Rassismus / Eine Selbstverbrennung als Mahnruf
Der öffentliche Suizid von Maggy Delvaux Mufu im Oktober 2004 brachte einen strukturellen Rassismus zum Vorschein, der in Luxemburg zwar längst virulent und an der Tagesordnung war, aber häufig totgeschwiegen wurde. Erst allmählich sensibilisierte sich die Gesellschaft in dieser Hinsicht stärker.
Luxemburg, Anfang Oktober 2004. Ein ganz normaler herbstlicher Wochentag im Großherzogtum, so scheint es. Vor dem hauptstädtischen Cercle Cité findet gerade eine Veranstaltung des Mouvement écologique statt. Es ist kurz vor Mittag. Plötzlich übergießt sich eine Frau mit Benzin aus einem Kanister und tritt in den Vordergrund. „Je suis victime de racisme, j’ai mis de l’essence sur moi, je vais m’allumer“ habe sie geschrien, schildert das Tageblatt später die Situation. Die Frau zündet sich an. Eine Stichflamme entsteht, die Frau schreit und läuft brennend umher, bis sie zusammenbricht und sich auf dem Boden hin und her wälzt.
Wie unsere Zeitung weiter ausführte, habe der Ehemann, ein 45-jähriger Belgier, zuvor die Anwesenheit seiner Frau in der Stadt gemeldet. Auch wird beschrieben, wie drei Männer sich auf die Frau stürzen und versuchen, mit ihren Jacken die Flammen zu ersticken. Und es wird die Vorgeschichte geschildert: Die 44-jährige Maggy Delvaux Mufu Mpia, eine Belgierin kongolesischer Abstammung, die mit ihrer Familie in Oberwampach wohnte, hatte per Telefon der Wochenzeitung Le Jeudi, einem Ministerium und der Kanzlei ihres Anwalts die Tat angekündigt. Dem Jeudi-Chefredakteur Jacques Hillion hatte sie bereits zuvor ein ganzes Dossier zugesandt, um zu zeigen, wie sie von den Verwaltungen über längere Zeit ungerecht behandelt und schikaniert worden sei. Sie hatte auch ihre Tat angekündigt, worauf die Zeitung die Polizei informierte. Diese war bereits von anderer Seite informiert worden. Allerdings habe Maggy Delvaux Mufu einen anderen Ort genannt.
Je suis victime de racisme, j’ai mis de l’essence sur moi, je vais m’allumerOktober 2004
Die lebensgefährlich verletzte Frau wurde zuerst ins „Centre hospitalier“ und danach aufgrund ihrer schweren Verbrennungen nach Metz ins „Centre des grands brûlés“ eingeliefert. Dort starb die Mutter von drei Kindern einige Tage später. In ihrem Schreiben an den Jeudi hatte sie ihren Leidensweg und den ihrer Familie beschrieben. Die darin genannten Vorwürfe u.a. gegen das Mittelstandsministerium und die „Chambre des métiers“ wiegen schwer. Sie prangert in dem Schreiben die bürokratischen Schikanen an, denen sie ausgesetzt gewesen sei – und den Rassismus, unter dem auch ihre Kinder zu leiden gehabt hätten. Seitens des Ministeriums wird das Dossier der Familie Delvaux-Mufu als kompliziert bewertet, die Handwerkskammer nennt die Anschuldigungen „Räubergeschichten“. Fälle wie diese gebe es zu Hunderten. Eine Antwort, die erschüttert. Die Behörden weisen auf ihre Reglements hin.
Kampf mit Behörden
Maggy Mufu ging es hingegen um ihre Existenz. Sie beschreibt in dem Brief, wie ihr Mann, ein Ingenieur, und sie, die sieben Jahre zuvor aus Brüssel nach Luxemburg gekommen waren, beschlossen, eine Firma zu gründen. Sie hatten die Gelegenheit, in ihrem Wohnort eine Citroën-Werkstatt zu kaufen, wurden bei den Banken vorstellig und beantragten eine Gewerbeerlaubnis. Doch im Juni 2003 erhielten sie einen Negativbescheid. Olivier Delvaux, so der Name ihres Mannes, sei nicht in der Lage, eine Werkstatt zu führen. Das Ehepaar reicht eine Beschwerde ein. Es begann ein Hindernislauf durch die Institutionen, ein Rechtsanwalt wurde eingeschaltet, eine Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Doch nach Maggy Mufus Worten sei es unmöglich gewesen, eine Auskunft zu erhalten. Das Ehepaar bekam gesagt, es sollte nach Hause gehen, wenn es nicht zufrieden sei, in Luxemburg zu leben. Auch nachdem das Verwaltungsgericht die Entscheidung des Mittelstandsministeriums aufhob, gingen die Schikanen weiter. Nicht einmal einen Praktikanten habe Delvaux einstellen dürfen. Die Familie lebte inzwischen vom RMG, die Ersparnisse gingen zur Neige.
Olivier Delvaux gab später gegenüber der Presse den Behörden die Schuld am Tod seiner Frau. Allerdings macht er auch sich selbst Vorwürfe. Er erwähnte, dass Großherzogin Maria Teresa ihm einen Besuch abgestattet hat. Viele andere Autoritäten des Landes hätten jedoch alles getan, um ihn zu ruinieren – und seine Frau in die Verzweiflung zu treiben. Die Kinder seien wegen ihrer Hautfarbe in der Schule diskriminiert worden und in die schwächsten Klassen gesteckt worden, weil sie schlecht Deutsch sprachen.
Es ist in unserer Gesellschaft einfacher, dem Opfer Schuldgefühle einzureden, als die Peiniger zu verurteilenEhemann von Maggy Mufu
Seine Frau habe begonnen, ein Buch zu schreiben, so Olivier Delvaux. Der Titel lautete: „Le Droit de vivre. Née coupable“. Die Auszüge wurden im Jeudi vom 25. November 2004 veröffentlicht: „Ich habe zwei Verbrechen begangen, als ich auf die Welt kam. Das eine ist, dass ich ein Mensch mit schwarzer Hautfarbe bin. (…) Ich bin auch weiblich.“ An einer anderen Stelle zitierte die Zeitung Olivier Delvaux: „Sie wollte nur in Frieden mit ihrer Familie in einer etwas gerechteren Welt leben (…) Jetzt habe ich nur noch meine Augen, um sie zu beweinen. Das Verbrechen liegt nicht im Opfer, sondern in der Tat des Täters. Nur ist es in unserer Gesellschaft einfacher, dem Opfer Schuldgefühle einzureden, als die Peiniger zu verurteilen.“
Selbstverbrennung als Protestform
Die Liste der Selbstverbrennungen als Form eines Protests ist lang, hat stets starke Emotionen geweckt und ist je nach Kulturkreis unterschiedlich oft aufgetreten. Einer der berühmtesten Fälle ist der des vietnamesischen Buddhisten-Mönchs Thich Quang Duc, der sich am 11. Juni 1963 in Saigon selbst tötete, um gegen die Diskriminierung von Buddhisten in Südvietnam zu protestieren. Das von Malcolm W. Browns aufgenommene Foto der Selbstverbrennung wurde 1963 zum Pressefoto des Jahres gewählt. Nicht minder bekannt ist der Fall des tschechoslowakischen Studenten Jan Palach am 16. Januar 1969 auf dem Wenzelsplatz in Prag aus Protest gegen die Niederschlagung des sogenannten Prager Frühlings.
Ein weiterer unter vielen ist der des tunesischen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi, der sich am 17. Dezember 2010 in Sidi Bouzid in Brand setzte: Sein Tod löste eine Welle sozialer Unruhen aus, die zum Arabischen Frühling führten. In mehreren Ländern kam es daraufhin zu zahlreichen Nachahmungstaten. Vor 20 Jahren verbrannten sich in Afghanistan Hunderte von Frauen, vor allem in der Stadt Herat, sowohl aus Scham als auch aus Angst vor Zwangsheirat und häuslicher Gewalt. Einen weiteren Fall von Selbstverbrennung gab es in Luxemburg ungefähr ein halbes Jahr nach dem Tod von Maggy Mufu, als sich eine Frau vor der Kirche in Hollerich anzündete und kurz darauf starb.
Rassismus in Luxemburg
Im Jahr 2004 war Rassismus zumeist nur unter den Betroffenen ein Diskussionsthema. Dies änderte sich spätestens mit dem Bericht „Being Black in the EU“ von der Europäischen Union für Grundrechte aus dem Jahr 2018. In der dem Bericht zugrunde liegenden Studie über die Diskriminierung dunkelhäutiger Menschen schnitt Luxemburg schlecht ab. So gab jeder zweite Bürger dunkler Hautfarbe an, in den fünf vorausgegangenen Jahren rassistisch beleidigt worden zu sein. Etwa 70 Prozent der Befragten sagten, wegen ihrer Hautfarbe und Herkunft benachteiligt worden zu sein.
Auf der im November 2019 organisierten Konferenz „Being Black in Luxembourg“ im hauptstädtischen Cercle Cité, unweit der Stelle, wo sich 15 Jahre zuvor Maggy Mufu verbrannte, kamen Personen mit afrikanischen Wurzeln zu Wort. Die Veranstaltung stieß eine Diskussion über Rassismus in Luxemburg an. Die Organisatoren – die Ausländerhilfsorganisationen ASTI und CLAE sowie die Luxemburger Menschenrechtskommission – hatten zu der Veranstaltung aufgerufen. Erneut auf die politische Agenda geriet das Thema durch die weltweiten Black-Lives-Matter-Proteste nach den tödlichen Polizeiübergriffen in den USA. Anfang Juni 2020 kam es zu einer Demonstration vor der US-Botschaft in Luxemburg.
Die Abgeordnetenkammer nahm im Juli 2020 einen Antrag an, in dem eine Untersuchung über den Rassismus hierzulande gefordert wurde. Daraufhin gab das Familien- und Integrationsministerium die Studie „Le racisme et les discriminations ethno-raciales au Luxembourg“ in Auftrag. Deren Ergebnisse wurden Anfang März dieses Jahres vorgestellt. Durchgeführt hatten die Untersuchung das Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) und das Centre d’étude et de formation interculturelles et sociales (Cefis). Die Studie bestätigte weitgehend, dass der Rassismus nach wie vor ein Problem hierzulande ist. Dass es vor allem in den sozialen Netzwerken rassistische Äußerungen gebe, konnte die antirassistische Organisation Lëtz Rise Up im April dieses Jahres bestätigten. Diese wies anlässlich einer Unterredung mit dem Familienministerium darauf hin. Den Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus (Napar) hatte die Vorgängerregierung nicht zu Ende geführt.
So seien etwa rassistische Vorfälle an Schulen hierzulande häufiger geworden, stellte die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) fest. Zwar gibt es mittlerweile eine Reihe von Initiativen und Konferenzen zum Rassismus. Doch die Datenbasis ist in Luxemburg immer noch mangelhaft. Und die eigentliche Problematik, der strukturelle Rassismus in den Behörden, ist längst nicht beseitigt. In den Amtsstuben herrscht vielerorts noch der alte Geist der Zeit von 2004 und davor. Maggy Mufus Verzweiflungstat schien ein Fanal für strukturelle Veränderungen zu sein. Diese lassen aber noch immer auf sich warten.
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