Fünf Jahre Tornado / Eine Betroffene erinnert sich: „Es war nicht zu glauben, was man in dem Moment sah“
Den 9. August 2019 werden Coryse Koch und ihre Familie nicht vergessen. Es war der Tag, an dem der Tornado über ihr Haus in Rodange fegte. Coryse arbeitet seit 25 Jahren als Grafikerin beim Tageblatt. Man kennt sich also lang und gut. Und weiß damit umso mehr, dass sich die heute 47-Jährige nicht so leicht erschüttern lässt. Doch der 9. August vor fünf Jahren wird in Erinnerung bleiben. Aber nicht nur in schlechter. Coryse blickt für uns noch einmal zurück auf diesen Tag.
Alles lief normal damals. Es war ein Sommertag wie die anderen auch. Die Kinder spielten draußen. Nichts deutete auf das Unheil hin, das sich am frühen Abend über uns legen sollte. Bis sich gegen 17.30 Uhr der Himmel über uns plötzlich änderte und sich alles in gelbliche Töne tauchte. Dann kam auch schon der Wind. Kurz dachten wir noch, okay, das ist ein Gewitter. Aber der Wind hörte nicht auf, stärker und stärker zu werden.
Wir hatten unser Haus erst wenige Wochen zuvor renoviert. Mittlerweile wohnen wir nicht mehr dort, aber mit dem Tornado hat das nichts zu tun. Der Unternehmer, der für die Arbeiten zuständig war, hatte mir noch gesagt, das sei alles so solide gebaut, dass da nichts in sich zusammenfallen könne. Egal, was komme. Jetzt muss ich darüber schmunzeln. Aber in dem Moment gab mir das Zuversicht und ich dachte: Okay, hier seid ihr sicher.
Bis mein damaliger Mann, der mit unserer Tochter bei einem anderen Fenster stand und die Lage draußen beobachtete, den Tornado kommen sah und nur noch laut rief: „Auf den Boden! Legt euch auf den Boden!“ Der Ton in seiner Stimme ließ keinen Zweifel zu, dass das ernst gemeint war. Also legte ich mich schnell mit unserem Sohn, der bei mir war, auf den Boden. Erst dann fragte ich, was denn los sei. Er antwortete nur: „Ein Tornado!“ In meinem Kopf begann direkt der Film – „Merda, was machen wir jetzt!?“ Für mich war ein Tornado davor immer Amerika, Bilder aus dem Fernsehen. Nicht Luxemburg. Nicht Rodange. Ein Tornado? Aber doch nicht über meinem Haus, über meiner Familie!
Für mich war ein Tornado davor immer Amerika – aber nicht Luxemburg, nicht Rodange!
Die Kinder waren damals zehn und sechs Jahre alt. Wir sind dann am Boden zueinander gekrabbelt und verschanzten uns unter einem Fenster. Der Wind drückte aber so fest gegen die Scheiben, dass ich mich da nicht sicher fühlte. Mein erster Gedanke war, dass wir in den Keller mussten. Mein Mann eilte zur Kellertür, checkte die Lage, gab das Go – und wir krabbelten zu dritt schnell hinterher.
Dann saßen wir in der Garage auf dem Boden. Ich umklammerte meine beiden Kinder, die damals zehn und sechs Jahre alt waren. Der Wind rüttelte dermaßen am Garagentor, dass ich Angst hatte, es würde herausgerissen. Der Lärm draußen war enorm und dieses Tor der einzige Schutz, den wir vor dem hatten, was sich davor abspielte – was wir zwar hörten, aber nicht sahen und daher unmöglich einschätzen konnten.
Irgendwie ging das alles recht schnell. Der Tornado zog sehr zügig vorbei. Aber der Moment, den ich da ausharrte, kam mir stundenlang vor. Als das Schlimmste vorbei schien, wagte sich mein Mann wieder nach oben, um nachzuschauen, wie es draußen aussah. Als er wieder zu uns kam, sagte er nur: „Es ist vorbei, aber ich warne dich – erschrecke nicht, wenn du aus dem Fenster schaust oder die Tür aufmachst.“
Ein Bild des Grauens
Und tatsächlich bot sich ein Bild des Grauens. Unser Auto war verwüstet. Ein Teil der Veranda einer Nachbarin lag unter dem Wagen. Bäume waren umgeworfen. Eine Straßenlampe war umgeknickt. Wie ein gebrochenes Streichholz. In der Fassade unseres Nachbarhauses steckten Dachziegel, die wie Geschosse dort hineingeflogen waren. In unserem Garten lagen Teile eines Trampolins, die vom anderen Ende der Cité herübergeschleudert worden waren. Fünf Kastanienbäume hinter unserem Grundstück hatte der Tornado einfach wegrasiert. Es war wie ein Armageddon, es war nicht zu glauben, was man in dem Moment sah.
Unsere erste Reaktion war, nach unseren Nachbarn zu schauen. Ob alle heil geblieben waren. Zum Glück war das der Fall. So schnell dieser Tornado gekommen und wieder verschwunden war, so schnell entstand auch der Zusammenhalt in unserer Nachbarschaft. Jeder hat gleich nach dem anderen geschaut, sich erkundigt, geholfen, wo es nur ging. Auch das werde ich nie vergessen. Einfach, weil ich auch eine solch spontane gegenseitige und gemeinsame Hilfe weder davor noch danach erlebt habe.
Mit dem Ende des Sturms war aber leider nicht alles vorbei. Die Langzeitfolgen halten irgendwie immer noch an. Meinen Kindern vermittelte ich danach psychologische Hilfe. Sie sollten über das sprechen können, was sie erlebt haben. Sobald etwas Wind aufkam oder auch nur irgendetwas wackelte, bekamen sie Angst. Noch heute ist der erste Gedanke, auch bei mir: Hoffentlich kein Tornado! Obwohl ich weiß, dass das sehr unwahrscheinlich wäre, der Gedanke und diese Furcht sind immer gleich da. Bei mir, und sicher auch bei meinen Kindern. Es ist diese Angst, dass sich das wiederholen könnte, die nicht weggehen will und wohl bei uns bleiben wird. Genauso wie die spontane Solidarität – das war alles einfach unglaublich.
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