Editorial / „Eng Téitsch am soziale Verhalen“: Personenkult zwischen Zelebrierung und Infragestellung
In einer vor einer Woche im Tageblatt veröffentlichten Reportage über die Reaktionen der Luxemburger Musikszene auf die Causa Rammstein und Erfahrungen im Luxemburger Backstage-Leben berichtete „Atelier“-Booker Michel Welter vom Verhalten verschiedener Rockstars und meinte, angesichts der Tatsache, dass es Fälle von Kontrakten gab, in denen der Crew verboten wurde, dem Musiker in die Augen zu schauen oder mit ihm zu reden, wäre es nur normal, dass diese Menschen „eng Téitsch“ in ihrem sozialen Verhalten abbekommen würden.
Tatsächlich lassen die rezenten Anklagen gegen Till Lindemann mehr denn je den Eindruck zu, dass der Podest, auf dem es sich Pop- und Rockstars in den letzten Jahrzehnten bequem gemacht hatten, am Wackeln ist und die dunklen Exzesse des Personenkults nicht nur nach und nach aufgedeckt, sondern auch so langsam hinterfragt werden – auch wenn nicht jede der von uns angefragten Institutionen gleichermaßen bereit waren, zu den Vorfällen klare Stellung zu beziehen und man eine gewisse Zurückhaltung gerade bei einem staatlich geförderten Konzerthaus (der Rockhal) spürte, die durchaus ein bisschen feige wirkt.
Wer jedoch am Montag oder Dienstag eines der Robbie-Williams-Konzerte auf der Luxexpo Open Air miterlebte, erhielt den Eindruck, diese Hinterfragung des Personenkults würde gerade an den Realitätsverhältnissen scheitern: Jede noch so pathetische Aussage des Popstars wurde wild akklamiert, jede kindliche Geste von Mitleidsrufen begleitet, jeder persönliche Sieg über die Sucht gefeiert. Robbie Williams nannte sein Konzert eine Therapie, de facto war es ein Infantilisierungsritual eines eigentlich erwachsenen Menschen und der erneute Beweis, wie leicht eine Menschenmenge konditionierbar ist.
Klar, das gehört alles zur Show – und Künstler sind eben anders. Dass dies aber die üblichen bequemen und verharmlosenden Argumente sind, die nur ungeschickt verdecken, dass eben jene Verhätschelung der Nährboden ist, auf dem andere abnormale, ungleich dunklere und kriminellere Verhaltensweisen wachsen, wird dabei allzu gerne vergessen.
In der Menge wird, vielleicht aufgrund eines dem Menschen innewohnenden Hangs zum mimetischen Verhalten, weiterhin zelebriert, was gerade anderswo angefochten wird: Weil den Menschen die kognitive Verbindung fehlt zwischen dem Gestus des Auf-den-Podest-Stellens und den Missetaten, die seit einigen Jahren immer wieder für Aufsehen in den Medien sorgen und manchmal zu gerichtlichen Verurteilungen führen, bevorzugt man es, die individuellen Missetäter zu bestrafen (was legitim und wichtig ist), ohne dabei die Strukturen und Verhaltensmechanismen zu hinterfragen, die es den Straftätern erlaubt haben, aktiv kriminell zu handeln – und dies teilweise jahrelang zu tun, ohne dass es zum Eklat kam.
Verwunderlich ist nämlich nicht nur, dass sich jetzt alle über Lindemanns vermeintliches Backstagetreiben wundern, sondern auch, wie es möglich war, dass das mutmaßliche System Lindemann so lange vertuscht werden konnte, ohne dass irgendjemand in der ganzen Maschinerie Rammstein, die ja eine ganze Menge an Menschen beschäftigt, sich zur Sache äußerte oder an die Öffentlichkeit ging.
Erschreckend ist so nämlich nicht nur das sträfliche Handeln, sondern auch die heuchlerischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen, die solche Überschreitungen überhaupt erst ermöglicht haben und wahrscheinlich darauf hoffen, dass nach diesem und jenem Fall eines einzelnen Individuums wieder Gras über die Sache wächst und die Geldmacherei hinter dem Personenkult weiterlaufen kann.
Solange wir aber nur die individuellen Köpfe der Hydra abtrennen, wachsen sie bekanntlich immer wieder nach. Vielleicht müssen wir aufhören, Menschen wie Götter zu behandeln, nur weil sie auf einer Bühne auf- und abspringen.
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Guten Tag Herr Schinker,
der mentalen Hydra von 1933 in Luxemburg wurde bis heute nicht ein einziger Kopf abgetrennt. Schlimmer noch: sie wird überhaupt nicht als Hydra wahrgenommen. Ihr Artikel passt mit seinen Hauptaussagen auf die letzten neunzig Jahre der luxemburgischen Geschichte.
MfG
Robert Hottua
An déi Téitsch gët ëmmer méi grouss, dank sozialer Medien. Huet wahrscheinlech mat Gehiirstréim ze din.
H. Hottua, Köpfe der Hydra abtrennen bringt nix, die wachsen ja doppelt nach!
Die Unterschichten brauchen Brot und Spiele, sonst werden sie aufmüpfig.
„Klar, das gehört alles zur Show – und Künstler sind eben anders.“ Die Verrohung und Verblödung der Gesellschaft durch die sozialen Medien sind belegt.Wenn ein so genannter Künster einen schäumenden Kunstoffpenis in die Menge hält und gutturale Geräusche aus seiner geschwollenen Kehle entlässt,dann kann man streiten ob das noch Kunst sein soll oder einfach nur Mist. Das ist keine “ Téitsch“ das ist schon Vollschaden.
Liegt womöglich auch daran dass die Künstler mit ihren Alben und Songs viel weniger Geld machen als damals und heutzutage jeden Tag auf irgendeinem bedeutungslosen Festival rumspielen müssen, um sich über Wasser zu halten. Schaut euch die Interviews der Musiker an. Sie klagen alle dass sie nie zuhause sind, Partner und zum Teil Kinder kommen immer zu kurz. Teilweise werden Partner und Kinder mit auf Tour genommen. Vielleicht sollten Musiker wieder einfach mehr Geld für CDs kriegen anstatt für Live-Auftritte. Und die Fans sollten sich weniger von Personen leiten lassen, anstatt einfach der Musik zuzuhören. Man kann sich auch mal das Bootleg anschauen, das Cover, ein Youtube Video geht auch noch. Aber warum immer Live? Worauf ich hinaus will ist: „Werden Musiker möglicherweise durch exzessives Touren krank?“
bis jetzt ist der rammstein bursche nicht mal angeklagt worden (warum wohl), also immer noch unschuldig, rechtlich gesehen. Aber man schaue sich mal ein YouTube video von einem rammstein Konzert an. in der 1. reihe lauter junge Frauen und himmeln ihr „idol“ an. Da kann es schon mal zu „missverständnissen“ kommen. denn, das mit der „Téitsch“ gilt nicht nur für die promis.
@naiv
„Aber man schaue sich mal ein YouTube video von einem rammstein Konzert an. in der 1. reihe lauter junge Frauen und himmeln ihr „idol“ an.“
Sehen Sie sich mal ein 60 Jahre altes Beatles Konzert an, oder die Stones oder 894621 andere Bands.
Groupies gibt es seit ewigen Zeiten.
Noch gilt die Unschuldsvermutung bis der Gegenbeweis klar ist. Voller Frauen im Rammsteinkonzert. Scheint es nicht dass Frauen hier von ihren Idolen träumen?