Interview / Energieminister Turmes zu den geplanten Atomreaktoren in Frankreich: „Verlorene Zeit und Geld“
Cattenom-Bürgermeister Bernard Zenner wünscht sich auf dem Gelände des Atomkraftwerks zwei weitere Reaktoren. Laut EDF wurde Cattenom bis jetzt noch nicht als möglicher Standort für weitere Reaktoren festgehalten. Das Tageblatt hat mit Energieminister Claude Turmes („déi gréng“) über eine mögliche Erweiterung und Laufzeitverlängerung Cattenoms gesprochen.
Tageblatt: Herr Turmes, der Bürgermeister von Cattenom, Bernard Zenner, wünscht sich zwei weitere Kernreaktoren in seiner Gemeinde. Was halten Sie davon?
Claude Turmes: Absolut nichts. Allgemein kann man sagen, dass neue Atomreaktoren nur verlorene Zeit und verlorenes Geld sind. Das ist eine Technologie, die zu spät kommt für den Klimaschutz. Jetzt in Atomenergie zu investieren, ist drei- bis viermal teurer als Wind- oder Solarenergie.
Warum wünscht sich der Bürgermeister dann diese Reaktoren?
Ich glaube, dass er sich irgendwie ein bisschen profilieren will.
Frankreich baut weiterhin auf Atomkraftwerke
Frankreich will für seine Energieversorgung auch weiterhin stark auf die Atomkraft setzen. Bis 2050 wird der Bau von 14 neuen Kraftwerken geprüft. Der Bürgermeister von Cattenom, Bernard Zenner, hat kürzlich vorgeschlagen, zwei davon in dem französischen Ort nahe der Grenze zum Großherzogtum unterzubringen. Das erklärte er im Sender France Bleu Lorraine Nord. In Cattenom steht bereits ein Atomkraftwerk des französischen Betreibers „Électricité de France“ (EDF) mit derzeit vier Reaktoren. Doch: „Cattenom steht derzeit nicht auf der Liste der vorgeschlagenen Reaktoren“, schreibt die EDF auf Tageblatt-Nachfrage. Die möglichen Standorte der ersten sechs Reaktoren stehen nämlich schon fest. Wo die anderen acht Reaktoren gebaut werden sollen, sei noch nicht klar. Überhaupt habe der französische Präsident Emmanuel Macron bis jetzt nur bei der EDF Machbarkeitsstudien gefordert.
Einer seiner Argumente ist, dass das Atomkraftwerk Arbeitsplätze schafft.
Wenn morgen Cattenom zugemacht wird, dann finden die Angestellten ohne Problem eine neue Arbeit. Jemand, der als Sicherheitspersonal bei einem Atomkraftwerk arbeitet, den kann ich überall in der Industrie einsetzen. Das sind sehr gut ausgebildete Menschen und die Großregion gehört zu den dynamischsten Arbeitsmärkten.
Stehen Sie denn in Kontakt mit dem Bürgermeister bzw. überhaupt mit Cattenom? Wie ist Ihr Verhältnis mit den Betreibern?
EDF und auch die Franzosen auf nationalem Niveau geben uns keine Informationen. Es ist also keine gute Nachbarschaftsbeziehung. Wir wurden als Luxemburger ja auch nie gefragt, ob wir die Reaktoren dort überhaupt wollten.
Das heißt, wie funktioniert die Kommunikation?
Es ist so, dass wir verschiedene Sachen aus der Presse erfahren. Da diese, nicht kooperative Herangehensweise von Frankreich schon mehrere Jahre so geht, haben wir uns ein paar Menschen in Frankreich aufgebaut, die Teil der Anti-Atom-Bewegung sind. Über diese Personen kommen wir eher an Informationen als über die französischen Behörden. Und wir arbeiten auch mit Roger Spautz von Greenpeace zusammen.
Nehmen wir an, der Wunsch von Herrn Zenner würde erfüllt werden. Was könnte Luxemburg dann überhaupt dagegen unternehmen?
Also ich gehe sowieso davon aus, dass es extrem unwahrscheinlich ist. Erstens wird die Mosel durch den Klimawandel mit der Zeit immer weniger Wasser tragen. Deswegen ergibt die Idee, einen Reaktor dort in 10 oder 15 Jahren zu bauen, wenig Sinn. Wenn sie neue Kraftwerke bauen, dann eher beim Meer. Man muss wissen, dass Atomkraftwerke in Frankreich zwölf Prozent des französischen Wasserverbrauchs ausmachen. Das ist eine andere große Achillesferse der Atomenergie: Es ist die wasserintensivste Energieform, die es gibt. Das zweite Problem ist, dass der Standort Cattenom mit Luxemburg und Deutschland zwei Nachbarn hat, die politisch eine komplett andere Meinung haben. Sie würden also politischen Streit mit den beiden Ländern bekommen.
EDF hat dem Tageblatt gegenüber auch erwähnt, dass die Unterstützung der regionalen Verwaltungen ein entscheidender Faktor bei der Auswahl der potenziellen Standorte sei. Werden Sie noch weiter Druck aufbauen?
Ich glaube, EDF weiß, wie Deutschland und Luxemburg zur Atomkraft und Cattenom stehen. Wie gesagt, wir schätzen die Wahrscheinlichkeit weiterer Reaktoren in Cattenom als gering ein. Wir hatten auch vor kurzem noch Kontakt mit dem deutschen Umweltministerium. Sie schätzen das auch als unwahrscheinliches Szenario ein. Deswegen konzentrieren wir uns auch auf das, was realer ist: Vier Reaktoren, die anfangen, altersschwach zu werden und Risse bekommen. Das ist unsere Hauptsorge, das ist wirklich gefährlich und da arbeiten wir sehr eng mit den deutschen Behörden zusammen, um uns eine von Frankreich unabhängige Expertise zu besorgen.
EDF hat dem Tageblatt geschrieben, dass Cattenom ein „junges Kraftwerk“ sei, das „sehr leistungsfähig ist und sicher operiert.“ Kraftwerke hätten keine Altersgrenze und müssten nur eine zehnjährige Inspektion absolvieren.
Das ist eine sehr kapitalistische, finanztechnische Überlegung, um seine Investitionen gutzureden. Ich bin froh, dass die „Autorité de sûreté nucléaire“ (ASN) in Frankreich und auch das „Institut de radioprotection et de sûreté nucléaire“ (IRSN) das nicht so sehen. Die Risse, die in den vergangenen anderthalb Jahren entdeckt wurden, werden von den französischen Atomsicherheitsbehörden extrem ernst genommen. Sie müssen EDF eigentlich ständig in ihre Schranken verweisen, weil EDF versucht, mit diesen Reaktoren eine Gewinnoptimierung zu machen.
Sie haben gesagt, Sie würden eine unabhängige Expertise in Auftrag geben. Was kann denn nachher damit gemacht werden? Kann Luxemburg tatsächlich etwas bewirken?
Bei der Laufzeitverlängerung werden wir alle juristischen und politischen Möglichkeiten, die wir haben, zu hundert Prozent nutzen. EDF und die aktuelle französische Regierung sind sehr eigenartig unterwegs, sodass wir uns nicht auf sie verlassen können. Deswegen suchen wir nach einer Allianz mit Deutschland.
Haben Sie ein Beispiel für diese juristischen und politischen Möglichkeiten?
Die Verlängerung von Cattenom kommt jetzt Ende des Jahres bzw. 2024 auf uns zu. Wir sind jetzt dabei, uns zu überlegen, was die beste juristische und technische Strategie ist. Und wir sind auch dabei, uns das nötige Know-how über Berater, Expertisen und das Wissen des deutschen Umweltministeriums anzueignen. In den vergangenen Wochen hatten wir intensiveren Kontakt mit ihnen.
Deutschland hat jetzt die eigenen Atomkraftwerke abgeschaltet. Gleichzeitig verbrennen sie aber noch Kohle. Ist das der richtige, der grüne Weg?
Die Ironie der Perversion dieser Situation ist, dass Deutschland diesen Winter 12.000 MW Kohle laufen ließen, weil Frankreich Risse in seinen Atomkraftwerken hatte. Die deutschen Kohlekraftwerke laufen, weil Frankreich seit Jahrzehnten eine verfehlte Energiepolitik betreibt. Frankreich ist das Land, das das Ziel der erneuerbaren Energien am meisten verfehlt hat. Frankreich fehlen 20.000 bis 25.000 MW Energieproduktion – und das ist genau die Leistung, die Frankreich heute haben könnte, wenn es seine Solarenergie so ausgebaut hätte, wie das von der europäischen Direktive vorgesehen war. Und das war eigentlich eine Obligation für Frankreich. Was mich am meisten an dieser Debatte stört, ist, dass Frankreich sich nicht mal dafür bedankt, dass Deutschland Europa diesen Winter vor einem Blackout gerettet hat.
Deutschland hätte die Atomkraftwerke jetzt trotzdem noch weiterlaufen lassen können – das wäre dann klimafreundlicher als die Kohleproduktion.
Deutschland hat eine konsequente Strategie, um erneuerbare Energien auszubauen. Vergangenes Jahr war in Deutschland ein Rekordjahr für erneuerbare Investitionen. Der Energieminister Habeck hat ein Ziel von 80 Prozent erneuerbaren Energien. Die Habeck-Maßnahmen laufen ja gegensätzlich zu den Merkel-Maßnahmen. Er hat den Kohleausstieg von 2035/38 auf 2030 nach vorne geschoben. Deutschland geht jetzt den Weg, den wir auch als richtig empfinden: Es wird schnell und massiv in Solar- und Windenergie investiert. Das, was mir sehr viel Freude bereiten wird, ist, dass wir am Montag in einer Woche mit dem Premierminister nach Ostende gehen. Dort ist eine Versammlung mit den Staatsoberhäuptern der Nordseeländer und der baltischen Länder zum Thema Off-Shore-Wind. In den nächsten zehn bis 15 Jahren werden wir Offshore-Windparks bauen, die zehn-, 15-, 20-mal so viel Strom produzieren werden wie das, was sich von möglichen Atomreaktoren erträumt wurde. Ich bin resolut auf der Seite von Deutschland. Das, was sie machen, ist das, was uns dem Klimaschutz jetzt näher bringt.
Wie funktioniert ein Kernkraftwerk?
Ein Kernkraftwerk produziert Strom aus Wärme. Bei der Spaltung der Atomkerne wird Energie freigesetzt. Die Hitze, die dabei entsteht, wird genutzt, um Wasser in Dampf umzuwandeln. Dieser Dampf treibt dann eine Turbine an, die wiederum einen Generator antreibt, der Strom produziert.
Lesen Sie hier die Überlegungen zur Abschaltung der drei letzten Atomkraftwerke in Deutschland.
- PAG abgeändert: Gemeinde erlaubt den Bau von Tiny Houses - 11. November 2024.
- Die Berichterstattung über „Dëppefester“ ist ein essenzieller Teil unserer Gesellschaft - 4. November 2024.
- Tierschutzverein stößt an seine Grenzen: „Schafft euch nur ein Tier an, wenn ihr Zeit habt“ - 31. Oktober 2024.
Weiss Herr Turmes wie er den Strom aus den erneuerbaren Kraftwerken zwischenspeichern wird, wenn mal Dunkelflaute ist und es keine anderen Kraftwerke mehr gibt? Sind da schon Stromspeicher, egal welcher Art, gebaut worden?
Hiën muss et jo wëssen,sie haaten jo Hinger doheem!
@ Jemp : Jo zu Vianden !
„Das ist eine Technologie, die zu spät kommt für den Klimaschutz. Jetzt in Atomenergie zu investieren, ist drei- bis viermal teurer als Wind- oder Solarenergie.“ Hat Turmes noch nicht verstanden,dass Wind-und Solarenergie „volatile Energie“ sind.
So ist das wenn man Politik zur Religion macht. Gegen bessere Einsicht haben die Grünen in Deutschland und Luxemburg als einzige die Weisheit mit dem Löffel gefressen.Egal wie die Sache ausgehen wird-WIR haben Recht. Die benötigte Zahl an Speichern die wir brauchen ,im Falle einer Flaute,wird es nie geben. Aber was will man machen. Wenn Holzverbrennung als „erneuerbare Energie“ gewertet wird,liegen wir eh falsch. Dann kann man auch die Kohle weiter ausbuddeln. Nein Herr Turmes,die Atomkraft kommt nicht zu spät für den Klimaschutz,es war die Kohle die das Problem geschaffen hat.Merkel hat die AKW’s verdammt und die Kohle heilig gesprochen. Wer AKW’s an Tchernobyl oder Fukushima misst hat etwas nicht verstanden. Autos oder Alkohol werden ja auch nicht abgeschafft weil es Leute gibt die damit nicht umgehen können.
„leistungsfähig ist und sicher operiert.“
Sicher, naja. Habe noch nie ein AKW von innen gesehen, durfte aber bei verschiedenen sogenannten „Hitecfirmen“ in Frankreich reinschauen. Nonchalance war schon nicht übersehbar. Sogar ITM hätte hier die Notbremse gezogen.
@ Jemp/ a propos: Zwischenspeicher, war Claudi nicht auf dem Weg zur Wasserstoffproduktion irgendwo im Ausland.
Arcelor versucht es auch mit Wasserstoff, PW ist mit im Boot.
Sogar die Sindelfinger zwischenlagern die Solarenergie für die Autoproduktion. Fragen Sie mal unser Wasserwirtschaftsamt wie Pumpen betrieben werden wenn der Strom ausfällt.
„Einer seiner Argumente ist, dass das Atomkraftwerk Arbeitsplätze schafft.“
Fragen sie doch mal wie lange es dauert bis ein AKW komplett zurückgebaut ist. Der Bauer vom Acker nebenan ist bestimmt nicht für die Abbauarbeiten geeignet.
Hugh,grosser Häuptling mit Pferdeschwanz vom Stamme der Grünen hat gesprochen!
Turmes op den Velo an dann direkt bei den Macron,
vir deem d’Lewite ze liesen, deen laacht séch ower kapott.
@ JJ/ „weil es Leute gibt die damit nicht umgehen können.“
Jawoll, dort liegt der Hund begraben.
Kann man mit der Atomkraft richtig umgehen, meine, der Mensch noch nicht, oder sagen wir nur sehr wenige!
„oder Fukushima misst hat etwas nicht verstanden.“
Was habe ich denn nun nicht verstanden, dass die Menschheit mit sowas nicht umgehen kann?
Glaube J.R. Oppenheimer hat es kurz vor seinem Tod verstanden.
Nach seinem Minister Mandat welches im Oktober zu Ende ist, sollte Herr Turmes zu den französischen Grünen wechseln, dort kann er sicher vieles Bewirken.
Gudden Interview mat ganz neien Aspekter.
Hien get elo Buergermeschter vum ganzen Eisleck. An dann gin se do emol gecoacht, dei mat den Oldtimer, a vun den Trekker Treffen. Ech sin iwerzegt das hien nach als Schirmherr an den Depliant vum Rally Letzebuerg kennt. Fret Iech, dir Eislecker. Awer wann den Tunnel opgemach get zu Kautebach, wetten das dann den Bausch erem virun hien sprent fir op d´Foto.
@Nomi: Veiane kann nemme minutelang Stromspetzen ausgläichen. Do kann ee net späichere fir am Wanter den Defizit vun de Solaranlagen ze kompenséieren, an och net bei deeglange Flauten.
@Grober J-P.: D’Waasserstoffproduktioun mat Strom ass nach am Versuchsstadium, Pompele gi mat Dieselgeneratore bedriwe wann de Strom ausfällt.
Ma vivil Atomkraftwierker sin an dene leschte 50 Joer an lucht gang esou weh ech wess 2 dovir as et esou de vergleich gemach gett mat dem Flieger Stierwen manner Leit weh mat dem Auto an as och egal Welt as awer och esou genuch Verseucht an dat ohnie Atom Energie
Den gudden Här strotzt wéi emmer vun Arroganz!! Kee Wonner dass d‘Fransousen net mat Him Komunizéieren. E soll mol kucken wéivill AKW‘s an Europa nach um Netz sinn – dann mierkt e selwer dass dat Ganzt nemmen reng Polemik ass!!! Här Turmes, dat nennen ech „Sech Profiléieren“ virun de Walen!!!
Ech hunn eng Iddi: wann et méiglech wär mat dem Wand Stroum ze maachen, wann eis Politiker mat de Flilleken klappen, an d‘ Spruddelen vun hirem Getéins an engem Staudamm opzefänken, da wären eis Energie-Problemer geléist. Derniewent kënnte mer och nach hier al a faul Verspriechen kompostéieren a Biogas draus maachen. Déi déckste Ligen missten an engem Industrie-Häckseler kleng gemaach ginn, an als Briqueten Verwäertung fannen. Ech sichen en Invenstor fir meng néi Firma ze finanzéieren.
Wasserstoff ist jetzt das Schlagwort der Politik.
Ich habe den Eindruck, daß der große Anteil der Bevölkerung Wasserstoff mit Wasser gleichsetzt.
Wohl kann Wasserstoff unter sehr großem Energieaufwand und geringer Ausbeute aus Wasser gewonnen werden, hat aber mit Wasser nichts gemeinsam. Wasserstoff ist ein sehr leicht diffundierendes, an der Luft hochexplosives Gas. Da dürften noch eine Menge Sicherheitsprobleme auf uns zukommen, von denen jetzt niemand reden will. Alle Wasserstoffanlagen stehen unter sehr hohem Druck, was den Gebrauch im Privatbereich sehr einschränken wird. Unfälle mit wasserstoffbetriebenen Autos werden verheerend sein. Löschen braucht man allerdings nicht, in Sekundenschnelle ist alles abgebrannt……..
Fazit: eine einfache Wunderlösung ist Wasserstoff nicht.