„Mein Leben, meine Entscheidung“ / Eine Luxemburgerin erzählt, warum sie sich sterilisieren ließ
Ab dem 1. April werden alle Verhütungsmittel mit Ausnahme des Kondoms in Luxemburg zu hundert Prozent und ohne Altersbegrenzung von der Krankenkasse zurückerstattet. Dies betrifft sowohl hormonelle Präparate als auch beispielsweise die Kupferspirale. Doch auch Sterilisation wurde in der Pressemitteilung des Gesundheitsministeriums Ende März erwähnt. Diese dauerhafte Verhütungsmethode eignet sich für Personen, deren Familienplanung abgeschlossen ist oder die sich sicher sind, dass sie keine Kinder bekommen wollen. Doch der Zugang dazu ist nicht leicht. Das Tageblatt hat mit einer Luxemburgerin gesprochen, die diesen Schritt gegangen ist.
Tami hat sich nie als Mutter gesehen. „Schon sehr früh wusste ich, dass ich selber keine Kinder bekommen will“, sagt die junge Frau gegenüber dem Tageblatt. „Das ist so, seitdem ich denken kann, und hat sich nie geändert. Kinder passen nicht in meine Lebensplanung und ich sehe mich einfach nicht in dieser Rolle, in der ich Verantwortung für ein anderes Lebewesen in dieser Form übernehmen muss.“
Zu Beginn dieses Jahres hat sie sich sterilisieren lassen. Der Oberbegriff bezeichnet verschiedene chirurgische Eingriffe, durch die eine Person unfruchtbar gemacht wird. Am häufigsten wird er für die Unterbindung der Eileiter, die sogenannte Tubenligatur, verwendet. In Tamis Fall war dies so. Hierbei werden die Eileiter durchtrennt, abgebunden oder verödet, damit keine Spermien mehr zur Eizelle gelangen. Die Eizelle kann die Gebärmutter nicht mehr erreichen und wird über die Schleimhäute des Eileiters an die Bauchhöhle abgegeben und dort abgebaut. „In meinem Fall wurden die Eileiter verödet“, berichtet Tami.
Es gibt noch weitere Verfahren wie die Salpingektomie, die operative Entfernung der Eileiter, und die Hysterektomie, bei der die Gebärmutter entfernt wird. Letztere wird nicht nur bei Personen durchgeführt, die eine Schwangerschaft verhindern wollen, sondern auch beispielsweise bei Endometriose-Patienten. Bei dieser Krankheit siedeln sich Gewebe und Zysten an den Eierstöcken an, was zu starken Schmerzen und im schlimmsten Fall zu Ohnmachtsanfällen führen kann. Salpingektomien hingegen werden häufig von Personen erwünscht, die das Risiko einer Ovarialkarzinom-Erkrankung senken wollen.
Tami selbst hatte keine Vorerkrankungen. Lange stand die Sterilisation auch nicht als Option im Raum. Wie viele andere Menschen verhütete sie mit der Antibabypille. Eine Entscheidung, die nicht ohne Folgen blieb. „Ich habe jahrelang die Pille genommen, doch merkte mit der Zeit, dass sie negative Auswirkungen auf mich hatte“, erzählt Tami. „Sie veränderte meinen Körper und vor allem meine Psyche. Irgendwann wollte ich nicht mehr so weitermachen und habe nach Alternativen gesucht.“
Nicht alle Ärzte machen es
Auf der Suche nach einer sicheren Verhütungsmethode erfuhr die Luxemburgerin von der Sterilisation. Sie machte ausgiebige Recherchen, vor allem im deutschsprachigen Raum, und traf auf den Verein „Selbstbestimmt steril“. „Dort wurden auch die ganzen Gerüchte und Fehlinformationen zu diesem Thema beseitigt, beispielsweise dass man infolge einer Tubenligatur sofort in die Wechseljahre käme oder dies Auswirkungen auf die Libido hätte.“
Als sie das Thema bei ihrem Gynäkologen ansprach, stieß sie auf Verständnis. Etwas, das nicht alle Betroffenen von sich behaupten können. „Ich bin ein absoluter Ausnahmefall“, sagt Tami. „Ich hatte großes Glück, dass mein Frauenarzt, bei dem ich langjährige Patientin bin, dem Vorhaben positiv gegenübersteht. Das ist aber selten so. Immer wieder erzählen Frauen davon, wie schwierig es ist, einen Arzt zu finden, der diesen Eingriff bei ihnen durchführt. Da fallen die üblichen Kommentare: ‚Was ist, wenn Sie Ihre Meinung ändern?‘ Viele Frauenärzte führen die Prozedur auch nur bei Personen durch, die ein bestimmtes Alter oder bereits Kinder haben.“ Sie erinnert an das Abtreibungsverbot in verschiedenen US-Staaten. „Da wird einem die eigene Entscheidungsfähigkeit abgesprochen.“
So verlief die Operation
Die Operation selbst sei ohne negative Nebenwirkungen verlaufen. Tami war in dieser Woche krankgeschrieben. „Das Ganze nimmt nur ein paar Stunden in Anspruch. Du kommst morgens ins Krankenhaus und kannst nachmittags wieder heimgehen. Wichtig ist, dass du begleitet wirst und auch die erste Nacht in Anwesenheit einer weiteren Person verbringst.“ Einen Aspekt hatte sie jedoch unterschätzt. „Vor der Sterilisation wird Kohlensäuregas in den Bauchraum eingeleitet, um die Organe voneinander zu trennen und eine bessere Übersicht zu erhalten. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so auf das Zwerchfell drücken würde“, gibt sie zu. „Unmittelbar nach dem Eingriff hatte ich Rückenschmerzen und Muskelkater im Schulterbereich. Ich konnte nicht mehr aufstehen. Diesen Teil hatte ich wirklich unterschätzt“, fügt sie lachend hinzu. „Es geht aber wieder weg.“
Da der Gynäkologe eine medizinische Ursache bei Tami fand, die für eine Sterilisation sprach, wurde der Eingriff von der Krankenkasse rückerstattet. „Es handelte sich um eine ‚Ovariotomie exploratrice’ via Koelioskopie“, erklärt sie. „Ansonsten hätte ich rund 1.000 Euro aus meiner eigenen Tasche bezahlt.“
Dass eine Sterilisation eine gut überlegte Entscheidung sein muss, steht für Tami außer Frage. Immerhin handelt es sich um einen chirurgischen Eingriff. „Letzten Endes muss ich mit meiner Entscheidung leben“, sagt sie. Und sie lebt gut damit. „Die Sterilisation hat mein Leben vereinfacht“, sagt die Luxemburgerin und spricht von einem neuen „peace of mind“. „Ich muss mir keine Gedanken mehr machen. Wenn ich die kleine Narbe sehe, beruhigt sie mich.“
Bei erwachsenen Personen ohne Kinder denken viele nach wie vor an grimmige Menschenhasser, die sich am liebsten eine Welt ohne Jugend wünschen würden. Das trifft aber keineswegs auf Tami zu. „Ich beurteile niemanden, der Kinder haben will“, stellt sie klar. „Genauso erwarte ich auch von anderen, dass sie mich nicht aufgrund meiner Lebensführung beurteilen.“ Sie findet, dass sich die Mentalitäten so langsam ändern würden. „Früher gab es Kommentare wie ‚Das ändert sich noch‘ öfter zu hören. Auch Fragen wie ‚Wann ist es denn bei dir so weit?‘ waren dabei, die aber niemanden etwas angehen. Doch mittlerweile kennen mich die Leute“, ergänzt sie lachend. Die Vorstellung, dass es auch andere Lebensmodelle gibt, würde sich langsam verbreiten.
Die Entscheidung des Gesundheitsministeriums findet sie gut – und vor allem die Tatsache, dass Sterilisation nicht neben den anderen Verhütungsmethoden vergessen wurde. Tami hofft, dass Jugendliche mehr über diese Option aufgeklärt werden. Sie habe selber erst nach dem Eingriff erfahren, dass mehrere Personen in ihrem Umkreis sterilisiert sind. Die Menschen sollten wissen, dass diese Option existiert. „Letztendlich sollte einfach jeder das tun, was er oder sie für richtig hält.“
Kinderfrei vs. kinderlos
Viele Menschen, die keine Kinder haben wollen, bevorzugen die Bezeichnung „kinderfrei“ (childfree) gegenüber „kinderlos“ (childless). In ihrem 2019 erschienenen Buch „Kinderfrei statt kinderlos: Ein Manifest“ beschreibt Verena Brunschweiger kinderlose Menschen als solche, die keine Kinder bekommen können, obwohl sie das wollen. Kinderfrei zu sein, ist laut Brunschweiger hingegen „eine profunde und reflektierte Entscheidung“, die getroffen wurde. Das Suffix „-los“ würde bedeuten, dass jemandem etwas fehlen würde. Kinderfreie Personen entscheiden sich jedoch aus freiem Willen dazu, keinen Nachwuchs in die Welt zu setzen.
Lesen Sie auch:
- Platz 3 und ein World-Games-Ticket: Ankie Timmers qualifiziert sich für Chengdu - 22. November 2024.
- Tag der offenen Tür: Neugierige entdecken Differdingens kreativen Hotspot - 14. Oktober 2024.
- Anno 1900: von der Erde zum Mond und wieder in den Fond-de-Gras - 30. September 2024.
Ich bin definitif 60 Jahre zu früh auf die Welt gekommen – hätte es diese Möglichkeit bereits in meiner Jugend gegeben, wäre mein Leben ganz anders verlaufen
Jeder muss für sich selbst entscheiden und mit seinem Gewissen in Einklang sein.Das darf doch wohl noch gesagt resp. geschrieben werden auch wenn es der Autorin nicht in den Kram passt.