Wohnen in Esch / Eine Eigentümerin, eine ehemalige und eine angehende WG-Bewohnerin erzählen
Die WG-feindliche Politik, die die Stadt Esch mit dem neuen „plan d’aménagement général“ (PAG) umsetzen will, ist in aller Munde. Die Betroffenen lassen sich allerdings nicht ohne Weiteres vorschreiben, wie und mit wem sie zusammenleben dürfen. Eine Rentnerin mit WG-Erfahrung in Esch, eine Eigentümerin und eine frisch gebackene WG-Bewohnerin gewähren Einblick in ihre Erfahrungen und Überlegungen.
Jenny* sitzt auf einer Steinbank im „Jardin éphémère“ auf dem Stadthausplatz. Sie hält ein Blatt Papier in der Hand. Was darauf steht, kann die 26-Jährige nicht lesen. Die Schrift darauf ist verschwommen und extrem klein gedruckt. Dabei soll es sich um eine Anleitung handeln, wie online ein Termin im Bürgeramt vereinbart werden kann.
Eigentlich ist die junge Teilzeitstudentin am Dienstagmorgen nämlich ins Stadthaus gegangen, um sich an ihrer neuen Adresse anzumelden. Seit drei Wochen wohnt sie in einer Wohngemeinschaft in Esch. „Um sich anmelden zu können, müssen sie einen Termin ausmachen“, heißt es aus dem Rathaus. Vor Ort einen Termin zu vereinbaren, ist nicht möglich. Deswegen der Zettel.
Ich arbeite und studiere nebenher und ich könnte es mir im Leben nicht leisten, alleine zu wohnen. Die WG ermöglicht es mir, unabhängig zu sein.Teilzeitstudentin und frisch gebackene WG-Bewohnerin
Jenny fürchtet, dass die Gemeinde ihr nicht erlauben wird, sich an ihrer neuen Adresse anzumelden, denn so ist es in den letzten Monaten vielen ergangen, die ihren Wohnsitz in eine Escher WG verlegen wollten. Dabei fühlt sich Jenny nach drei Wochen bereits unglaublich wohl in ihrem neuen Zuhause. Es sei die perfekte Balance aus Geselligkeit und Selbstständigkeit, findet sie. Die 26-Jährige hat zuvor noch bei ihren Eltern gelebt. Die WG ermöglicht es ihr, endlich unabhängig zu sein. „Ich arbeite und studiere nebenher und ich könnte es mir im Leben nicht leisten, alleine zu wohnen.“
Gleicher Ort, zwei Stunden später: Ein grelles Hupen lässt die Menschen, die gerade ihre Einkäufe auf dem Wochenmarkt erledigen, plötzlich neugierig und etwas verstört aufsehen. Eine Handvoll Menschen hat sich zusammengetan, um sich dagegen zur Wehr zu setzen, dass die Stadt Wohngemeinschaften zu sabotieren versucht. „D’Unis- a Kulturstadt Esch hëlt ons eis WG ewech“, steht in weißen Buchstaben auf einem roten Stoffbanner, der von zwei Mädchen mit Mundschutz gehalten wird.
Angefangen hatte alles am 11. Juni 2020, als Benoît Majerus auf Facebook den Screenshot einer Mail teilt, die von der Escher Gemeindeverwaltung gesendet wurde. Darin ist zu lesen, dass die Stadt Esch es nicht mehr erlaube, dass Wohnungsbesitzer oder Mieter eine Person bei sich als wohnhaft melden, mit der sie nicht verwandt sind. Kurz danach findet ein erstes Treffen von Menschen statt, die sich das nicht gefallen lassen wollen. Sie gründen die Facebook-Gruppe „Safe co-housing in Esch“, die inzwischen über 500 Likes hat. Sie sind es auch, die die Demo am Dienstag auf die Beine gestellt haben.
Anmaßend, gar paternalistisch
Laura* war von Anfang an mit dabei. Während ihre Mitstreiter mit Hupen und Schildern auf sich aufmerksam machen, ist sie am Dienstag mit Stift und Papier ausgerüstet. Sie spricht irritierte Passanten an und erklärt ihnen, worum es bei dem Protest geht: „Die Stadt will kontrollieren und darüber entscheiden, wer mit wem zusammenleben darf“, lautet die Kurzfassung. Ziemlich anmaßend für eine Gemeinde, findet sie und bittet deshalb um Unterschriften für eine Petition gegen die einschränkende Politik.
Laura besitzt zwei Einfamilienhäuser in Esch, die sie an WGs vermietet. Sie will Menschen eine Unterkunft zu einem bezahlbaren Preis anbieten. „Damit sie sich mit ihrem geringen Einkommen vielleicht auch noch einmal im Jahr einen Urlaub leisten können“, sagt sie. Ein Miethai, vor dem die Bürger geschützt werden müssen, ist Laura nicht. 1.050 Euro zahlt der Hauptmieter pro Monat an die Besitzerin – aufgeteilt auf vier Personen sind das noch nicht einmal 270 Euro pro Kopf im Monat. Geboten wird ihnen im Gegenzug ein eigenes Zimmer, zwei Badezimmer, drei Klos, eine Küche, ein Wohnzimmer und ein Garten. „Sie kochen, essen, feiern und entspannen zusammen und ersetzen sich damit eine Familie“, erzählt Laura.
In einem ihrer Häuser besteht schon seit sieben Jahren eine WG. Darunter ist ein Hauptmieter, der von ihr das Recht bekommt, Untermieter bei sich wohnen zu lassen. Die Untermieter hat Laura schon immer gemeinsam mit dem Hauptmieter bei der Gemeinde angemeldet. Bis 2019 gab es dabei nie ein Problem. Als sie im Dezember letzten Jahres dann zwei Studenten anmelden will, lautet die Antwort des Beamten, das ginge jetzt nicht mehr, weil ein neues Gesetz gestimmt würde. Laura wehrt sich und argumentiert, das Gesetz sei ja noch nicht in Kraft. Am Ende müssen die Studenten sich als Paar ausgeben, um sich an der Adresse anmelden zu können. Unglaublich, findet Laura.
Als ihr Hauptmieter kurz vor der Corona-Krise seine Familie nach Luxemburg holen will, sind sich Laura und die Untermieter einig: Sie überlassen der Familie das Haus. Laura bietet den Untermietern an, eine neue WG in ihrem anderen Haus, nur ein paar Meter weiter, zu gründen. „Ich konnte die Familie, die mit dem letzten Flugzeug vor dem Lockdown angekommen ist, noch anmelden. Die Untermieter konnte ich jedoch nicht mehr ummelden“, sagt Laura. Von da an sei die Gemeindeverwaltung extrem streng gewesen und habe nur noch Nein gesagt. „Ich finde es schlimm, dass die Stadt mir als Eigentümerin vorschreiben will, was ich mit meinem Haus zu machen habe.“
Gar paternalistisch findet es Florence Weimerskirch, die ebenfalls von Anfang an engagiert war, sich gegen die restriktive Vorgehensweise der Gemeinde durchzusetzen. Mit ihrem Pappumhang, auf dem klare Statements wie „gentrification = pousser les ‚pauvres‘ hors du centre, de la ville, du pays“ zu lesen sind, ist die Rentnerin bei der Demo nicht zu übersehen. Nur einen Tag zuvor hatte sie sich mit dem Tageblatt zum Gespräch getroffen.
Keule statt Sicherheit
Florence Weimerskirch selbst hat über 20 Jahre lang in Escher Wohngemeinschaften gelebt und überlegt, auch in Zukunft wieder junge Leute in ihrem Haus wohnen zu lassen – um nicht so alleine zu sein. In ihrer früheren WG-Zeit habe es nie Probleme gegeben, wenn jemand sich anmelden wollte. Für sie ist die Vorgehensweise der Gemeinde ganz klar ein Werkzeug zur Gentrifizierung. „Diejenigen, die das Wahlrecht haben, wollen nichts teilen“, sagt sie – und diejenigen, die betroffen sind, hätten eben häufig kein Wahlrecht. Studenten und Menschen mit geringem Einkommen wolle die Stadt ihrer Meinung nach langfristig rausschmeißen. „Bis hier nur noch die happy few wohnen.“ Der PAG, der eigentlich Sicherheit für die Bürger schaffen soll, würde von der Stadt als Keule benutzt.
Weimerskirch kritisiert zudem, dass in der rue Emile Mayrisch mehrere Einfamilienhäuser stehen, in denen Treuhänder ihre Büros haben. „Das ist auch eine Neuzuordnung eines Wohnhauses – ,mee do fënnt keen en Hoer an der Zopp’“, sagt sie. Sie stört sich auch an den Garagen, die im Erdgeschoss vieler Escher Einfamilienhäuser gebaut wurden. Hier würde nicht nur Wohnraum für Parkraum geopfert, in einer Stadt, die immer wieder davon spricht, sanfte Mobilität zu fördern. Die Architektur dieser historischen Bauten falle auch noch den Garagen zum Opfer.
Laut der engagierten Escherin macht die Stadt die in letzter Zeit so vehement angepriesene Solidarität unter den Einwohnern mit ihrer WG-feindlichen Politik kaputt. Der beste Weg, Menschen aus dem Prekarität zu helfen, sei schließlich, ihnen eine Wohnung zur Verfügung zu stellen. „Diese Regeln bringen ja auch mit sich, dass niemand mehr einen Flüchtling bei sich aufnehmen kann“, gibt sie zu bedenken. Außerdem stellt die ehemalige Lehrerin die berechtigte Frage, wer denn kontrolliere, ob zwei Menschen, die zusammen leben, auch ein Paar seien. Der in Literatur und Film so häufig thematisierte Ménage-à-trois sei 2020 in Esch wohl nicht mehr möglich.
Keine richtige Adresse
Hauseigentümerin Laura war so wütend darüber, dass sie niemanden mehr in ihrem eigenen Haus anmelden konnte, dass sie um einen Termin bei Bürgermeister Georges Mischo bat. Nachdem es zuerst Wochen gedauert hatte, bis sie eine Rückmeldung auf ihre Anfrage erhielt, fiel das vorgeschlagene Datum mitten in den Höhepunkt der Pandemie. Deshalb fand das Gespräch schlussendlich erst Anfang Juni statt. „Dadurch sind meine Mieter jetzt schon sechs Monate lang nicht richtig angemeldet und das macht mich verrückt“, sagt sie.
Im Gespräch, zu dem sie von ihren Mietern begleitet wird, will sie also vom Bürgermeister wissen, wie das Ganze funktionieren soll. Empfangen wurde sie nicht nur von Mischo, sondern auch vom Stadtarchitekten Luc Everling. „Sie haben uns nicht ernst genommen und immer wieder Kommentare abgegeben wie ,wir sind nicht hier, um zu philosophieren‘ oder ,Sie sind mit 150 auf der Autobahn unterwegs obwohl nur 130 erlaubt ist‘.“ Im Endeffekt sei nichts bei dem Gespräch herausgekommen, sagt Laura.
Seit der Demo am Dienstag hat die Stadt Esch einiges zu verdauen. Nach der kurzfristig einberufenen Pressekonferenz folgte eine Antwort des Innenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage, die die Minettmetropole auf ihrem Sonderweg alles andere als unterstützt. Eigentümerin Laura und Florence Weimerskirch sind vorerst zufrieden mit dem Resultat ihrer Proteste. „Ich glaube, dass die Stadt reagiert, weil sie vom allgemeinen Kopfschütteln unter Druck gesetzt wurde“, sagt Weimerskirch. Trotzdem befürchtet sie, dass diejenigen, die sich nicht anmelden konnten, jetzt noch länger hingehalten werden. Und die Politik sich aus dem Fokus zieht, um einen ruhigeren Moment abzuwarten. Schließlich wurde die Abstimmung des PAG in den Herbst verlegt. Laura ihrerseits hat nicht vor lockerzulassen und will noch diese Woche erneut versuchen, ihre Mieter anzumelden.
Angesichts der Antwort des Innenministeriums sieht es vielleicht auch für Jenny und ihr neues, geteiltes Zuhause gar nicht so schlecht aus. Vorausgesetzt sie findet auch ohne den Zettel heraus, wie sie einen Termin im Bürgeramt ausmacht.
*Namen von der Redaktion geändert
- Erste Einblicke ins Escher „Bâtiment IV“, wo Cueva an seinem bisher größten Projekt mit 106 Künstlern arbeitet - 24. Oktober 2020.
- Esch will Vorreiter in Sachen Sport werden - 24. Oktober 2020.
- Nach Transition zurück auf der Bühne: Luxemburger überzeugt zum zweiten Mal bei „The Voice of Germany“ - 21. Oktober 2020.
Ein Règlement communal ist kei Gesetz und gilt für den Ablauf der kommunalen Geschehnisse vor den Häusern. Wie ich drinnen zu „furzen“ habe geht mich alleine etwas an. Auf zum Kirchberg.
Der Dorfschulze der vergisst dass er vom Bauer gewählt ist um dessen Interessen zu verteidigen ist seines Amtes nicht mehr würdig und muss zum Dorf hinaus gejagt werden.