Formel 1 / „Einmalige Chance“: Luxemburger Mike Krack über seinen neuen Job als Aston-Martin-Teamchef
Mike Krack ist der neue Teamchef beim Formel-1-Rennstall Aston Martin. Kurz vor seinem ersten offiziellen Auftritt in den Farben der Bond-Marke bei den Testfahrten in Barcelona, die am Mittwoch beginnen, hat der Luxemburger im Interview mit dem Tageblatt über die Herausforderungen seines neuen Jobs gesprochen.
Tageblatt: Herr Krack, mit der Ankündigung im Januar, dass Sie Teamchef beim Formel-1-Team Aston Martin werden, ist auch das öffentliche Interesse an Ihrer Person gestiegen. Wie stressig war die Zeit seitdem?
Mike Krack: Es hat sich in allen Belangen bemerkbar gemacht. Ich war bis jetzt Chef bei BMW Motorsport, die Formel 1 ist einfach eine andere Größenordnung. Seien es E-Mails, SMS oder LinkedIn, die Anzahl der Nachrichten und Anfragen hat sich seitdem verzehnfacht. Das war aber zu erwarten. Das Interesse an der Formel 1 ist einfach größer.
Wie kommt man denn eigentlich an den Job als Teamchef bei einem Formel-1-Rennstall? Ein solches Angebot liest man ja nicht in den Stellenanzeigen.
Nein, so ist es nicht. (lacht) Ich hatte diesen Job eigentlich nicht auf dem Schirm, weil ich auch erst seit neun Monaten in der Funktion bei BMW war. Und es ist auch nicht so, dass diese Arbeit mir nicht gefallen hätte.
Ich wurde Ende November positiv auf das Coronavirus getestet und war zu Hause in Quarantäne. Zu diesem Zeitpunkt hat mich eine Headhunting-Firma kontaktiert und wollte wissen, ob ich Interesse an einer Tätigkeit in der Formel 1 hätte. Es war aber noch nicht klar, um welches Team oder welchen Posten es sich handeln würde.
War Ihr Interesse sofort geweckt?
Ich habe zuvor schon lange in der Formel 1 gearbeitet (2001 bis 2009 bei Sauber, später BMW-Sauber, Anm. d. Red.) und hatte damals aufgehört, weil ich zwei kleine Kinder hatte. Die sind aber jetzt nicht mehr klein. (lacht) Ich habe mir dann angehört, um was es ging. Es wurde immer konkreter. Auf einmal kam auch heraus, um welchen Rennstall es sich handeln würde und um welchen Posten. Und eine solche Chance bekommt man nicht jeden Tag. Es handelt sich um eine Sache, über die man nicht lange nachdenken muss. Natürlich mussten die Rahmenbedingungen aber stimmen.
Und das taten sie bei Aston Martin …
In England ist Aston Martin ein Name, der mit viel Geschichte verbunden ist. In München, wo ich wohne, bekommt man gar nicht mit, wie groß und wichtig diese Marke für England eigentlich ist. In Silverstone wird ein komplett neuer Campus mit neuen Gebäuden und Windkanal gebaut. Der Rennstall hat ein großes Potenzial. Ich glaube nicht, dass es im Moment ein anderes Team in der Formel 1 gibt, das so wächst.
Die Entscheidung war also schnell gefallen, als Sie wussten, um welchen Job es sich genau handeln würde?
Nicht direkt. Auch mit der Familie musste ich natürlich erst einmal alles abklären. Ich bin zum Beispiel auch jetzt viel unterwegs, aber nicht in der Intensität, wie es die Formel 1 fordert. Ich habe aber das Glück, dass meine Familie auch aus Fans besteht. Wir haben uns schon in den vergangenen Jahren alle Grand Prix angeschaut, weil es eben jeden interessiert. Ich habe mit meiner Frau und meinen zwei Kindern darüber diskutiert. Ich sagte, wenn einer nicht einverstanden sei, würde ich den Posten nicht annehmen. Es ist aber eine einmalige Chance und alle waren sich einig – jeder hat gesagt, ich soll es machen. Anschließend habe ich mich mit den Verantwortlichen getroffen und schnell geeinigt.
Bedeutet dies für Sie persönlich also auch einen Umzug von Deutschland nach England?
Ich werde viel in Silverstone, im Hauptquartier des Teams, arbeiten. Einen solchen Job kann man nicht von zu Hause aus machen. Der menschliche Kontakt ist unheimlich wichtig. Unter der Woche werde ich deswegen in Silverstone leben. An den freien Wochenenden, an denen es keine Grand Prix oder Testfahrten gibt, werde ich dann die Familie besuchen oder sie mich.
War ein Job in der Formel 1 eigentlich schon immer Ihr Traum?
Es war schon immer ein Wunsch. Mein Traumberuf war es immer, Renningenieur in der Formel 1 zu sein. Das ist mir 2004 und 2005 bereits gelungen, als ich Ingenieur von Felipe Massa war. Während zwei, drei Jahren war ich zu dem Zeitpunkt aber schon in der zweiten Reihe des Teams. Meinen Traumberuf hatte ich damit eigentlich schon erreicht.
Jetzt sind Sie als Teamchef bei Aston Martin gelandet. Was sind eigentlich die Aufgaben, die dort auf Sie warten?
Ich war noch nie Teamchef, deswegen weiß ich es noch nicht genau. (lacht) Es wird sicherlich Aufgaben geben, die ich jetzt noch überhaupt nicht auf dem Schirm habe. Zum einen ist es aber ein Posten, auf dem man die Verantwortung für das Team trägt. Vergleichbar mit dem Trainer im Fußball. Wenn es nicht läuft, werden die natürlich auch schnell entlassen. (lacht) Es gibt außerdem eine ganze Menge repräsentative Aufgaben. Der Renningenieur ist zum Beispiel nicht der Interviewpartner Nummer eins. Meistens tritt der Teamchef vor die Presse. Auch der kommerzielle Aspekt ist wichtig, genauso wie die Technik. Ich bin auch verantwortlich für die Performance. Es gibt sehr viele und gute Mitarbeiter, die alle genau wissen, was sie tun. Die Verantwortung muss aber eine Person tragen. Es geht außerdem darum, zu entscheiden, wofür man in Zukunft wie viel Geld ausgibt.
Es geht jetzt darum, sich im Team einzuarbeiten, das System zu verstehen und die Menschen und Abläufe kennenzulernenüber die Erwartungen an seine ersten Monate als Teamchef bei Aston Martin
An den Rennwochenenden sind Sie zudem an der Strecke dabei. Entscheiden Sie auch in Taktik- und Strategie-Fragen mit?
Bei Aston Martin habe ich noch kein Rennen mitgemacht, deswegen weiß ich noch nicht genau, wie es laufen wird. Ich kenne die Situation, wie sie früher bei BMW-Sauber war. Normalerweise sind die Verantwortungen klar definiert. Als Teamchef hat man aber immer ein Veto-Recht. Wenn es zum Beispiel bei wechselndem Wetter heißt: Wir legen einen Boxenstopp ein und wechseln auf Regenreifen – und der Teamchef sich sicher ist, dass es die falsche Entscheidung ist, kann er ein Veto einlegen. Man muss sich dies aber gut überlegen. Man kann nicht ständig Vetos einlegen. Die Leute, die diese Entscheidungen treffen, wissen nämlich genau, was sie tun. Sie sind Vollprofis. Ich denke, dass es wichtig ist, ihnen Vertrauen zu schenken, und dass ich deswegen nicht oft von meinem Veto-Recht Gebrauch machen werde.
Aus meiner Sicht ist es wichtiger, in der Analyse nach jedem Rennen zu schauen, was man hätte besser machen können, und nicht davor den großen Chef zu spielen. Natürlich ist man nach einem Rennen immer schlauer. Deswegen dürfen bei der Analyse dann auch nur die Informationen in Betracht gezogen werden, die man zum Zeitpunkt der Entscheidung zur Verfügung hatte.
Aston Martin hat sich für die kommenden Jahre große Ziele gesetzt und will um Siege und WM-Titel mitkämpfen. Wie groß ist der Druck, bei einem Team mit solchen Ambitionen, in der Verantwortung zu stehen?
Das Problem ist immer das Erwartungsmanagement. Aston Martin hat zum Beispiel auch im letzten Jahr Dan Fallows, einen Aerodynamiker von Red Bull, verpflichtet. Das heißt aber nicht, dass direkt ein Resultat folgt. Dan kann nämlich erst im April loslegen – bis sein Impakt vorhanden ist, wird diese Saison schon fast vorbei sein. Man verpflichtet nicht heute einen Top-Ingenieur und erreicht am Sonntag im Rennen eine bessere Platzierung. So einfach ist es nicht. Es kommen neue Leute zusammen. Die sind alle gut. Sie müssen aber auch alle gut zusammenarbeiten können. Sie müssen erst zusammenfinden und an einem Strang ziehen.
Gibt es im Vorfeld schon Ideen, was Sie ändern wollen?
Ich bin überzeugt, dass Aston Martin gut aufgestellt ist. Wir sind in einer ähnlichen Situation wie damals bei Sauber. Wir waren ein kleines Team ohne große Möglichkeiten – dann kam BMW und hat massiv Budget zur Verfügung gestellt und neue Leute eingestellt. Mein jetziges Team hieß zuvor Racing Point – dann kamen Lawrence Stroll und Aston Martin mit viel Budget. Es gibt plötzlich Möglichkeiten, die vorher nie da waren. Das heißt aber nicht, dass wir mit diesen neuen Möglichkeiten von heute auf morgen einen Schalter umlegen können und alles besser wird.
Es geht jetzt darum, sich im Team einzuarbeiten, das System zu verstehen und die Menschen und Abläufe kennenzulernen. Wenn man diese nicht kennt, kann man sie nicht verändern. Es muss auch nicht alles verändert werden. Nur weil man neu ist, heißt das nicht, dass davor alles schlecht war. Veränderung heißt auch gleichzeitig Störung, deswegen muss man aufpassen, dass es nicht in die falsche Richtung ausschlägt. Es geht darum, die richtige Balance zu finden.
Bis Ende Februar läuft Ihr Vertrag bei BMW noch, erst danach dürfen Sie Ihren neuen Job offiziell antreten. Bleibt genügend Zeit, um sich vor der Saison einzuarbeiten?
Ich bin sehr glücklich und dankbar, dass BMW mir den kurzfristigen Ausstieg aus meinem Vertrag ermöglicht und nicht auf die eigentlich längere Kündigungsfrist beharrt hat. Wenn ich nämlich mitten in der Saison bei Aston Martin einsteigen würde, wäre es um einiges schwieriger, als wenn ich von Beginn an dabei sein kann.
Ich war immer transparent und habe BMW sofort mitgeteilt, dass ich dies machen will, und auch erklärt, dass ich keine Baustellen hinterlassen werde. Dann bekam ich das o.k. Ich durfte zudem an freien Tagen schon für Aston Martin arbeiten. Bei der Präsentation des neuen Wagens und des Teams war ich zum Beispiel schon dabei. Aber nicht in offizieller Funktion, sondern nur als neutraler Beobachter. Bei den Testtagen in Barcelona (23.-25. Februar, Anm. d. Red.) werde ich dann erstmals offiziell dabei sein, obwohl mein Vertrag bei BMW noch bis Ende des Monats läuft. Ich bin sehr dankbar, dass BMW mir das ermöglicht hat. Das ist nicht selbstverständlich. Offiziell habe ich meinen ersten Arbeitstag bei Aston Martin dann am 1. März.
Kann man denn jetzt, kurz vor Beginn der Testfahrten, schon sagen, wo Aston Martin in der anstehenden Saison im Vergleich zu den anderen Teams stehen wird? Oder lassen die massiven Regeländerungen keine Prognosen zu?
Es gibt ein neues technisches Reglement. Jeder musste bei null anfangen. Dadurch, dass sich alles fundamental geändert hat, kann wirklich niemand sagen, wie es laufen wird. Wir müssen jetzt so schnell wie möglich so viel wie möglich über das neue Reglement lernen. Dann müssen wir einen Entwicklungsplan festlegen, sodass man für jeden Grand Prix versucht, das Auto weiterzuentwickeln. So kann man neue Teile einführen und die Performance verbessern. Wo Aston Martin stehen wird, kann man jetzt aber noch nicht sagen. Dafür müsste man eine Glaskugel haben. Nach Barcelona werden wir eine erste Idee haben.
Mit Sebastian Vettel ist auch ein für Sie bekanntes Gesicht im Team. Mit ihm haben Sie schon 2006 und 2007 bei Sauber zusammengearbeitet. Mittlerweile ist er vierfacher Weltmeister. Freuen Sie sich, wieder mit ihm zusammenzuarbeiten?
Ich habe ihn schon bei der Teampräsentation Anfang Februar wiedergetroffen. Auch wenn ich ihn während zehn Jahren nicht gesehen hatte, war es so, als wäre die letzte Begegnung erst gestern gewesen. Mit ihm ist es einfach. Er ist ganz bodenständig – genau wie ich. Das hilft. Wir haben über unsere Kinder und die Familie gesprochen.
Wir dürfen aber nicht nur auf Sebastian Vettel schauen – es gibt zwei Piloten im Team. Wir müssen mit vereinter Stärke auftreten und dürfen nicht nur auf einen Piloten setzen.
Auch wenn ich ihn während zehn Jahren nicht gesehen hatte, war es so, als wäre die letzte Begegnung erst gestern gewesenüber das Wiedersehen mit Sebastian Vettel
Wie würden Sie die Fahrerkombination Sebastian Vettel/Lance Stroll denn beschreiben?
Beide sind Vollprofis. Ich habe mir die Resultate der vergangenen Saison angesehen, wo sie im gleichen Auto saßen – und sie waren auf Augenhöhe. Lance hat das Problem, dass viele glauben, er wäre nur wegen seines Vaters da, wo er jetzt ist. Er ist aber schon lange dabei, hat sich schon oft bewiesen und mehrfach gute Ergebnisse eingefahren. Es ist nicht so, dass er in den vergangenen Jahren die ganze Zeit am Ende des Feldes fuhr. Mit Sebastian hat er außerdem gut mitgehalten. Das zeigt, dass er auf einem sehr hohen Niveau fährt. Mit einem vierfachen Weltmeister mitzuhalten, ist nämlich alles andere als einfach.
Sie verlassen BMW für die Formel 1. Was überwiegt im Moment: die Nostalgie, weil Sie BMW verlassen, oder die Vorfreude auf die Formel 1?
Sowohl als auch. Bei BMW haben wir an einem Hypercar-Projekt (LMDh) gearbeitet, um an der IMSA und irgendwann vielleicht auch in Le Mans teilzunehmen. Das war natürlich ein großes Highlight. Die Siege bei den 24 Stunden von Spa, bei den 24 Stunden Nürburgring und zweimal in Daytona sind auch coole Erinnerungen. Auch in der Formel E waren wir dabei – haben zwar nie den Titel, aber jedes Jahr ein paar Siege geholt. Es waren schon coole Momente. Es ist nicht so, dass die Arbeit dort mir keinen Spaß mehr bereitet hat. Auf der einen Seite ist es deswegen schade, das LMDh-Projekt hätte ich auch gerne zu Ende gebracht. Die Formel 1 und Aston Martin warten aber nicht darauf. Auch wegen der Menschen bei BMW verlasse ich München mit einem weinenden Auge. Wir sind in den vergangenen Jahren zu einer großen Familie zusammengewachsen.
Auf der anderen Seite ist die Vorfreude aber groß. Die Formel 1 ist die Champions League des Motorsports. Ich nehme diese Aufgabe mit viel Ehrfurcht an. Wie bereits gesagt: Es ist wie beim Trainer. Falls es nicht klappt, muss einer dran glauben. Ich bin mir dessen bewusst. Wenn ich es aber nicht versuche, kann ich auch nichts gewinnen.
Der Kalender 2022
23.-25.2.: Testfahrten in Barcelona (Spanien)
10.-12.3.: Testfahrten in Sakhir (Bahrain)
20.3.: GP von Bahrain
27.3.: GP von Saudi-Arabien
10.4.: GP von Australien
24.4.: GP der Emilia-Romagna (I)
8.5.: GP von Miami (USA)
22.5.: GP von Spanien
29.5.: GP von Monaco
12.6.: GP von Aserbaidschan
19.6.: GP von Kanada
3.7.: GP von Großbritannien
10.7.: GP von Österreich
24.7.: GP von Frankreich
31.7.: GP von Ungarn
28.8: GP von Belgien
4.9.: GP der Niederlande
11.9.: GP von Italien
25.9.: GP von Russland
2.10.: GP von Singapur
9.10.: GP von Japan
23:10.: GP der USA
30.10.: GP von Mexiko
13.11.: GP von Brasilien
20.11.: GP von Abu Dhabi
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