Projekt „Warlux“ / Erinnerungsforschung: Historiker suchen Dokumente um Zwangsrekrutierte in Luxemburg
Mit dem Projekt „Warlux“ will das „Luxembourg Center for Contemporary and Digital History“ (C2DH) die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg historisch neu aufbereiten. Dabei geht es vorrangig um die individuellen Schicksale der jungen Frauen und Männer, die während der nationalsozialistischen Besatzung in den deutschen Dienst eingezogen wurden.
Muss die Geschichte des Zweiten Weltkrieges mehr als 80 Jahre nach seinem Ausbruch neu geschrieben werden? Gibt es nicht schon unzählige Mémoiren, Analysen und Zeitdokumente zu diesem Thema?
„Die Akteure des Zweiten Weltkrieges sind eine große, heterogene Gruppe, deren Historiografie bislang eher einseitig war. Das Erlebte wurde von einzelnen Gruppen dokumentiert, denen jeweils die Anerkennung wichtig war. Unser Ansatz ist jedoch ein ganz anderer. Uns interessiert der einzelne Mensch, wir wollen seine Beweggründe und seine Strategien erforschen, wollen in sein soziales Umfeld eintauchen“, erklärt Projektleiter Denis Scuto das Projekt des C2DH, das sich über drei Jahre erstreckt und vom nationalen Forschungsfonds FNR mitfinanziert wird.
Die Nachforschungen sind punktuell ausgerichtet. Untersucht werden Einzelschicksale aus Esch/Alzette und Schifflingen, aber auch aus Echternach und Beckerich, sowie Ulflingen, Weiswampach und Clerf. So kann der Diversität der Situationen Rechnung getragen und die regionalen Unterschiede ausgearbeitet werden.
Scuto und sein Team gehen mit einer sehr konkreten Frage an die Öffentlichkeit: Um neue Perspektiven zu erkunden, suchen sie nach bisher unveröffentlichten Zeitdokumenten. Das können Tagebücher sein, aber auch Fotos, Postkarten oder Briefe, die während der Kriegsjahre zwischen den zwangsrekrutierten jungen Männern oder den in den Reichsarbeitsdienst entsandten Mädchen und ihren Familien ausgetauscht wurden. Willkommen sind hier alle Erinnerungen, nicht nur die aus den ausgesuchten Ortschaften.
„Wir wollen individuelle Kriegserfahrungen erforschen. Wir wollen dabei den Gesichtspunkt des Zwangsrekrutierten analysieren, aber auch rückverfolgen, wie seine Familie damit klarkam“, so die beigeordnete Projektleiterin Dr. Nina Janz. Sie wird von zwei Doktoranden unterstützt, dem Luxemburger Michel R. Pauly und der Belgierin Sarah Maya Vercruysse, die beide die Auswirkungen der Einberufung auf die Familien und die Rolle der Frauen untersuchen wollen.
Den Puls fühlen
Michel R. Pauly will seine Doktorarbeit über die Rekrutierung von Gymnasiasten und den abrupten Wechsel von der Schulbank an die Front schreiben. Sarah Maya Vercruysse will erforschen, wie die Familien mit der Rekrutierung ihrer Söhne oder dem Reichsarbeitsdienst der Mädchen klargekommen sind bzw. wie die betroffenen Familien ihre Umsiedlung erlebt haben.
Eine größere Aufmerksamkeit soll auch den Frauenschicksalen im Zweiten Weltkrieg zukommen. „Die Geschichte wurde bislang vorrangig von Männern geschrieben. Der Frauenaspekt ist bis auf wenige Ausnahmen noch weitgehend unerforscht. Dabei sind ihre Briefe und Erfahrungen wichtig, aber auch ihr Alltag, mit Haushaltsführung und finanzieller Situation“, so die beiden Historiker. Sie rechnen mit neuen Dokumenten, wollen aber auch die bereits bestehenden Interviews mit Zeitzeugen aufbereiten und sich mit den Lokalhistorikern zusammensetzen.
Viel positive Resonanz kam auch von den Gemeinden, die ihre Archive für dieses neue Projekt geöffnet haben, genau wie Ministerien und das Nationalarchiv. „Das Bedürfnis, über die Kriegserlebnisse zu reden, ist nach wie vor groß. Wir zählen deshalb auf die Bereitschaft der Kinder und Enkelkinder der direkt Betroffenen. Wenn sie die Dachböden und Keller ihrer Väter und Großväter ausräumen, bitte nichts wegschmeißen“, so ein neuer Aufruf der Forscher, für die jeder Anruf und jede Mail eine Bestätigung für den Wert ihrer Arbeit sind.
Aus dem „Warlux“-Projekt sollen wissenschaftliche Arbeiten entstehen, es soll sich auch neues Zahlenmaterial über Zwangsrekrutierung, Freiwillige, Mitläufer und Widerstand erschließen, das in eine interaktive Datenbank und eine neue „Public History“ einfließen kann.
. Weitere Informationen gibt es unter www.c2dh.uni.lu/de/projects/warlux.
„Erzielt eis Är Geschicht“
Im Kontext des Geschichtsprojektes „Warlux“ sucht die Uni Luxemburg Geschichten, Dokumente, Briefe, Tagebücher oder Fotos von Jungen und Mädchen der Jahrgänge 1920 bis 1927 und ihren Familien, die entweder in der Wehrmacht oder im Reichsarbeitsdienst waren, die vielleicht aber auch Kriegsdienstverweigerer, Deserteure oder aus irgendeinem Grund freigestellt waren.
Wer solche Dokumente besitzt, sollte sich bei den Forschern melden.
Kontakt
+352 46 66 44 95 75,
Fax: +352 46 66 44 36 702
E-Mail: warlux@uni.lu
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Fast 80 Jahre nach der Zwangsrekrutierung soll auf einmal akribisch jeder vergilbte Papierschnitzel aus jener Zeit wie ein Schatz gesammelt werden, nachdem es jahrzehntelang Usus war, beim Neuorganisieren oder beim Umzug von Archiven (bei Gemeinden ebenso wie bei Ministerien) als allererstes die verstaubten Aktenordner aus Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeiten „aus Platzgründen“ zu eliminieren. Des öfteren gingen sie wohl auch „verloren“.
Als Babyboomer hatte ich immer den Eindruck, dass man die in die Jahre gekommenen „Jongen“ zwar bei jedem Umzug im Dorf als patriotische Staffage gut gebrauchen konnte, es aber darüber hinaus wenig interessierte, was sie zu sagen hatten. Sicher gab es die teils fesselnden Erlebnisberichte im „Rappel“ über Bunkerverstecke, Lagerhaft und Ostfront. Die kursierten allerdings eher innerhalb der „Ons Jongen“-Vereinigungen und enthielten seltsamerweise kaum jemals irgendwelche politischen Reflexionen oder Berichte darüber, wie die Heimkehrer nach Kriegsende zuhause zurecht kamen, was sie von staatlicher Seite erwarten durften, ob und wie genau sie entschädigt wurden usw. usf.
Und ausgerechnet jetzt, wo man sicher sein kann, dass auch der letzte direkt Beteiligte das Zeitliche gesegnet hat, erwacht das Interesse, sollen Erinnerungen „neu aufbereitet“ und soll sogar holterdipolter die Geschichte „neu geschrieben“ werden. Na, das kann was werden.
einige Anmerkungen zum Kommentar des „Realist „. Kleiner , aber nicht unbedeutender Fehler : Rappel war die Zeitschrift der Widerstandsbewegung und Kazettler . Das Blatt der der EdF hiess „les Sacrifiés“ was eigentlich schon viel zu erkennen gibt .
Auch wurden in der Nachkriegszeit locker 200-500 Erlebnisberichte von Ueberlebenden veröffentlicht . Noch letztes Jahre kam ein 4 Band Werk heraus von Marc Trossen , der über 1320 !! reich bebilderten Seiten unzählige Aussagen , Briefe usw. von „ons Jongen“ veröffentlichte unter dem “ Titel Luxemburger Zeitzeugen berichten“. Dabei waren sogar Fotos und Tagebucheintragung eines „Zwangsrekrutierten“ des Polizeireservebataillons 101 . Seine Kriegsverbrechens geschichte wurde aber beschönigt , ja sogar teilweise heroisiert . und man hat ja nicht darüber zu richten , da man nicht dabei war !