Gemeindewahlen / „Erkenne die Stadt nicht mehr wieder“: Das sagen die Hauptstädter zum Thema Sicherheit
Von Nord bis Süd, von West bis Ost: Seit Beginn des Superwahljahres veröffentlicht das Tageblatt jede Woche einen Beitrag, in dem Menschen aus einer Gemeinde in Luxemburg zu Wort kommen und sich zur Lokalpolitik der vergangenen sechs Jahre äußern. Im letzten Teil der Wahlserie ist die Hauptstadt dran. Schon seit längerem bewegt die Menschen dort vor allem ein Thema: die Sicherheit.
Eine Frau kniet in der Bonneweger rue des Gaulois vor dem Supermarkt auf dem Boden. In der Hand hält sie einen Becher und hofft freundlich lächelnd darauf, dass Vorbeigehende Kleingeld reinwerfen. Gegenüber von ihr stehen zwei Männer – sie verteilen Wahlprogramme an die Menschen, die zum Einkaufen wollen. Grinsend blickt einem darauf der erste Schöffe im Gemeinderat und Spitzenkandidat der hauptstädtischen CSV entgegen: Serge Wilmes.
Seine Partei hat sich in den vergangenen Wochen gemeinsam mit der DP dafür eingesetzt, dass das Betteln in der Hauptstadt an bestimmten Orten und zu bestimmten Uhrzeiten verboten werden soll – was von den Oppositionsparteien „déi greng“, „déi Lénk“ sowie LSAP heftig kritisiert wurde. Doch aus dem Vorhaben wurde erstmal nichts, denn Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) hat eine dafür notwendige Überarbeitung eines Artikels der hauptstädtischen Polizeiverordnung abgelehnt. Und damit das angestrebte Bettelverbot vorerst gekippt. Die Mehrheit von DP und CSV kündigte an, gerichtlich gegen diese Entscheidung vorzugehen.
„Die Menschen müssen mehr zusammenrücken“
Bürgerin Viki Dimou wird sich ihre Meinung zu dem geplanten Bettelverbot erst noch bilden. Mit Blick auf die am Boden kniende Frau meint sie bei einem Gespräch vor dem Bonneweger Supermarkt: „Mal sehen, wie es wird, wenn das Verbot denn angewendet wird. Ich finde es schade für die Menschen. Und Betteln gehört in großen Städten eben oft dazu. Solange man anderen nichts antut.“ Seit vier Jahren lebt die 46-Jährige nun in Bonneweg, zuvor hat sie in der Nähe der Pariser „Gare du Nord“ gewohnt.
Sie findet, dass im Luxemburger Bahnhofsviertel eine „spezielle“ Atmosphäre herrscht, erklärt aber auch: „Ich habe immer in der Umgebung von Bahnhöfen gelebt und bin das deshalb gewohnt. Wenn ich hier unterwegs bin, habe ich keine Angst.“ Persönlich fühle sie sich in ihrem Viertel sicher. In den Augen der ursprünglich aus Griechenland stammenden Mitbürgerin betrifft das von der Politik viel zitierte Sicherheitsproblem aber auch mehr die rue de Strasbourg im Bahnhofsviertel.
Ganz allgemein ist Viki Dimou der Meinung, dass die Menschen in der größten Stadt des Landes näher zusammenrücken sollten: „Hier leben alle ein bisschen in der eigenen Welt – immer etwas für sich.“ Um sich besser zu integrieren, hat die 46-Jährige sich aktiv eingetragen, um bei den Gemeindewahlen ihre Stimme abgeben zu können. „Ich kenne mich noch nicht gut aus, habe aber alle Wahlprogramme gesammelt und werde diese weiter durchlesen.“ Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) wirke auf sie sympathisch, so Viki Dimou. Ausführlicher will sie sich zur Lokalpolitik nicht äußern.
„Wir brauchen mehr Sicherheitspersonal“
Rafael Rodrigues hat keine Angst, wenn er in Bonneweg unterwegs ist. Der 19-Jährige ist dort aufgewachsen, lebt auch jetzt noch in dem Viertel und sagt, dass er, oder Menschen aus seinem engen Umfeld, noch keine Übergriffe oder Ähnliches erlebt haben. Und doch erklärt der Student bei einem Gespräch vor dem Supermarkt, dass sich seine Umgebung in den vergangenen Jahren verändert hat: „So etwas wie Messerstechereien gab es früher hier nicht. Das hat zugenommen.“ Er spricht sich für mehr Videoüberwachung und Sicherheitspersonal aus – und mit letzterem ein Thema an, das in den vergangenen Jahren für viel Diskussionen sorgte. Denn entgegen der Kritik der Opposition – deren Meinung nach die Polizei für die öffentliche Sicherheit sorgen soll – setzen sich DP und CSV für den Einsatz privater Sicherheitspatrouillen in der Hauptstadt ein. Mit dem Argument, dass es nicht ausreichend Polizei vor Ort gebe. Wegen juristischer Bedenken landete die Diskussion 2021 vor Gericht. Im selben Jahr wurde außerdem ein Zwischenfall im Bahnhofsviertel gefilmt, bei dem der Hund eines privaten Sicherheitsbeamten einem Mann ins Bein biss. Der Vertrag mit dieser Firma lief 2021 aus.
Seit diesem Jahr patrouillieren allerdings wieder private Sicherheitsleute im Bahnhofsviertel, Bonneweg und dem Stadtzentrum. Student Rafael Rodrigues hat nichts dagegen. Im Gegenteil: Er fordert von der Lokalpolitik, noch mehr für die Sicherheit der Menschen zu tun. Wenn auch ihm allgemein die hohen Preise auf dem Wohnungsmarkt zu schaffen machen, stellt er dennoch fest, dass er mit dem Leben in der Hauptstadt insgesamt zufrieden ist. Über die Lokalpolitik sagt er: „Es gibt immer Sachen, die man verbessern könnte. Aber es ist in Ordnung hier, uns geht es gut.“
Projekt „A vos côtés“ als willkommene Hilfe
Wie Rafael Rodrigues sind auch die Nachbarinnen Marta Almeida und Maria Yanez der Meinung, dass mehr für die Sicherheit getan werden muss – wie sie bei einem Gespräch auf einem umzäunten Spielplatz an der rue de Strasbourg im Bahnhofsviertel erzählen. „Ab einer gewissen Uhrzeit traue ich mich abends nicht mehr vor die Tür. Denn ich fühle mich unsicher“, stellt die 38 Jahre alte Marta Almeida fest. Auf dem Weg zur Arbeit wurde die Anwohnerin des „Garer Quartier“ einmal um 5 Uhr morgens von zwei Männern verfolgt. Seitdem hat sie Angst, wenn sie das Haus verlässt.
Marta Almeida lebt seit 20 Jahren in der Hauptstadt und findet, dass diese sich verändert hat. „Ich sehe das genau so. In den letzten zehn Jahren ist vieles anders geworden. Früher konnte mein Sohn problemlos vor der Haustür spielen, heute lasse ich meine Enkeltochter nur ungern alleine hier zu Fuß in die Schule gehen. Ich erkenne die Stadt nicht mehr wieder“, stellt Marta Almeidas 71-jährige Nachbarin fest, die seit 40 Jahren im Bahnhofsviertel lebt. Und dann von mehreren Fällen berichtet, in denen Menschen aus ihrem Bekanntenkreis kürzlich die Geldbeutel gestohlen wurden.
Etwas Sicherheit gibt den Frauen das im Dezember 2020 gestartete Projekt „A vos côtés“. Mit grünen Oberteilen bekleidete Mitglieder der Vereinigung Inter-Actions sind dabei in Bonneweg, dem Bahnhofsviertel und der Oberstadt präsent und für Anwohnerinnen und Anwohner da, wenn diese sich unwohl fühlen. Die Nachbarinnen Marta Almeida und Maria Yanez kennen das Team von „A vos côtés“ und nehmen dessen Unterstützung oft dankend an.
„Versprechen wurden nie gehalten“
Allgemein stellt Maria Yanez fest: „Man kann nicht behaupten, dass nichts gemacht wird. Es gab Fortschritte. Aber das reicht nicht.“ Beide Frauen fordern mehr Polizeipräsenz und sind der Meinung, dass der Staat für diese sorgen muss. Etwas anders sieht das hingegen Senait Kidane Wolda, die nur wenige Meter entfernt von den Nachbarinnen auf einer Bank sitzt und ihrem Kind beim Spielen zusieht. „Ich fühle mich hier sicher und mag es zu 100 Prozent“, erklärt die 30-Jährige Frau aus Eritrea, die seit rund fünf Jahren im Bahnhofsviertel lebt. Sie fügt hinzu: „Ich wüsste auch nicht, was ich ändern würde.“
Das sieht Metty Zidanik wiederum anders. Für ihn gibt es in puncto Sicherheit noch einiges zu tun. Der 63-Jährige aus Rollingergrund ist in der Hauptstadt aufgewachsen und hat sein ganzes Leben dort verbracht. „Im Laufe der Jahre habe ich an drei Versammlungen zum Thema Sicherheit im Bahnhofsviertel teilgenommen. Immer wurde Besserung versprochen, aber diese Versprechen wurden nie gehalten“, erklärt er bei einem Gespräch auf dem hauptstädtischen Markt am Hamiliusplatz in der Oberstadt. Und stellt dabei fest: „Ins Bahnhofsviertel zieht es mich heute gar nicht mehr.“
Der langjährige und sich nun im Ruhestand befindende Barmann findet, dass das Bettelverbot eine gute Sache ist. Dennoch ist er von der Lokalpolitik der letzten Jahre eher enttäuscht. „Man weiß doch, wie das ist: Sechs Monate vor den Wahlen wird alles nachgeholt. Aber in den restlichen Jahren hört man von niemandem etwas.“ Er persönlich wünscht sich in puncto Politik einen Wechsel für die Hauptstadt. Denn, so stellt er fest: „Mit vielem wurde herumgetrödelt und es bleibt noch viel zu tun.“
Zahlen und Fakten zur Gemeinde:
Größe: 51,73 km²
Ortschaften: Luxemburg-Stadt mit den 24 Vierteln
Einwohnerzahl: 132.778 (Stand: 31.12.2022)
Wahlberechtigte: 44.716 – darunter 32.196 Menschen mit Luxemburger und 12.520 mit anderer Nationalität (Stand: 23.5.2023)
Aktuelle Bürgermeisterin: Lydie Polfer (DP)
Zusammensetzung Gemeinderat: Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP), Erster Schöffe Serge Wilmes (CSV), Schöffe Maurice Bauer (CSV), Schöffin Simone Beissel (DP), Schöffe Patrick Goldschmidt (DP), Schöffin Colette Mart (DP), Schöffe Laurent Mosar (CSV) sowie Ratsmitglieder François Benoy („déi gréng“), Héloïse Bock (DP), Gabriel Boisante (LSAP), Christa Brömmel („déi gréng“), Sylvia Camarda (DP), Ana Correia da Veiga („déi Lénk“), Françoise Deutsch (DP), Cathy Fayot (LSAP), Guy Foetz („déi Lénk“), Linda Gaasch („déi gréng“), Paul Galles (CSV), Marceline Goergen (unabhängige Gemeinderätin), Tom Krieps (LSAP), Claudine Konsbruck (CSV), Eduarda Macedo („déi gréng“), Elisabeth Margue (CSV), Mathis Prost (DP), Claude Radoux (DP), Claudie Reyland („déi gréng“) und Isabel Wiseler-Lima (CSV)
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Betteln in Luxemburg-Stadt nur für Bürger erlauben, da kann kein Minister und nicht mal die EU was machen.
Wie überall, nur konzeptloses politisches Getue,
unternommen wird sowieso dreimal nix.
Privilegien und nur sonst nix als Privilegien. Pfui.