Reportage / Eine Nacht mit der Escher Polizei: Tuning-Treffen, Tube-Tops und Trara
Wie sicher ist Luxemburg? Politiker haben sich das Thema im Wahlkampf auf die Fahne geschrieben. Doch wie sieht das Alltagsleben der Polizei eigentlich konkret aus? Das Tageblatt hat die Escher Beamten während einer Nachtschicht begleitet.
Die Avenue de la Gare in Esch ist vom Flair her mehr Gare als Avenue. Besonders um kurz nach Mitternacht. Im „Le Bistrot“ ist heute etwas mehr los. Es ist laut. Drinnen scheppert die Musik in einer Lautstärke, die so hoch ist, dass die halbe Straße mithören darf. Draußen poltern die Gäste gegen die Dezibel an. Nichts mit Nachtruhe, ein Fall für die Nachtstreife – ein Fall für Sonia, Luca und ihre Kollegen der Escher Polizei. Drei Polizisten schauen im Innern nach dem Rechten. Die anderen sichern vor der Tür ab. Draußen will ein Betrunkener mit Luca über dessen Tattoos fachsimpeln. Sonia, die mit ins Lokal geht, wirft einen besorgten Blick auf ihren Kollegen. „Was haben wir denn falsch gemacht?“, beschwert sich ein Gast.
Routineübung einer Escher Nachtstreife, alles scheint harmlos – aber auch unübersichtlich. Die Polizisten werden von allen Seiten angesprochen. Meist freundlich, einige scherzen gar, aber andere Nachtgänger wirken gereizt ob der Anwesenheit der Uniformierten. Eine Frau meint es offenbar zu gut mit einem der jungen Polizisten, will ihn umarmen. Ihre Zuneigung bleibt unerwidert. Enttäuscht wendet sie sich ab, zieht ihr weißes Tube-Top hoch und zeigt laut lachend einem Busfahrer, der vor dem Café auf der Haltestelle steht, ihre Brüste. Im Innern läuft „Zwou Bulle Mokka“.
Dann eine Funkdurchsage: Einbruch in Bergem. Die Polizisten laufen zu ihren Autos – Sirenen, Blaulicht, brüllende Motoren. Ein Rennen gegen die Zeit beginnt.
Ein eingespieltes Team
Drei Stunden zuvor bereiten sich Sonia Tremont und Luca Tosti auf ihre Nachtschicht vor. Sie ist 30, er 29 Jahre alt und beide sind seit knapp drei Jahren oft in Esch zusammen auf Patrouille. Ein eingespieltes Team. „Wir ergänzen uns gut“, meint Sonia. Luca nickt. Es ist 22.00 Uhr an diesem Freitagabend. Sie erwarten viel Arbeit. Das Tageblatt begleitet Echo14, so heißt ihre Zweier-Gruppe an diesem Abend, bis zum Ende der Schicht um 6.00 Uhr. Das heißt allerdings nicht, dass sie ihren Arbeitsalltag an den Journalisten anpassen werden, versichert Sonia.
Ich bin gut hier in EschPolizist
Um 22.22 Uhr geht es los. Sonia und Luca fangen mit der Fußpatrouille durch Esch an. „Präsenz zeigen“, meint die 30-Jährige. Sie ist seit knapp neun Jahren bei der Polizei – ihr Partner hat vier Jahre Dienst hinter sich. Luca klemmt seine Daumen auf Brusthöhe hinter die Schutzweste, während er entspannt durch die Alzettestraße geht. „Wenn man als Polizist in Esch arbeitet, gilt man sehr schnell als erfahrener Beamte. Hier hat man nach einem Jahr schon fast alles gesehen“, meint Sonia.
Schnell wird klar, dass der Gang durch die Alzettestraße kein gemütlicher Bummel ist. Immer wieder werfen junge Männer den Polizisten böse, fast aggressive Blicke zu. Sonia und Luca wirken unbeeindruckt. „Dass hier nicht jeder froh mit uns ist, sind wir gewohnt“, meint Sonia. „Wenn man sich für Esch meldet, dann weiß man, was das bedeutet.“ Dankbarkeit gebe es nur selten. Trotzdem würde sie keinen anderen Beruf machen wollen. „Ich bin gut hier“, meint auch Luca.
Nicht unsicherer als andere Städte
Die Fußpatrouillen durch die Escher Innenstadt sind Teil des neuen kommunalen „Plan local de sécurité“ (PLS) und sollen das Sicherheitsgefühl der Bewohner verbessern. Die Kontrolle wurde allerdings auch schon vor dem neuen Sicherheitsplan gemacht, meint Sonia. Ihrer Meinung nach hat sich die Sicherheitssituation in Esch in den vergangenen Jahren nicht wirklich verschlechtert. „Wenn ich es mit vor sieben Jahren vergleiche, dann ist es meiner Meinung nach ruhiger geworden.“ Damals habe es zum Beispiel mehr Schlägereien gegeben – dafür müssten sie sich jetzt öfter mit Überfällen auseinandersetzen. Sie versteht das Unsicherheitsgefühl der Menschen natürlich, aber: „Ich glaube nicht, dass Esch unsicherer ist als andere Städte.“
Die Zahl der von der Polizei in Luxemburg erfassten Vergehen ist 2022 im Vergleich zum Vorjahr von 42.875 auf 54.55 gestiegen – ein Plus von 27,23 Prozent. Dabei handelte es sich bei zwei Drittel um Eigentumsdelikte. In Sachen einfache Diebstähle, Ladendiebstähle und Taschendiebstähle gab es vergangenes Jahr einen Anstieg von 48,91 Prozent. 5.096 der Vergehen sind auf Benzinklau zurückzuführen. Warum die Zahl der Eigentumsdelikte stark zugenommen hat, erklärte Polizeiminister Henri Kox („déi gréng“) Mitte April zum Teil mit der hohen Inflationsrate und den Preisexplosionen der vergangenen Monate. Immer mehr Menschen sähen keinen anderen Ausweg.
Sonia und Luca gehen um 22.40 Uhr durch die Brillstraße. Auf Hochglanz war diese Ecke in Esch zwar nie poliert, ihren speziellen Charme zog sie vor allem aus dem südländischen Flair, das sie einst versprühte. Das machte sie zu einer Escher Attraktion, auch wenn sie seit Jahren eher ein Sorgenkind ist. Doch mittlerweile sei wesentlich weniger los als noch vor ein paar Jahren. Fünf Kinder spielen Fußball und begrüßen die Polizisten freundlich. Die Restaurants sind dabei, aufzuräumen. Viele Cafés, die in der Straße früher für Probleme gesorgt haben, bestehen mittlerweile nicht mehr. Das hat auch schon geholfen, meint Sonia.
Machtlos gegen Tuning-Treffen
Um 22.50 Uhr sitzen die beiden im Polizeiauto „Eines der guten Fahrzeuge“, sagt Sonia. Der Zähler zeigt nach vier Jahren im Einsatz 153.510 Kilometer an. Luca fährt, Sonia kümmert sich um den Funk und gibt gelegentlich Hilfestellungen wie „Fahrbahn ist rechts frei“. Die beiden wechseln sich je nach Tag ab. Wo sie während der Patrouille fahren, ist nicht festgelegt.
Die Stimme im Funkgerät schickt Echo14 um 23.03 Uhr zu einer Kontrolle. Es wird die erste Enttäuschung in dieser Nacht sein. Aber nicht die einzige. Es geht nach Leudelingen, wo Tuning-Fans Rennen fahren. „Das hat seit Covid zugenommen“, meint Sonia. Es sei schwierig, dagegen vorzugehen. Die Autoliebhaber würden immer ein paar Späher platzieren, die sie vor dem Eintreffen der Polizisten warnen. „Wenn wir dann ankommen, ist schon wieder alles vorbei“, sagt Sonia.
Wir fühlen uns etwas dumm – wir wissen genau, was läuft, aber uns sind die Hände gebundenPolizistin
Und tatsächlich: Als die beiden um 23.15 Uhr die Tankstellen erreichen, stehen etwa 70 Autos auf den Parkplätzen, bei den Zapfsäulen und neben der Straße – hinter dem Steuer sitzt niemand. Die Menschen stehen mit Getränken, die sie auf der Tankstelle gekauft haben, in mehreren Gruppen zusammen und schauen dem langsam vorbeifahrenden Polizeiwagen nach. Ein paar der Anwesenden lachen – der Witz scheint auf die Kosten der Beamten zu gehen. Luca steuert den Wagen ein paar Mal um den Block und fährt dann wieder auf die Autobahn. „Wir fühlen uns etwas dumm – wir wissen genau, was läuft, aber uns sind die Hände gebunden“, bedauert Sonia.
Mit Blaulicht und Sirene
Zurück in die Avenue de la Gare. Aus den Funkgeräten erklingt um 0.54 Uhr eine Durchsage, die im allgemeinen Gesprächslärm fast untergeht. Alle Polizisten sind in ihre Wagen geeilt. Nix „Zwou Bulle Mokka“, dafür Blaulicht und Sirenen. „Es gab einen Einbruch in Bergem“, erklärt Sonia, während ihr Partner sich aufs Fahren konzentriert. Mit über 80 km/h brettert das Polizeiauto durch die Straßen Eschs bis zur Autobahn A4, wo der Wagen bis an seine Grenzen gebracht wird. Vier Patrouillen aus Esch und eine aus Düdelingen sind unterwegs, um den Einbrecher noch zu erwischen.
Über das Funkgerät koordiniert die Escher Zentrale die Teams so, dass alle möglichen Fluchtwege abgedeckt werden. Yves Reyter, „Chef de groupe adjoint“, hat im Einsatzzentrum eine Karte vor sich, auf der er die Positionen aller Einsatzwagen sieht. Ein Programm zeichnet automatisch einen Kreis um den Tatort, der dann in mehreren Teilen abgefahren werden kann. Luca und Sonia fahren über Foetz und kommen um 1.01 Uhr in Bergem an – sieben Minuten nach der Meldung. „Bei Einbrüchen ist es immer eine Lotterie, ob man den Schuldigen noch erwischt“, sagt Sonia. Luca bleibt vor einem schwarzen geparkten VW Golf in der rue de l’Ecole stehen, in dem jemand sitzt. Seine Partnerin gibt das Kennzeichen über Funk durch. Ein paar Sekunden später liest die Stimme am anderen Ende den Namen, die Adresse und Polizeiakte des Besitzers vor. Alles in Ordnung. Luca gibt wieder Gas.
Nach wenigen Minuten erklingt die Stimme wieder aus dem Funkgerät: Der Täter ist scheinbar vor 23 Minuten Richtung Steinbrücken abgehauen. „Vergiss es“, ruft Sonia frustriert. Der Zeuge habe wohl nicht sofort nach der Tat angerufen. Luca und Sonia befahren noch ein paar Straßen, ein anderes Team nimmt die Zeugenaussagen vor Ort auf. Um 1.13 gähnt Luca lautstark. „Rapp dech“, scherzt Sonia.
Jugendlicher mit Waffe
Drei Minuten später müssen die beiden wieder die Sirenen anmachen: Jemand versucht, in Rümelingen ein Auto zu stehlen. Luca gibt Gas. Der Polizeiwagen rast über die A13, als über das Funkgerät ein weiterer Vorfall durchgegeben wird. Sicherheitsleute melden einen jungen Mann mit Waffe auf der „Terre Rouge“-Tankstelle in Esch. Echo14 gehört zu den Teams, die sich dorthin begeben sollen. Eine andere Streife kümmert sich um Rümelingen.
Um 1.26 Uhr treffen die beiden dort ein – insgesamt sechs Beamte sind vor Ort. Eine Gruppe junger Menschen sieht die Streife und bewegt sich von der Tankstelle weg. Die Polizisten holen sie ein, verlangen Ausweisdokumente und stellen Fragen. Schlussendlich stellt sich heraus, dass einer der jungen Männer eine relativ realistisch aussehende Plastikwaffe mit zur Tankstelle genommen hatte. Sie benutzt oder jemanden damit bedroht hat er nicht. Die Beamten finden die falsche Pistole um 1.41 Uhr gegenüber im Rasen – und geben sie dem Jugendlichen nach einem kurzen Gespräch zurück. „Du bist eigentlich zu alt, um mit solch einer Waffe zu spielen“, fügt der Polizist noch halb scherzend hinzu.
Gulasch mit Kollegen
Kurz nach 2.00 Uhr stehen Sonia und Luca in der kleinen Polizeiküche. Küche heißt in diesem Fall ein paar Kaffeemaschinen, ein Kühlschrank, zwei Mikrowellen und ein Herd – ohne Abzugshaube. Der längliche Esstisch mit 16 Sitzplätzen füllt den kompletten Raum. Während Sonia sich Gulasch aufwärmt, redet sie mit Luca über einen Fall von Essensdiebstahl aus dem Polizeikühlschrank. Nach und nach gesellen sich weitere Polizisten hinzu. Der Platz wird knapp, doch die Stimmung ist ausgelassen. „Neue Mitarbeiter müssen einmal für die Gruppe kochen“, erklärt Sonia – bei ihr war es damals Lasagne. Nach dem letzten Löffel Gulasch atmet sie einmal tief aus. „Die Müdigkeit setzt normalerweise nach dem Essen ein“, meint sie.
Nimmt man die Arbeit denn nicht mit nach Hause? „Sobald ich das Gebäude verlasse, denke ich nicht mehr daran“, sagt Luca. Sonia geht es ähnlich. „Man muss auch die schlimmen Fälle mit Humor nehmen, sonst schafft man das nicht“, meint die 30-Jährige. Mit Arbeitskollegen reden helfe auch. Die anwesenden Polizisten stimmen zu. Sonia erledigt gegen 2.45 Uhr noch ein bisschen Papierkram. Da Echo14 an diesem Freitagabend noch keine größeren Verstöße festgestellt hat, fällt wenig Papierarbeit an. Bei verschiedenen Fällen komme es vor, dass die Beamten für vier bis fünf Stunden im Büro festsitzen.
„Rapp dech“
Um 3.23 Uhr sind Sonia und Luca wieder zu Fuß unterwegs und kontrollieren, ob die Kirmesbuden alle geschlossen sind. Beim Eingang des Escher Justizgebäudes nahe dem Rathaus liegen zwei in Decken eingewickelte Menschen. Die Polizisten gehen kurz rüber, leuchten sie mit der Taschenlampe an und kommen wieder zurück. Das Schnarchen wird dadurch nicht unterbrochen. „Wir haben nur nachgeschaut, ob sie noch atmen – es ist schon vorgekommen, dass das nicht der Fall war“, erzählt Sonia. Solange die Obdachlosen niemanden stören, unternehmen die Beamten nichts. Um 4.00 Uhr sind die beiden wieder im Auto und auf dem Weg nach Leudelingen. Sonia gähnt. „Rapp dech“, scherzt Luca. Das Tuning-Treffen ist mittlerweile wieder vorbei. Die restliche Schicht verläuft relativ ruhig.
Der Himmel wird langsam heller. Es ist 5.30 Uhr, Luca und Sonia sind in den vergangenen Stunden 119 Kilometer gefahren. Die beiden stehen müde im Kommissariat und ziehen Bilanz: „Es war ruhig für einen Freitagabend – wir hatten nur etwa eine Stunde, während der etwas mehr los war“, meint Sonia. „Normalerweise ist ab 3.00 Uhr, wenn die Cafés schließen, mehr los. Heute hatten wir nichts“, fügt Luca hinzu. Bis zum Feierabend steht noch ein bisschen Papierarbeit an. Dann geht es endlich nach Hause. „Ich freue mich aufs Bett“, sagt Sonia mit einem erschöpften Grinsen. „Absolut“, stimmt Luca zu.
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