/ Einzelhandel an der Kette: Die Landwirte haben den Kampf gegen die Hypermärkte gewonnen
Die französische Regierung hat am vergangenen Freitag das Ende der freien Preisgestaltung im Einzelhandel eingeläutet. Sie hat im Wesentlichen die großen Einzelhandelsketten wie Carrefour, Leclerc, Cora oder Auchan an die Kette gelegt. Der Grund: Die Landwirte kommen mit ihren Einkommen nicht mehr aus.
Frühjahr und Sommer 2017: Französische Landwirte blockieren in der Normandie und in der Bretagne Super- und Hypermärkte der großen französischen Handelsketten. Sie gehen in die Geschäfte, notieren Preise, werfen ausländische Produkte aus den Regalen. Anlass ist ein Absinken des Milchpreises oder auch der Zusammenbruch des Preises von Schweinefleisch. Er produziere mit seinen Kühen eine Million Liter Milch pro Jahr, bei einem Preis von 40 Cent pro Liter komme er hin, erklärte ein Landwirt damals gegenüber dem Tageblatt. Aber zu dem Zeitpunkt liegt der Milchpreis bei 37 Cent, wird noch weiter auf teilweise 33 Cent absacken. Der Landwirt verliert am Ende des Jahres ein Einkommen von 70.000 Euro. Dabei bleibt es nicht. Der Preis für Rindfleisch bricht ebenfalls ein, beim Schweinefleisch verlieren die Züchter gut 33 Prozent an Einkommen.
Die für sie Schuldigen: Die großen Handelsketten mit ihren Tiefpreisen und die Veredler der Rohware. Die Margen der Zwischenhändler und der Veredler seien zu hoch, erklärt ein anderer Landwirt im Tageblatt-Gespräch zwischen Traktoren, die die Straße zur Touristenattraktion Mont St. Michel sperren. Man wolle nicht, dass der Verbraucher mehr bezahle, sondern dass in den Zwischenstufen zwischen Produktion und Produkt, das der Endverbraucher bezahle, die Margen kleiner würden.
Die Einigung
Herbst 2017: In einer groß angelegten Diskussion über den Zustand der französischen Landwirtschaft einigen sich die Bauern und die Regierung auf eine Revolution. Nicht mehr der Einzelhandel bestimmt die Preise für Fleisch, Fisch, Früchte und Gemüse. Grundlage sollen die Kosten der Landwirtschaft sein. Die Umkehrung der Verfahrensweise soll die Zusatzkosten auf die Zwischenhändler und Veredler abwälzen. Im Laufe des Jahres 2018 zeigt der französische Einzelhandel aber auch, wozu er fähig ist. In großen Aktionen werden Nutella-Pyramiden um 70 Prozent billiger verkauft. An einzelnen Standort wie in Metz kommt es zu Prügeleien um die Nuss-Nougat-Crème. Ordnungskräfte müssen eingreifen.
Oktober 2018: Die französische Nationalversammlung beschließt ein Lebensmittelgesetz. Der Einzelhandel darf nicht mehr unter seinen Kosten verkaufen. Seine Marge muss bei mindestens 10 Prozent liegen. Kauft er für 1 Euro ein, muss der Verkaufspreis bei mindestens 1,10 Euro liegen.
Produkte werden teurer
Am 1. Februar nun trat genau das ein, was die französischen Landwirte nicht wollten. Denn jetzt bezahlt der Verbraucher, was der Handel an die Landwirte mehr bezahlen soll. Im französischen Einzelhandel werden etwa 20 Prozent des Umsatzes mit einer Marge unter 10 Prozent gemacht. Bei Intermarché werden 5 Prozent des Sortiments teurer. Um gut 35 Cent werden im Durchschnitt die Produkte bei Carrefour teurer. Michel-Edouard Leclerc, Vorkämpfer in der französischen Handelswelt für niedrige Preise, sieht sich gezwungen, für etwa 3.000 Produkte die Preise um 5 Prozent zu erhöhen, für weitere 1.000 Produkte um 3 Prozent.
In einem Fernseh-Interview wird der Manager befragt, ob er denn nicht verstehen könne, dass man mit den höheren Preisen Solidarität mit den Bauern beweise. „Lassen Sie doch mal eine Verkäuferin Kunden ansprechen und sagen, dass man die Preise aus Solidarität mit der Landwirtschaft angehoben habe. Der Kunde läuft doch weg“, ärgert er sich. „Die Menschen haben für Lebensmittel eben nur ein begrenztes Budget.“
Sonderaktionen sind in einem sehr begrenzten Rahmen weiter möglich. Sie dürfen 25 Prozent des Volumens und 34 Prozent des Wertes nicht überschreiten. Das heißt: „Eine Packung gekauft, eine geschenkt“ geht nicht mehr, weil das 50 Prozent sind. Selbst „zwei gekauft, eine geschenkt“ geht nicht mehr, weil es sich um 33 Prozent handelt. Der Handel hat sich darauf eingestellt. Die Eigenmarken sollen billiger und deutlicher hervorgehoben werden. Die Vergütungen auf den Treuekarten werden angehoben. Und dann kann man ja Sonderangebote auch bei Waschmitteln, Schreibwaren, Papier, Haushaltsgeräten und Hygiene-Artikeln anbieten …
Die Konsequenz
Es gibt in Frankreich eine Art und Weise, die Menschen zu beruhigen, die eine Verschleierung darstellt. Die Konkurrenzwächter beschwichtigen: Es handele sich im Durchschnitt ja nur um 14 bis 38 Euro im Jahr, heißt es. Und im Einzelfall sei die Verteuerung ja auch nicht so groß. Der Liter Olivenöl werde um 80 Cent teurer und die Flasche Pastis um 1,32 Euro (siehe unten). Das ist Augenwischerei. Die Inflationsrate in Frankreich betrug ersten Betrachtungen zufolge 2018 zwar nur 1,6 Prozent, aber darin versteckt gibt es eine Inflationsrate für Konsumgüterpreise. Sie lag bei 2,3 Prozent. Die durchschnittliche Verteuerung für Grundnahrungsmittel, die seit dem 1. Februar in Frankreich eingetreten ist, liegt bei 6,3 Prozent.
In diesen Wochen werden aber auch die Autobahnen teurer, die Strompreise werden anziehen und auch die Sachversicherer denken über Preiserhöhungen nach. Immer heißt es dann, dass es sich auf das Jahr bezogen nur um 20, 30, 50 oder 80 Euro handelt. Am Ende machen sich die Teuerungen mit bis zu 200 Euro im Jahr ordentlich in der Geldbörse bemerkbar. Genau deswegen aber sind im November 2018 die gelben Westen ursprünglich auf die Straße gegangen. Ob das Gesetz wirklich hilft, ist fraglich.
Im Zeitraum 2007 bis 2016 ging der Verzehr von Fleisch pro Tag um 12 Prozent auf 135 Gramm pro Kopf zurück, schreibt das Marktforschungsinstitut Crédoc. Beim Frischfleisch sank er von 144 Gramm auf 45. Geflügel und Wild bleiben dagegen mit einer sinkenden Nachfrage von 2,9 Prozent fast stabil.
Das Gesetz in vier Punkten
- Verkaufspreise für Fleisch, Fisch, Obst, Gemüse und Milch müssen um 10 Prozent über den Einkaufspreisen liegen.
- Sonderaktionen sind nur im Rahmen von 25 Prozent des Volumens und 34 Prozent des Wertes erlaubt.
- Das System wird umgekehrt. Nicht mehr der Handel diktiert den Preis. Vielmehr sind die Kosten des Landwirtes ausschlaggebend.
- In den Kantinen des öffentlichen Dienstes (inklusive Schulen und Universitäten) müssen 50 Prozent Bioprodukte bis 2022 eingesetzt werden.
Die Folge: Je nach Größe des Super- oder Hypermarkts werden zwischen 500 und 4.000 Produkte 0,5 bis 9,9 Prozent teurer.
„Péage“ teurer
Seit vergangenen Freitag ist die Nutzung der Autobahnen teurer geworden. Die Tarife sind um 1,8 Prozent angestiegen. Die Steigerung ist in den Konzessionsverträgen vorgesehen. Der französischen Regierung ist es in Verhandlungen gelungen, die Betreiber zu einem Zugeständnis zu bewegen. So sollen Nutzer der Autobahnen, die sie im Monat mindestens zehn Mal befahren, einen Nachlass von 30 Prozent erhalten.
Die Energiepreise
Der zuständige Rat für die Entwicklung der Energiepreise hat eine Empfehlung ausgesprochen, diese Preise um 6,3 Prozent zu erhöhen. Die französische Regierung muss dazu entscheiden und befindet sich in einer schwierigen Situation. Strompreise sind politische Preise. Heizungen mit Strom sind in Frankreich normal. Als die Kernkraftwerke entstanden, wurde der produzierte Strom so in den Markt gedrückt. Mittlerweile ist Strom in Frankreich aber nicht mehr preiswert. Die frühere Umweltministerin Ségolène Royal hatte in ihrer Amtszeit mit dem Stromgiganten EDF vereinbart, nur einen Teil der Erhöhung zu genehmigen und den Rest später nachzufordern. Das hatte zu Unruhe in der Bevölkerung geführt. Die Entscheidung der Regierung steht noch aus.
Dagegen ist der Gaspreis Anfang Februar um 0,73 Prozent gesunken. Er wird bis zum Juni 2019 in Etappen weiter sinken. Im Januar war er bereits um 1,9 Prozent zurückgegangen. Im April erfolgt eine neue Verringerung um 1,9 Prozent, 0,6 Prozent im Mai und weitere 0,45 Prozent im Juni.
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Bravo.
Exemple à suivre. Nicht nur in Frankreich. Agrarprodukte können ruhig teurer sein wenn es um Existenzen und Qualität geht. Von wegen „die Landwirte haben Probleme Butter zu liefern,“ wie vor Monaten die leeren Regale bei den Ketten erklärt wurden. Es war ein reiner Preiskrieg gegen die Bauern,denn urplötzlich,nach der Jahreswende war wieder Butter zu haben.In rauhen Mengen,aber natürlich-teurer. Fraglich ob die Bauern von der Teuerung profitiert haben. Wenn freie Preisgestaltung mafiöse Tendenzen annimmt,sollte der Staat eingreifen. So gibt es laut Kartellamt etliche „Kartelle“ in fast jeder Branche,wo regelmäßige Preisabsprachen vorgenommen werden,zum Leidwesen der Endverbraucher. Über lächerliche Bußgelder können die Kartelle nur müde lächeln.
Do hun eis Noperen rem eng Gasfabrik gebaut !
Mat der Lei’sung kennt och naischt beim Produzent un !
Et wir duer gang fir gesetzlech ee Mindestpreis vum Produzent festzelee’en !
Die Idee ist gut, die Umsetzung allerdings miserabel. Den Handel verpflichten, Produkte mit einer Mindestmarge zu verkaufen führt zu einer Verteuerung der Produkte. Den Konsumenten wird suggerieret, etwas Gutes für die Landwirte zu tun. Bei denen aber kommt von der Verteuerung nichts oder ganz wenig an.
Im Gegenteil wird der Preisdruck auf die Bauern langfristig sogar noch zunehmen. Denn die meisten Franzosen sehen die Situation ganz anders. Sie klagen – Stichwort „gilets jaunes“ über ihre sinkende Kaufkraft und haben wenig Verständnis für die steigenden Verbraucherpreise. Das einzige was den Bauern wirklich geholfen hätte wäre die Festlegung von kostendeckenden Mindestpreisen für den Produzenten gewesen.