Editorial / Empört euch: über ein verlegtes Metal-Festival und verpasste Chancen im Netz
Vor zwei Wochen soll der Bürgermeister einer betuchten Gemeinde unweit der Hauptstadt den Organisatoren eines Festivals erklärt haben, Metal sei keine Musik – und hat damit besagte Organisatoren dazu verdammt, sich wenige Tage vor Beginn des in der Logik des Bürgermeisters musiklosen Festivals einen neuen Standort zu suchen. Verlegt wurde es dann schon fast klischeehaft in den rauen, lauten Süden – weit weg also von der Hauptstadt, in der Lydie Polfers (DP) Krieg gegen den Lärm sich mittlerweile territorial auszubreiten scheint.
Abgesehen davon, dass ein CSV-Politiker, der sich in musikästhetischen Analysen übt, ein wenig wie ein Fehler in der Matrix wirkt, und dass – wie der frühere Tageblatt-Kollege Tom Haas es sehr treffend in sozialen Medien formulierte – es ebenso seltsam anmutet, wenn gerade ein sehr bürgerliches Musikgenre so feindselig von einer ebenso bürgerlichen Partei behandelt wird, sind vor allem die zahlreichen Solidaritätsbekundungen interessant.
Nicht nur gab es rasch Facebook-Coverfotos, die (fast) im Charlie-Hebdo-Stil „Metal ist meine Musik“ verkündeten, Nico Pündel avancierte zudem so schnell zur Persona non grata der hiesigen Kulturszene, dass die Organisatoren des Festivals in Posts insistieren mussten, es gehe ihnen keineswegs um eine Hetzjagd gegen den Bürgermeister und man möge sich mit den Ad-hominem-Attacken ein bisschen zurückhalten.
„Indignez-vous“, forderte Stéphane Hessel in seinem kurzen Bestseller 2010 – und ahnte nicht, dass er damit unwillentlich das Zeitalter der Empörung einleitete. Diese Empörung, die heutzutage fast jeden Diskurs verseucht, bevor einer Debatte überhaupt die Möglichkeit gegeben wird, sich zu entwickeln, manifestiert sich jedoch hauptsächlich darin, dass Menschen schnell ein paar aufgeregte Zeilen in sozialen Medien tippen, die dann von anderen Menschen kommentiert und/oder mit einer Reihe mehr oder weniger aussagekräftiger Emojis versehen werden.
Das, was eigentlich die erste Etappe einer Rebellion sein sollte, hört allerdings meist genau hier auf, sodass Wörter wie „Solidarität“ oder „Protest“ riskieren, zu leeren Worthülsen zu werden oder zumindest irgendwann umdefiniert werden müssen, weil sie längst nicht mehr das bezeichnen, worauf sie einst Bezug nahmen. Wenn Solidarität und Protest nur noch aus ein paar hingerotzten digitalen Zeilen und Herz-Emojis bestehen, müssen sich skrupellose Entscheidungsträger und desinteressierte Politiker definitiv keine Sorgen mehr machen: Wer sich in sozialen Medien kathartisch einmal kurz aufgeregt und sich so der angestauten Wut entledigt hat, riskiert potenziell weniger, auf die Barrikaden zu gehen und auf der Straße zu demonstrieren.
Dabei kann und sollte das Internet so viel mehr sein – mittlerweile wirkt es aber ganz so, als würden viele seine subversiven und aktionistischen Möglichkeitsräume brachliegen lassen und sich stattdessen damit zufriedengeben, sich wie zur Passivität konditionierte Pawlow-Hunde in der eigenen Empörung zu suhlen. Anstatt die im Netz gegebenen Handlungsmöglichkeiten auszuschöpfen – hier können unbekannte Menschen aufgrund gemeinsamer Interessen kommunizieren und sich, wie in Hobbes’ Bild vom Leviathan, zweckgemeinschaftlich zusammentun –, wird ein digitaler Pseudoaktionismus gepflegt, hinter dem sich die hässliche Fratze einer kollektiven Lethargie geschickt und feige versteckt. Und im Endeffekt zeichnet sich so immer mehr ein Bild des Internets als zeitgenössisches Opium des Volkes ab.
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Gutt geschriwwen! Merci fir deen Artikel.
Bitte unterdrückt nicht die Organisation von Protesten im Internet. Strafen bei Nicht-Anmeldung auf kommunaler Ebene sind ok, aber bitte nicht die Organisation unterbinden.
Auf Schadenersatz verklagen, damit ihm Hören und Sehen vergeht.
Hmm, ist nun die äußerung, dass Metal eine „sehr bürgerliche Musikrichtung“ ist, nun auch eine herabwürdigende Verallgemeinerung oder nicht?