Luxemburg / „Enthaltung ist keine Haltung“: Die Hängepartie um die Lieferketten-Richtlinie
Während die deutschen Liberalen nach zwei Jahren Verhandlungen über das EU-Lieferkettengesetz auf Blockade-Kurs gegangen sind und dafür sorgten, dass die Abstimmung verschoben wurde, kann Luxemburg noch seine Glaubwürdigkeit wahren, wenn es sich für die europäische Direktive ausspricht. Laut Umfragen ist die Mehrheit der Bürger dafür, sogar große Unternehmen wie Ferrero haben die Zeichen der Zeit erkannt.
„Nutella ist mehr als eine Crème aus Haselnuss und Kakao, es ist eine geistige Kategorie. Es ist mehr als ein Brotaufstrich, es ist ein Symbol der Generationen.“ Dies hat die italienische Tageszeitung La Repubblica kürzlich geschrieben. Die Nuss-Nougat-Crème des Süßwarenherstellers Ferrero aus Alba in Piemont ist in der Tat ein Welterfolg. „Den Italienern war und ist Nutella heilig“, schreibt Anne Branbergen. Die niederländische, in Italien lebende Journalistin weiß, dass „das einzig Italienische an Nutella die Haselnüsse sind, soweit sie nicht wie 60 Prozent der globalen Produktion aus der Türkei kommen“. Der berühmteste Schokoaufstrich der Welt sei ein durch und durch „glokales“ Produkt: „Zucker aus europäischen Zuckerrüben, Palmöl aus indonesischen Regenwäldern, Kakaopulver aus afrikanischen Kakaobohnen.“ Die legendäre Kalorienbombe wurde ziemlich genau vor 60 Jahren erfunden. Pietro Ferrero gründete das Unternehmen, Sohn Michele leitete es und machte es zum Weltkonzern. Heute wird dieser von Enkel Giovanni geführt. Faktischer Hauptsitz ist noch Alba der steuertaktische Sitz ist Luxemburg.
„Unsere Haselnüsse kommen hauptsächlich aus der Türkei, Italien, Chile und den USA“, teilt der Konzern mit. Ferrero bestrebe, eine vollständige Rückverfolgbarkeit der Haselnüsse in seiner Wertschöpfungskette zu erreichen – bis zu ihrem Ursprung. Dies dürfte eine Reaktion auf mehrere Negativberichte über den Ferrero-Verkaufsschlager gewesen sein. „Zucker stammt aus Brasilien und Australien, Palmöl aus Malaysia, Kakao kommt aus Westafrika, Milch aus Europa und Soja-Lecithin aus Indien“, hatte etwa der Online-Informationsdienst LabourNet geschrieben. „Ein Schachtelkonstrukt mit über 100 Subfirmen und Hunderten weiteren Auftragnehmern sorgt dafür, dass zwar enorme Gewinne erwirtschaftet, aber kaum Steuern dafür gezahlt werden müssen. Zudem werden Verbrechen wider Menschenrechte und Umweltstandards auf Zulieferer abgewälzt, die nachweislich unter absoluter Abhängigkeit des Ferrero-Konzerns stehen“, so die Bürgerinitiative für ein Lieferkettengesetz in Österreich im Oktober 2021.
„Es ist de facto so gut wie unmöglich, ohne Produkte auszukommen, die unter schweren Verletzungen von Arbeits- und Umweltrechten hergestellt werden und von denen den Produzenten am Ende oft nur ein paar Cent bleiben“, schreibt Veronika Bohrn Mena, Autorin des Buches „Die neue ArbeiterInnenklasse – Menschen in prekären Verhältnissen“. Der Markt werde von wenigen Handelsriesen dominiert, so die Kultur- und Sozialanthropologin – „aber welche Verantwortung übernehmen sie dafür und für ihre immer länger werdenden Lieferketten eigentlich?“
„Sorgfaltsplan“
Nur wenige Länder haben ein Lieferkettengesetz. Eine Vorreiterrolle innerhalb der Europäischen Union spielt Frankreich. Das Gesetz aus dem Jahr 2017 zur Sorgfaltspflicht von Muttergesellschaften und Auftragnehmern ist das erste seiner Art und gilt für Unternehmen, die mehr als 5.000 Beschäftigte in Frankreich oder mehr als 10.000 sowohl in Frankreich als auch im Ausland haben. Seit es 2019 in Kraft getreten ist, sind diese Unternehmen verpflichtet, einen „Sorgfaltsplan“ zu veröffentlichen. Damit sollen Risiken identifiziert sowie „schwerwiegende Verstöße gegen die Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Gesundheit und Sicherheit von Personen und die Umwelt gefährden“, verhindert werden. Dies gilt für das Unternehmen selbst sowie für ihre Subunternehmen und Zulieferer.
In Deutschland trat ein „Gesetz über unternehmerische Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ zum 1. Januar 2023 in Kraft. Zunächst galt es für Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten, seit 1. Januar dieses Jahres ab 1.000 Beschäftigten. Bereits 2015 hatte das britische Parlament ein Gesetz gegen moderne Formen der Sklaverei und Zwangsarbeit verabschiedet, den Modern Slavery Act. Und in den Niederlanden stimmte das Parlament 2017 dem Child Labour Due Diligence Law zu.
Trotz jahrelanger Engagements der aus 17 Nichtregierungsorganisationen bestehenden „Initiative pour un devoir de vigilance“ (IDV) zögerte die luxemburgische Regierung, wenn es um ein nationales Lieferkettengesetz ging. In den Diskussionen verwies sie immer wieder auf die geplante Direktive der Europäischen Union. Doch selbst diese war „hart umkämpft“, stellte das Online-Magazin Reporter.lu im Juli des vergangenen Jahres fest. „Uns wurde klar, dass die Position der Wirtschaft und der von bestimmten Unternehmen bei weitem bevorzugt wurden, während Menschenrechtsfragen nur unzureichend berücksichtigt wurden“, wurde die Menschenrechtskommission zitiert. Ein Stein des Anstoßes war nicht zuletzt, dass Finanzinstitute und Fondsindustrie in die Richtlinie miteinbezogen werden sollten.
Menschen- und Umweltrechte
Mitte Dezember kam es auf europäischer Ebene zu einer Einigung über die EU-Richtlinie. EU-Kommission, Europaparlament und Mitgliedstaaten verständigten sich im sogenannten Trilog-Verfahren darauf. Die abschließende Abstimmung am 9. Februar schien nur noch Formsache. Doch das EU-Lieferkettengesetz fand keine Mehrheit unter den EU-Staaten. Die Abstimmung wurde vertagt. Die Lieferkettenrichtlinie sollte helfen, Menschen- und Umweltrechte besser zu schützen. Es sollte Unternehmen dazu verpflichten, ihrer Sorgfaltspflicht bezüglich ihrer Lieferketten nachzukommen und auf Verstöße zu überprüfen und dagegen vorzugehen. Außerdem müssten Firmen sicherstellen, dass ihr Geschäftsmodell mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 vereinbar ist.
Dass die entscheidende Abstimmung über die EU-Lieferkettenrichtlinie verschoben wurde, ist schließlich den deutschen Liberalen anzukreiden. Aufgrund des Widerstands der FDP in der deutschen Regierungskoalition hatte Deutschland eine Stimmenthaltung angekündigt. Weil auch andere EU-Staaten kritisch zu dem Entwurf standen, war das Risiko des Scheiterns zu groß. Die „Corporate Sustainability Due Dilligence Directive“ (CSDDD) liegt nun auf Eis. Ein Argument der FDP war, dass die EU-Richtlinie alle Unternehmen ab 500 Beschäftigten umfassen, was eine deutliche Verschärfung gegenüber dem deutschen Gesetz wäre. Jean-Louis Zeien, Co-Sprecher der luxemburgischen IDV, hält die Vorgehensweise der beiden FDP-Minister Marco Buschmann (Justiz) und Christian Lindner (Finanzen) für „unverantwortlich“. Die beiden Politiker „übertragen das Chaos, das sie in Deutschland und innerhalb der deutschen Bundesregierung angerichtet haben, auf die europäische Ebene“.
Zwar sei der FDP noch entgegengekommen worden, hieß es aus Verhandlungskreisen. Von einem „maßgeschneiderten Angebot“ für die FDP war die Rede, so etwa bei der Anhebung der Mindestzahl der Beschäftigten. Doch das Bundesjustizministerium konterte. Die Wochenzeitung Die Zeit zitierte die FDP-geführte Behörde mit den Worten, dass „sich die Vielzahl und auch das Gewicht der von der Kommission vorgeschlagenen Änderungen nicht für ein überstürztes Verfahren unter Zeitdruck eignen“. Inwiefern die seit Jahren anhaltende Diskussion „überstürzt“ sein könnte, ist schwer nachvollziehbar. Buschmann sprach sich für einen „Neustart der Verhandlungen für eine europäische Lieferkettenregelung nach den Wahlen zum Europäischen Parlament mit einer neuen Kommission“ aus – also für eine Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag unter womöglich anderen politischen Vorzeichen.
Finanzwelt fein raus?
Doch wie verhält sich die hiesige CSV-DP-Regierung, nachdem sich bereits die Vorgängerregierung nicht einig über die EU-Richtlinie war? Schließlich war es die DP, die dagegen war, dass die Direktive auch die Fondsindustrie betreffe. Auch die aktuelle Regierung ist dafür, dass Finanzdienstleistungen vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeklammert werden. Diese Richtung hat sich durchgesetzt. Seitens der Opposition sagte die Grünen-Abgeordnete Sam Tanson, dass „wir kein Interesse daran haben, dass Luxemburg Unternehmen beherbergt, die Menschenrechtsverletzungen und Klimasünder unterstützen“. Sie forderte, dass die EU-Regeln auch für den Finanzsektor gelten sollten. Auch der ehemalige Wirtschaftsminister und LSAP-Abgeordnete Franz Fayot kritisierte die Regierung, die Sorgfaltspflicht werde als reines Schikanieren von Unternehmen betrachtet.
Jean-Louis Zeien hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es noch zu einer Entscheidung für die EU-Lieferkettenrichtlinie kommt. „Wenn im März im Ständigen Ausschuss der Vertreter der Mitgliedstaaten (Coreper) darüber abgestimmt wird, dann kann es im April in der letzten Woche noch zu einer finalen Abstimmung im Europaparlament kommen“, so der Verfechter eines Lieferkettengesetzes. Als sichere Befürworter der Direktive betrachtet er Frankreich, die Niederlande, Spanien, Portugal und Dänemark. Bei Italien sei es offen. Schon wenn Luxemburg sich enthalte oder gar als einziger Benelux-Staat gegen die Direktive stimmen würde, wäre dies nicht nachvollziehbar. „Enthaltung ist keine Haltung“, betont Zeien. Selbst große Unternehmen, darunter Ferrero, seien für die Richtlinie und zeigten sich vorbildlich. Das Unternehmen, das heute auch ein luxemburgisches ist, wie Zeien betont, hat eine Kehrtwende vollzogen. Die Nachfahren von Pietro Ferrero sind 60 Jahre nach der Erfindung von Nutella unterwegs auf neuen Pfaden.
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Das habe ich in der Politik nie verstanden.Man wählt jemanden ins Parlament der zu Themen keine Meinung hat. Was macht der dann im Parlament?