Kunst / Erste Einblicke ins Escher „Bâtiment IV“, wo Cueva an seinem bisher größten Projekt mit 106 Künstlern arbeitet
Nach „Quartier 3“, „Zaepert“, „Uecht“, „Lankelz“ und „Al Esch“ kommt jetzt das „Bâtiment IV“. Mit 106 teilnehmenden Künstlern ist es das bisher größte Projekt des Künstlerkollektivs Cueva – und das erste, das nicht gänzlich abgerissen wird. Am 13. November eröffnet die Ausstellung. Ein Besuch auf der Baustelle.
Théid Johanns ist der Chef im „Bâtiment IV“. So sitzt er auch auf einem weißen Plastikstuhl, hinter der prunkvollen Eingangstür. Mit einer Zigarette in der Hand scrollt er durch sein Smartphone. „Kurzen Moment“, sagt er, ohne den Blick zu heben. Facebook-Kommentare müssen schließlich beantwortet werden.
Das riesige Gebäude, in dem früher die Direktion der Arbed ihren Sitz hatte und wo bis vor fünf Jahren noch ein Teil des „Lycée technique pour professions de santé“ unterkam, ist aktuell eine Baustelle. Überall liegen Kabel frei, die Elektrik des Gebäudes muss erneuert werden und auch sonst stehen einige Renovierungsarbeiten an. Für Cueva nichts Neues. In den letzten sechs Jahren hat das Künstlerkollektiv seine vergänglichen Kunstprojekte in Gebäuden umgesetzt, die dem Abriss geweiht waren. 2020 wird das Gebäude, in dem die Künstler sich nach Lust und Laune austoben können, zum ersten Mal nicht abgerissen.
Ort der Kreation
ArcelorMittal hat der im März gegründeten Vereinigung „frEsch“ das „Bâtiment IV“ für erst mal drei Jahre zur Verfügung gestellt. Mit Aussicht auf eine eventuelle Verlängerung, sagt der Escher Kulturschöffe und „frEsch“-Verwaltungsratspräsident Pim Knaff. Ab 2021 ziehen dort Vereinigungen wie das Rote Kreuz mit „Hariko“, das Theaterkollektiv „Independent Little Lies“ (ILL), der „Service national de la jeunesse“ (SNJ) und „Transition Minett“ mit dem „Center for Ecological Learning Luxembourg“ (CELL) ein. Die dann noch freien Räumlichkeiten sollen zu einem Ort der Kreation werden. Hier können Escher Kultureinrichtungen oder andere Vereinigungen unterkommen, die zeitweise Platz für Kreativität brauchen.
Doch bis dahin ist erst einmal Théid Johanns dran – und die 106 Künstler, die bei der diesjährigen Ausgabe des Kultprojektes mitwirken. Sie verteilen sich auf vier Stockwerken und durften ab dem 1. August im Gebäude arbeiten. Manche sind schon fertig, andere mitten drin, die meisten würden aber erst zum Schluss kommen. „So ist das immer. Künstler brauchen den Druck irgendwie“, sagt Johanns auf dem Weg zum Keller, wo er selbst dabei ist, seinen Raum zu gestalten. Er war zum ersten Mal in sechs Jahren egoistisch genug, sich als Erstes ein Zimmer auszusuchen. „Sonst habe ich immer das genommen, was übriggeblieben ist.“
OP-Saal und Revolution
Weil Elektriker gerade neue Kabel legen, geht das Licht nicht überall. „Kein ideales Timing“, meint Johanns, dem vom Arbeiter ein Scheinwerfer in die Hand gedrückt wird. Der Escher ist mit seinem Projekt schon gut vorangekommen: In der Mitte des Raumes steht ein riesiges Gehirn aus Styrodur, einem Styroporähnlichen Material, an dem sich kleine Adern entlanghangeln. „Als ich das Zimmer zum ersten Mal betreten habe, musste ich sofort an einen Operationssaal denken“, sagt Théid Johanns. Passend dazu hat er Organe geschaffen.
Wenn Cueva ruft, kann ich nicht Nein sagenKünstlerin
Nur ein paar Zimmer weiter arbeitet Chiara Dahlem gerade an ihrem Werk. „Wenn Cueva ruft, kann ich nicht Nein sagen“, sagt die 34-Jährige, die schon zum vierten Mal dabei ist. Théid Johanns lasse den Künstlern hundertprozentige Freiheit. Auch Ideen, die nicht so konventionell sind, könnten hier umgesetzt werden. In diesem Jahr trägt ihre Installation den Namen „Ode to Freedom“. Sie handelt von Revolutionen, die laut der Künstlerin heutzutage kaum noch möglich sind. In der Mitte des Raumes hängt ein Megafon ganz in Weiß, was die Unschuld symbolisiert – alles scheint möglich. „Aber es endet immer in etwas Blutigem“, sagt Dahlem. Das zeigen die Blutspritzer, die an den Wänden herunterlaufen.
Corona oblige
Den großen Saal im Erdgeschoss will Cueva zum Begegnungsort für Besucher und Künstler machen. „Ich versuche, Tische und Stühle zu organisieren, damit die Menschen sich – Corona oblige – auseinandersetzen können“, sagt Théid Johanns. Wie genau die Sicherheitsvorkehrungen aussehen sollen, würde derzeit mit den Gemeindeverantwortlichen ausgearbeitet. Es wird wohl nur eine bestimmte Anzahl an Personen gleichzeitig im Gebäude sein dürfen. Eine „Vernissage“ findet in diesem Jahr nicht wirklich statt, waren in den letzten Jahren immer über 1.000 Besucher gekommen. Dafür plant Cueva am 13. November eine Eröffnung von 14.00 bis 22.00 Uhr.
Ein Highlight im ersten Stock ist der Flur, an dessen Wänden sich 60 Kinder aus der Brillschule kreativ ausleben durften. Die 8- bis 10-Jährigen durften an die Mauern schreiben und malen, was immer sie wollten, und so durcheinander, wie sie wollten.
Fliegenplage
Bevor die Künstler im obersten Stockwerk loslegen konnten, musste zuerst einer Plage den Kampf angesagt werden. In den fünf Jahren, in denen das Gebäude leer stand, hatten sich Fliegen dort breitgemacht. „Ich dachte erst, es wäre schwarzer Teppichboden – aber es waren Fliegen“, erinnert sich Théid Johanns daran, wie er zum ersten Mal oben war. Ein Fotograf habe die Masse an Tieren sogar festgehalten und in seine Ausstellung integriert. Inzwischen sind nur noch ein paar Fliegen übrig. „Bis zur Eröffnung werde ich die auch noch los“, sagt Johanns.
Bis auf die Angst, dass Corona dem Künstlerkollektiv einen Strich durch die Rechnung macht, bemerkt er eigentlich keine großen Unterschiede zu den Jahren davor. „Es ist zu einer Routine geworden“, sagt er. Auch wenn in diesem Jahr mehr Künstler teilnehmen als je zuvor. Dann fällt ihm doch noch ein Unterschied auf: Jedes Mal, wenn jemand ins „Bâtiment IV“ will, muss er mit dem Fahrrad den Berg runterfahren, um die Schranke mit seinem Badge zu öffnen. „Alleine dadurch habe ich jetzt schon 270 Kilometer zurückgelegt. Ohne mein neues Fahrrad wäre das gar nicht möglich gewesen“, sagt er.
Geplatzte Pläne für 2022
Mit „Esch2022“ habe das Projekt im „Bâtiment IV“ überhaupt nichts zu tun. „Das, was wir für das Kulturjahr eingereicht haben, wäre etwas ganz anderes gewesen – und das wurde abgelehnt“, sagt Johanns. Cueva wollte ein „strukturiertes Trash-Dorf“ aus Containern auf die Beine stellen, in dem Künstler während eines Jahrs kreativ zusammengelebt hätten. Alle Vereine aus dem „Minett“ hätten sich dort getroffen, zusammen mit Gruppen aus Brüssel oder Berlin. „Es hätte kein festes Programm gegeben – aber es wäre immer etwas los gewesen.“ Mit der Absage ist die Idee zerplatzt. Mit „Esch2022“ hat Johanns abgeschlossen. „Wir ziehen einfach weiter unser Ding durch“, sagt er entschlossen.
Weil das Gebäude in diesem Jahr erstmals nicht dem Abriss geweiht ist, hofft Johanns, dass das ein oder andere Kunstwerk in den zukünftigen Räumlichkeiten beibehalten wird. „Es soll schon ein bisschen Rock ’n’ Roll bleiben“, sagt er. In dem Gebäude zu bleiben sei allerdings keine Option für Cueva. Vielleicht auch, weil Johanns nicht ewig zwischen Gebäude und Schranke pendeln will. Obwohl er verschwiegen hat, dass er etwas schummelt: Im Eingang des „Bâtiment IV“ steht ein Elektrofahrrad.
- Erste Einblicke ins Escher „Bâtiment IV“, wo Cueva an seinem bisher größten Projekt mit 106 Künstlern arbeitet - 24. Oktober 2020.
- Esch will Vorreiter in Sachen Sport werden - 24. Oktober 2020.
- Nach Transition zurück auf der Bühne: Luxemburger überzeugt zum zweiten Mal bei „The Voice of Germany“ - 21. Oktober 2020.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos