Technik / Eine Software aus Luxemburg kann Überschwemmungen praktisch in Echtzeit beobachten
Mit Satellitenbildern und einem von ihnen entwickelten Computerprogramm können Forscher des LIST Überschwemmungen weltweit überwachen. Ein neugegründetes Unternehmen soll die Technologie nun vermarkten.
An Satelliten, die die Erde beobachten, mangelt es nicht. Ganze Schwärme von ihnen umkreisen den Globus und machen hochauflösende Aufnahmen. „Das Problem ist, dass es oft lange dauert, bis diese Bilder ausgewertet werden und denen zur Verfügung stehen, die etwa im Falle einer Naturkatastrophe schnell Entscheidungen treffen müssen“, sagt Patrick Matgen. Er ist Wissenschaftler am Forschungsinstitut LIST. Ein neues Programm, das er und sein Team entwickelt haben, schafft Abhilfe. „Wir haben in den letzten Jahren am LIST eine Software entwickelt, die es erlaubt, diese Daten ganz schnell auszuwerten und Überschwemmungskarten zu erstellen“, so Matgen weiter.
Die Satelliten-Daten liefern zum Beispiel die Sentinel-1-Satelliten der europäischen Weltraumagentur ESA. Dabei handelt es sich um Radarbilder. Die Sentinel-Satelliten sind Teil der Copernicus-Mission der Europäischen Kommission und der ESA. Ihre Bilder sind frei verfügbar. „Radarsatelliten haben den Vorteil, dass sie unabhängig von der Bewölkung und der Tageszeit Aufnahmen von der Erdoberfläche machen können“, sagt Matgen. „Damit sind sie eine zuverlässige Datenquelle, anders als optische Satelliten, die nur Fotos liefern können, wenn keine Wolken vorhanden sind, was gerade im Falle von Hochwasser eher selten der Fall ist.“
Die Satelliten kartieren mit ihren Radaren die Erde im Schnitt alle zwei bis drei Tage komplett. „Mit unserem Programm identifizieren wir ganz schnell, wo sich seit der letzten Aufnahme etwas auf der Erdoberfläche verändert hat.“ Der Forscher zeigt Bilder, die während der Monsunzeit von einer Region in Myanmar gemacht worden sind. Darauf ist deutlich ein dunkel dargestelltes Gebiet zu erkennen, das von einer Aufnahme zur nächsten angewachsen ist.
Ein Novum
Vor wenigen Jahren noch war es nicht möglich, die Erde so systematisch nach Überflutungen abzusuchen. Mithilfe des neuen Programmes ist es jetzt möglich, alle Satellitenbilder systematisch zu durchsuchen. „Das bedeutet, dass wir nicht mehr darauf warten müssen, dass der Zivilschutz eine Notsituation erkennt, Satellitenbilder anfragt und diese dann ausgewertet werden“, erklärt Matgen die Vorteile des Programmes. Noch vor ein paar Jahren hätte es Tage gedauert, bis auf diese Weise eine Karte zustande gekommen wäre. In einem Notfall viel zu lang. „Auf diese Art und Weise können wir nun alle paar Tage ein Update über die Überschwemmungen machen – und zwar global.“ Ein Novum.
Warum aber braucht es dafür Satelliten? Hochwasser ist schließlich auch von der Erde aus beobachtbar. Die Analyse der Satellitenbilder sei dennoch nützlich, sagt Matgen. Die Informationen, die die Forscher daraus ziehen, werden in Modelle zur Vorhersage von Hochwasser eingespeist. So können dann zum Beispiel Bilder der Vogesen dazu beitragen, eine Überschwemmung an der Mosel in Luxemburg besser vorherzusagen.
„In Südostasien gibt es Gegenden, in denen es fünf bis sechs Monate lang Überschwemmungen gibt. Dort verändert sich die Ausdehnung der Überschwemmung tagtäglich“. Satelliten erlauben es besser als Messungen auf der Erdoberfläche, sich alle zwei Tage einen Überblick über das wahre Ausmaß solcher Überschwemmungen zu machen, so Matgen weiter.
Um das Programm in der Praxis anwenden zu können, hat LIST sich Partner gesucht. Zusammen mit FadeOut Software aus Italien und RSS-Hydro aus Düdelingen haben sie das Unternehmen WASDI gegründet. „LIST trägt seine neue Software zu der neuen Firma bei“, so Matgen. Die privaten Partner des LIST beschaffen die Satelliten-Daten und stellen die enormen Rechenkapazitäten zur Verfügung, die gebraucht werden, um die vielen Satellitenbilder, die jeden Tag gemacht werden, auszuwerten. „Als LIST geht es uns darum, die Technologie zu entwickeln. Für die operationelle Anwendung suchen wir uns Partner, wie in diesem Fall FadeOut Software und RSS-Hydro, um eine Dienstleistung oder ein Produkt daraus zu entwickeln.“ Derzeit arbeiten LIST und WASDI noch eng zusammen, um das Produkt zu optimieren und weiterzuentwickeln. Langfristig soll die Firma auf eigenen Füßen stehen, was laut Matgen eine punktuelle Zusammenarbeit allerdings nicht ausschließen soll. Matgen sind keine anderen Projekte bekannt, die momentan eine globale Überwachung von Überschwemmungen anbieten. Die Konkurrenz allerdings schläft nicht. „Deshalb ist es wichtig, dass wir auch in Zukunft mit der Spin-off zusammenarbeiten, um anderen immer einen Schritt voraus zu sein.“ Eine Herausforderung seien Städte. Auf Radarbildern ist Wasser in den Straßen zwischen hohen Gebäuden nicht gut erkennbar, erklärt Matgen. „Hierfür brauchen wir einen anspruchsvolleren Algorithmus.“ Die Arbeiten an einem derart verbesserten Algorithmus seien vor Kurzem abgeschlossen worden. An seiner Vermarktung wird noch gearbeitet.
Katastrophenmanagement
Die neue Firma hat bereits zwei große Kunden: die Weltbank und das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Die Weltbank wollte den Versicherungssektor in Südostasien ein Mittel an die Hand geben, um besser mit Naturkatastrophen umgehen zu können. Dazu werden die Überschwemmungskarten mit Karten gekoppelt, die die Bevölkerungsdichte anzeigen. Dieser Auftrag war die Initialzündung für die Gründung eines Spin-offs. Das Welternährungsprogramm hingegen nutzt die Dienstleistung aus Luxemburg für ihr Katastrophenmanagement. Mit den Überschwemmungskarten kann zum Beispiel festgestellt werden, wo die landwirtschaftliche Produktion über einen längeren Zeitraum beeinträchtigt war. Dort kann dann mit Nahrungsmitteln ausgeholfen werden.
Nicht immer sind die Projekte von Matgen und seinem Team derart global. In einem anderen Projekt kollaboriert das Team mit dem „Institut viti-vinicole“ aus Remich. Bei dieser Zusammenarbeit absolvieren Drohnen Flüge in den Weinbergen, um die Rebstöcke zu untersuchen. So können erste Anzeichen von Krankheiten festgestellt und den Winzern mitgeteilt werden, damit diese reagieren können. Auch Wälder ließen sich mit Drohnen und Satelliten überwachen.
Das Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) ist eine öffentliche Einrichtung, die im Bereich der Naturwissenschaften und Technik forscht. Öffentliche Aufmerksamkeit erhielt das LIST im letzten Jahr dadurch, dass es Rückstände des Coronavirus in Luxemburgs Kläranlagen aufspürt und überwacht.
Ich kann das auch von der Moselbrücke aus, ganz ohne Software.