respect.lu
188 Anzeigen
188 Anzeigen gab es voriges Jahr in Luxemburg wegen Anstiftung zum Hass. Die Täter seien vor allem aus dem extrem-rechten Lager und würden vorwiegend über soziale Netzwerke ihre Botschaften verbreiten, heißt es im offiziellen Polizeibericht von 2021.
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Die Realität ist ja oft anders. Wenn ich zum Beispiel der Meinung bin, dass die Welt stetig ungemütlicher wird (bzw. an Lebensqualität verliert) und täglich das Gegenteil von Politikern höre (dass alles positiver wird) (Stau, Renten, Kaufkraft, Wohnraum), dann kann ich nur noch die Medien als Sprachrohr benutzen, um das Gegenteil darzulegen. Beispiel: Wir investieren Milliarden jedes Jahr in die Heilung von Krankheiten, könnten aber sicher mit Investitionen in die Lebensqualität einen Grossteil von Kranken von diesen Krankheiten verschonen. Jedenfalls, ich liebe euch Querdenker, Freidenker, Revolutionäre, Systemkritiker usw. und ich hoffe die Meinungsfreiheit wird NICHT wie immer eingeengt. Wer argumentiert, sollte nicht als Hassprediger dargestellt werden.
1933 wurden meine katholischen Eltern, 1911 und 1916 in Luxemburg geboren, von autoritär denkenden und handelnden (klerikalen) Autoritäten überwältigt und zu radikalisierten Erfüllungsgehilfen ausgebildet. Ab 1942 wurden sie von den Überwältigern verlassen und sich selber überlassen. Solche traumatisierten Opfer leiden lebenslang am Stockholm-Syndrom, d.h. sie identifizieren sich lebenslang mit dem Aggressor.
Diese Identifikation wirkt generationenlang. Hiervon betroffene Menschen suchen (unbewusst) nach Triggern, d.h. nach gesellschaftlich konfliktbeladenen Themen, bei denen sie ihre tief sitzenden mentalen Strukturierungen äußern können. Der brandstiftende Feuerwehrmann ist in diesem Zusammenhang auch relevant.
MfG
Robert Hottua