Assises culturelles / Eine gemischte Bilanz: Der Luxemburger Theatersektor zwischen Professionalisierung und fehlendem Know-how
Die Luxemburger Theaterwelt ist im Wandel. Daran ließen die dreistündigen „Assises sectorielles théâtre“, die am Montag im Escher Theater abgehalten wurden, keinen Zweifel. Während zwei „Tables rondes“ diskutierten Beschäftigte im Theaterbereich über die Zukunft des Betriebs. Die Hauptthemen: Nachhaltigkeit in Bezug auf die Produktionen und Materialien, die sektoriellen Arbeitsbedingungen und das Fehlen von spezifischen Kompetenzen, das bisher trotz voranschreitender Professionalisierung bestehen blieb.
Welchen Herausforderungen muss sich das Luxemburger Theater stellen? Wo möchte es sich hin entwickeln? Wie ist das Theater aus der Pandemie herausgekommen – oder steckt es noch mitten in der Krise? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der „Assises sectorielles théâtre“, die am Montag im Escher Theater stattfanden. Die sektorspezifische Veranstaltung ist Teil der „Assises culturelles“, die seit der Festlegung des Kulturentwicklungsplans 2018-2018 (KEP) im Jahr 2018 im Zweijahresrhythmus abgehalten werden sollen. Ziel ist es, sich über die Fortschritte bei der Umsetzung aller Empfehlungen, die im KEP festgehalten sind, zu verständigen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen. Bei den aktuellen theaterspezifischen „Assises“ machte die frühere Theaterkritikerin Josée Zeimes eine Bestandsaufnahme der Vor-Corona-Saison 2018/2019 – danach diskutierten Beschäftigte aus der Branche bei zwei „Tables rondes“ über die beiden großen Zukunftsthemen des Theaters: Nachhaltigkeit und Umweltverantwortung einerseits und Arbeitsbedingungen in den darstellenden Künsten andererseits. Der Elan der Sprecher verdeutlichte, dass von der Corona-Müdigkeit in der Theaterwelt zurzeit nicht viel zu spüren ist – gleichwohl machte die Nachdrücklichkeit ihrer Worte auf die Schwere verschiedener Probleme aufmerksam.
Gleich zu Beginn der „Assises“ fiel das Licht auf eines der Hauptprobleme des Theaters: seine chronische Unterfinanzierung. Das Theater sei ein Sektor, der vom Staat vernachlässigt werde, sagte Zeimes bei der Vorstellung der Saisonbilanz 2018/2019. Die Schauspieler müssten oft noch einen zweiten Beruf ausüben, damit das Geld reiche. Auch Kulturministerin Sam Tanson („déi gréng“), die am Montag anwesend war, äußerte sich zu dem Thema: Seit sie das Kulturministerium übernommen habe, seien die Subventionen zwar gestiegen, doch dass das nicht reiche, wisse sie genau. „Dass wir weiter in den Theatersektor investieren müssen, ist eindeutig“, sagte die Grünen-Politikerin. Sie plane daher, die Hilfsgelder zukünftig zu erhöhen. Doch die finanzielle Dimension sei nur ein Faktor von vielen. „Verschiedene Berufssparten sind in Luxemburg nicht so oft zu finden“, sagte die Kulturministerin. Damit verwies sie auf einen der hauptsächlichen Diskussionspunkte der „Tables rondes“: die fehlende Expertise, die sich trotz der Professionalisierung des Betriebs besonders in den Theaterhäusern weiterhin bemerkbar macht.
Nachhaltiger Umgang mit Ideen und Materialien
Schwerpunkt der ersten Diskussionsrunde war der Umgang mit Ressourcen im Theaterbereich. Die Hauptherausforderung der Umweltverantwortung betreffe die Überproduktion, sagte Carole Lorang, Direktorin des Escher Theaters. Ein einzelnes Projekt würde nur drei- bis viermal aufgeführt werden, dann sei das nächste an der Reihe. Eine „künstlerische oder intellektuelle Verschwendung“, nannte die Intendantin diesen schnellen Wechsel zwischen den Stücken, durch den auf den einzelnen Produktionen ein kurzes Verfallsdatum klebt. Sie kritisierte, dass man die vergängliche Natur des Theaters damit auf die Spitze getrieben hätte. Es gebe in Luxemburg kein wirkliches „Repertoire-System“ wie in deutschen Theatern, meinte auch Stéphane Ghislain Roussel, Theaterregisseur und Mitglied einer Arbeitsgruppe der „Theater-Federatioun“, die sich dem Thema der Nachhaltigkeit gewidmet hat. Damit einher gehe laut Lorang eine Überforderung der Künstler, die der Arbeit hinterherlaufen würden.
Die Alternative dazu stelle die vermehrte Wiederaufnahme von Stücken in den Spielplan dar. Solche „Reprisen“ würde es den Schauspielern erlauben, ein Stück nach nur einer Woche Arbeit wieder auf die Bühne bringen zu können. Auch würden sie der „Haltbarkeit der Stücke“ dienlich sein. Dem schloss sich Nathalie Jacoby, Direktorin des Nationalen Literaturzentrums in Mersch (CNL), an. Die Wiederaufnahmen von älteren Stücken könne laut ihr zu einer Wiederentdeckung der „sehr starken, sehr schönen“ nationalen Theaterliteratur führen – diese würde nämlich einer „literarischen Amnesie“ zum Opfer fallen. In anderen Worten: Luxemburger Dramen gerieten zu schnell in Vergessenheit.
Die Diskussionteilnehmer besprachen auch die Handhabung von Materialien. „Was sind die Rohstoffe, wie lagern und recyclen wir die Bühnen?“, fragte Lorang. Ins Zentrum des Gesprächs stellten die Mitglieder der „Table ronde“ die Idee eines gemeinsamen Fundus. Dieser solle Bühnendekoration, Accessoires, Perücken und Kostüme sowie technisches Material beinhalten und müsse, so die Voraussetzung, sichtbar und auch gut zugänglich sein, sagte Szenografin Peggy Wuth. Außerdem sei ein Fundus nur nachhaltig, wenn auch die Dinge, die in diesen Bestand aufgenommen würden, auch „da erhalten bleiben könnten“. Sprich: Auch sie müssten von Anfang nachhaltig gestaltet sein. Objekte, die aus Naturmaterialien bestehen würden, seien leicht umzufärben und Kostüme, die eine Größe größer gekauft würden, könnten für den nächsten Schauspieler bequem umgenäht werden. „Es ist eine Gewohnheitssache“, sagte Wurth. Die Verwaltung des Fundus übernehme womöglich das CNL, zumindest könne sich das Jacoby vorstellen.* „Wir sind dabei, neben einem traditionellen Archiv auch immer mehr ein Theaterarchiv aufzubauen“, sagte die CNL-Direktorin. Für den Aufbau eines solchen Archivs brauche man ihr zufolge jedoch, neben den passenden Räumlichkeiten, Menschen mit spezialisiertem Wissen. Diese würden zurzeit aber fehlen.
Doppel-Tätigkeiten bei einzelner Gage
Im Fokus der zweiten Diskussionsrunde stand die Frage nach den Gehältern der Menschen, die in der Theaterbranche arbeiten. Nicht nur wegen der Pandemie hat das Thema an Virulenz gewonnen: 2020 hat die „Association luxembourgeoise des professionnels du spectacle vivant“ (Aspro) erstmals Empfehlungen hinsichtlich der Bezahlung von Beschäftigten im Theaterbereich ausgearbeitet (das Dokument findet man hier). Auf dieser Grundlage hat die Vereinigung dann den Dialog mit den einzelnen Theaterhäusern gesucht. Laut Schauspieler Konstantin Rommelfangen würden ganz viele Beschäftigte „Doppel-Tätigkeiten“ ausführen, ohne dass ihnen eine doppelte Gage bezahlt würde. Der stündliche Basistarif für Kulturschaffende habe die Aspro nun auf 25 Euro festgesetzt, sagte Rommelfangen während der „Assises“. Bei der Diskussion wurden die Empfehlungen der Aspro auf ihre Umsetzbarkeit abgetastet. „Die großen Häuser können diese Gehälter bezahlen – die kleinen, die den Theatersektor am Leben erhalten, jedoch nicht“, sagte Sophie Langevin, Präsidentin von Actors.lu. Die kleinen Theaterhäuser würden nach wie vor zu einem Großteil auf Grundlage von ehrenamtlicher Arbeit funktionieren.
An diesen Punkt knüpfte Tom Leick, Direktor der städtischen Theater, an. In den letzten 20 Jahren habe es bei den Berufstätigen im Theaterbetrieb einen enormen Wandel in Richtung Professionalisierung gegeben, jetzt müssten die Institutionen nachrücken. Es sei „ein Problem von Know-how und Expertise“ – auch was die Mobilisierung eines neuen Publikums, der „Netflix-Generation“, anbelangte. „Jetzt geht es darum, dass die Institutionen ihren Job machen“, sagte auch Szenografin Anne Simon und richtete den Blick wieder auf die finanzielle Problematik. Die Häuser müssten sich die Frage stellen, wie sie sich umstrukturieren könnten, um die Gehälter irgendwie durch das zur Verfügung stehende Budget zu decken. Die Empfehlungen der Aspro seien „kein Schluss, sondern ein Anfang“.
Ein Newcomer: Der Luxemburger Theaterpreis
Ganz im Zeichen der Professionalisierung des Theaterbetriebs nahmen die Veranstalter der „Assises“ die Veranstaltung zudem zum Anlass, die Shortlists für den ersten Luxemburger Theaterpreis vorzustellen. Der Preis ist in drei Sparten gegliedert: der Nachwuchskategorie „Jeune espoir“, der Shortlist „Meilleure création backstage“ und der Shortlist „Meilleure création onstage“ (siehe Infokasten). Die Gewinner werden am 17. September bekannt gegeben.
Shortlists für den Luxemburger Theaterpreis
Kategorie „Jeune espoir“:
Aude-Laurence Biver (Theaterregisseurin und Schauspielerin; „Le Poisson belge“, „Le Mensonge“)
Catherine Elsen (Projektgestalterin und Schauspielerin; „Love, Death & Polar Bears“, „(Can’t) stay at home“, „Das letzte Feuer“)
Rosalie Maes (Schauspielerin; „Mendy – Das Wusical“; „Pièce en plastique“)
Renelde Pierlot (Projektgestalterin, Theaterregisseurin und Schauspielerin; „Pas un pour dire merci“, „AppHuman“)
Konstantin Rommelfangen (Schauspieler; „Rote Nelken für Herkul Grün“, „Was heißt hier Liebe?“, „Das letzte Feuer“ „Mendy – Das Wusical“, „So dunkel hier“)
Kategorie „Meilleure création backstage“:
Pol Belardi (Sound und Musik; „The Hothouse“, „Was heißt hier Liebe?“)
Steve Demuth (Lichttechniker; „Süden“, „On ne badine pas avec l’amour“)
Anouk Schiltz (Szenografin/Kostümbildnerin; „Truckstop“, „Ivanov“, „The Hothouse“, „Le Poisson belge“)
Marie-Luce Theis (Szenografin/Kostümbildnerin; „Süden“, „AppHuman“, „Mendy – Das Wusical“)
Peggy Wurth (Szenografin / Kostümbildnerin; „Pas un pour me dire merci“)
Kategorie „Meilleure création onstage“:
Florian Hirsch (Dramaturg; „Die Verwandlung“, „La Peste“, „Zauberberg“)
Marie Jung und François Camus (Schauspieler-Duo; „La Peste“)
Myriam Muller (Theaterregisseurin; „Ivanov“)
Anne Simon (Theaterregisseurin; „Georges Dandlin“, „Midsummer“, „Dealing with Clair“, „So dunkel hier“, „The Hothouse“)
Pitt Simon (Schauspieler; „Georges Dandin“, „Terres Arides“, „Jockey“, „Rote Nelken für Herkul Grün“, „Rabunzel“, „Ivanov“, „AppHuman“, Mendy – Das Wusical“, „Fake Facts“)
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Anmerkung der Autorin:
*Hier wurden die Begriffe „Archiv“ und „Fundus“ miteinander verwechselt – der Fundus würde nicht vom CNL verwaltet werden. Die Institution würde in ihrem Theaterarchiv lediglich die Objekte aufbewahren, die nicht mehr für Inszenierungen gebraucht würden.
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Da sich ein kleiner Verständnisfehler eingeschlichen hat, würden wir gerne Folgendes hinzufügen:
Das Centre national de littérature kann sich nicht vorstellen, die Verwaltung eines Theaterfundus zu übernehmen. Das wäre sicher auch nicht im Sinne der Theater Federatioun. Während des Rundtischgesprächs wurde vonseiten des CNL auf die verschiedenen Lebenszyklen eines Gegenstands verwiesen. So lange ein Gegenstand noch für die Bühne verwendet werden kann, ist er Teil eines Fundus, aus dem er ausgeliehen werden kann. Sobald er diesen „aktiven“ Status verliert, kann er zur Archivalie werden, die der kulturellen Erinnerung dient und als Forschungsobjekt Bedeutung hat. Fundus und Archiv sind also zwei sehr unterschiedliche Institutionen. Das CNL konserviert das literarisch-kulturelle Erbe Luxemburgs; dazu gehören auch die darstellenden Künste.
Mit freundlichem Gruß 🙂
Guten Tag,
ich bedanke mich für den Hinweis, in der Tat ist das ein Unterschied.
Mit freundlichen Grüßen
Christine Lauer