„Explosionsartiger Druckabfall“ / Ermittlungen nach Schäden an Nord-Stream-Gaspipelines – Sabotage?
An den Ostsee-Pipelines von Nord Stream sind innerhalb kurzer Zeit drei Lecks entstanden. Es seien in einem beispiellosen Vorgang an einem Tag Defekte an drei Röhren festgestellt worden, teilte die Nord Stream AG am Dienstag mit. Es sei unklar, wann das System wieder funktionieren werde. Das Präsidialamt in Moskau schloss Sabotage nicht aus. Das Bundesinnenministerium erklärte, die Beschädigungen an den Pipelines sehr ernst zu nehmen. „Wir sind hierzu innerhalb der Bundesregierung, mit den deutschen Sicherheitsbehörden und mit unseren dänischen und schwedischen Partnern im engen Kontakt.“
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sprach von beunruhigenden Nachrichten und sagte, die Entwicklung betreffe „die Energiesicherheit des gesamten Kontinents“. Entstanden sind die Schäden im dänischen und schwedischen Hoheitsgebiet. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtete vorab unter Berufung auf Kreise der Bundesregierung, dass die Leitungen über eine größere Länge aufgerissen sein müssten. Anders sei der „explosionsartige Druckabfall“ in den Pipelines nicht zu erklären. „Es gibt einige Hinweise, dass die Schäden beabsichtigt waren“, hieß es in europäischen Sicherheitskreisen. „Man muss fragen: Wer würde profitieren?“
Die schwedische Schifffahrtsbehörde meldete zwei Lecks an der Gaspipeline Nord Stream 1. „Es gibt zwei Lecks bei Nord Stream 1 – eines in der schwedischen Wirtschaftszone und eines in der dänischen Wirtschaftszone. Sie liegen sehr nahe beieinander“, sagte ein Behördensprecher der Nachrichtenagentur Reuters. Die Lecks befänden sich nordöstlich der dänischen Insel Bornholm. Eine entsprechende Warnung wurde von der Behörde herausgegeben. Der dänische Energieminister Dan Jorgensen berichtete von einem Leck, das am Montag in der Leitung Nord Stream 2 entdeckt worden sei.
Deutsche Umwelthilfe: Gas muss schnell aus den Pipelines
„Die Lecks in den Nord-Stream-Pipelines stellen nach unserem derzeitigen Kenntnisstand keine erhebliche Gefahr für die Meeresumwelt der Ostsee dar“, erklärte das Bundesumweltministerium. Dies lehre die Erfahrung aus der Nordsee: Nach Bohrungen der Öl- und Gasindustrie sei es auch dort zu Methanaustritten gekommen, nach denen keine unmittelbaren Folgen für die Meeresumwelt nachgewiesen worden seien. „Allerdings ist Methan, das den Hauptbestandteil von Erdgas bildet, deutlich klimaschädlicher als CO₂.“ Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) forderte, das Gas schnell aus den Pipelines zu entfernen. „Das ist in zwei Richtungen möglich – über Russland in Sankt Petersburg und über die deutsche Seite in Lubmin“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Über die Ursachen konnte zunächst nur spekuliert werden. Europäische Sicherheitsbehörden waren fieberhaft bemüht, hier Klarheit zu schaffen. Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen sagte, es sei schwer zu glauben, dass es sich hier um Zufälle handele. Aber es sei zu früh, irgendwelche Schlüsse zu ziehen, sagte sie dem Sender DR. Ein Sprecher der EU-Kommission sagte, es sei jetzt nicht der Moment für Spekulationen. Die betroffenen EU-Staaten bemühten sich um Aufklärung, die europäische Energiesicherheit sei nicht in Gefahr.
Seismologen hatten am Montag in der Nähe der festgestellten Lecks Erderschütterungen registriert. Ein Seismograf auf der dänischen Insel Bornholm habe zweimal ein Beben registriert, teilte das Deutsche Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam am Dienstag mit. Ob diese Beben durch Explosionen verursacht wurden, die auf Sabotageakte an den Gasröhren hinweisen, wollte das GFZ nicht sagen. Björn Lund vom Schwedischen Seismologischen Zentrum der Universität Uppsala sagte dagegen dem Sender SVT: „Es gibt keinen Zweifel, dass das Explosionen waren.“
Beide Doppelröhren verlaufen von Russland durch die Ostsee nach Deutschland. Nord Stream 1 war 2011 in Betrieb genommen worden. Nach der Invasion Russlands in der Ukraine und den darauf folgenden Sanktionen des Westens hatte Russland den Gastransport durch Nord Stream 1 zunächst reduziert und vor ein paar Wochen komplett eingestellt. Nord Stream 2 war vor einem Jahr fertiggestellt worden, hatte aber nie von Deutschland eine Betriebserlaubnis erhalten.
Am Energie-Markt stieg der Erdgas-Preis nach den Vorfällen an. Der europäische Future steigt um 11,5 Prozent auf 193,50 Euro. Obwohl keine der Pipelines derzeit Gas nach Europa liefert, haben die Vorfälle Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Gasinfrastruktur in der EU geweckt. (Bericht von Anna Ringström, Thomas Escritt und Stine Jacobsen; bearbeitet von Tom Käckenhoff und Alexander Ratz, redigiert von Elke Ahlswede)
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