Editorial / Elch/Sauer, Europäische Kulturhauptstadt
Natürlich. Wir machen alle Fehler. Manchmal sind sie aber besonders lustig und vielleicht auch etwas entlarvend. Ach komm, EU, jetzt lass uns doch mal etwas lachen.
Willkommen in Elch an der Sauer. Malerische Gässchen. Burgruine. Grünbewaldete Hügelchen. Elche grasen an den Flussauen. Und nicht zu vergessen: Kulturhauptstadt Europas 2022. Ja, richtig gelesen, das ist Elch an der Sauer. Denn die EU-Kommission will es offenbar noch nicht so wirklich wahrhaben, dass ausgerechnet der staubige Industriemoloch im Süden Luxemburgs die Kulturhauptstadt des ganzen Kontinents sein soll. Deswegen hat Kultur-Generaldirektorin Themis Christophidou (Nummer zwei hinter Kulturkommissarin Mariya Gabriel) am 23. Dezember den Menschen im Norden ein Geschenk gemacht – und Elch/Sauer zur Kulturhauptstadt erklärt.
Die Geschichte begann mit einem Twitter-Post der Generaldirektorin. Am 23. Dezember verschickte sie über das soziale Netzwerk ihre „very best wishes“ an die drei neuen #EuropeanCapitals of #Culture. Der Twitter-Tag zum richtigen Esch stimmte den Lokalpatrioten froh – der Blick auf die Dreier-Collage im „Sharepic“ nicht. Denn zum romantischen Burgenturm von Kaunas und dem pittoresken Rathaus von Novi Sad gesellte sich das malerische Esch/Sauer-Tal-Panorama. Das passte der Direktorin offenbar besser als die rostigen Hochöfen vom anderen Esch.
Das kann ja mal passieren bei so vielen Eschs. Aber wie genau? Das Tageblatt hat knallhart bei der EU-Kommission nachgefragt. Spoiler: Auch in Brüssel gehen die Uhren zwischen den Jahren offenbar langsamer. Die diensthabende Sprecherin, die zur Ferien-Unzeit offenbar von Fischereirechten bis Finanzpolitik alle Ressorts des vereinten Europas beackern muss, bemühte sich jedoch redlich. Erst war ruckzuck der peinliche Tweet gelöscht – dann wurde das allerfeinste Politik-Speak ausgepackt. Mit 291 Wörtern beschrieb die Kommunikationsspezialistin, wie gut, schön, toll, großartig, exzellent und ehrwürdig das Programm der Europäischen Kulturlaubstädte ist – und dass es seit seiner Gründung anno 1985 zu einer der „most high-profile cultural initiatives“ Europas geworden ist. Und nicht nur das: Der Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ sei für Städte eine exzellente Gelegenheit, „to put themselves on the world map“. Aber ja doch, ruft es da aus dem Kanton Wiltz!
Ob Generaldirektorin Themis Christophidou denn jemals Esch/Alzette oder Esch/Sauer persönlich aufgesucht hat, die Gemeinden, die ja 2022 diese wichtige „high-profile initiative“ beherbergen? Als Zypriotin, die auf ihrer Insel jeden Tag rund elf Jahrtausende Kulturgeschichte vor der Nase hat, sollte sie sich mit #Culture ja auskennen. Mit Sicherheit lässt die EU-Sprecherin diese unsere Frage aus Höflichkeit unbeantwortet. Eine Erklärung, wie es zur Verwechslung kam, wird dagegen anstandslos geliefert: „Das Einfügen eines falschen Bildes für Elch war auf einen Schreibfehler zurückzuführen und wurde inzwischen korrigiert.“ Ach, Esch/Alzette. Erst wirst du mit einem Nord-Dorf verwechselt, dann auch noch mit einem Nord-Paarhufer.
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Aber vielleicht sollten die durchtrainierten Kommunikationsabteilungen unserer lieben Behörden doch ab und zu mal über ihre eigenen glatt gebürsteten Ergüsse reflektieren – schlussendlich sind es immer noch Menschen, zu denen sie da sprechen. Immerhin haben sie eines fraglos geschafft: Esch/Sauer war für einen kurzen Twitter-Shitstorm so etwas wie „on the world map“.
Obwohl Esch/Sauer nicht zur Europäischen Kulturhauptstadt ernannt wurde, bekommt das kleine Dörfchen trotzdem Lob vom Reisemagazin „Geo“: Hier finden Sie den entsprechenden Artikel.
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