Ukraine / Es gab nur den Weg zurück: Ein Sportjournalist zieht in den Krieg
Vladyslav Dunaienko ist Sportjournalist in der Ukraine. Als der Krieg in seiner Heimat ausbrach, befand er sich gerade mit der Basketball-Nationalmannschaft seines Landes in Spanien und berichtete dort über die WM-Qualifikation. Als die Nachrichten aus der Heimat ihn erreichten, beschloss er, sofort zurückzureisen, um sein Land zu verteidigen.
Es sind vor allem Patrouillen auf den Straßen Kiews, die Vladyslav Dunaienko im Moment macht. Der 23-Jährige hilft aber auch beim Bau von Schutzmauern und Verteidigungsstützpunkten. „Wenn die russische Armee noch einmal versucht, Kiew anzugreifen, müssen wir bereit sein“, sagt Dunaienko, der eigentlich Sportjournalist ist und den Krieg verabscheut.
„Ich wollte nie beim Militär sein. Selbst als Kind habe ich nie Krieg gespielt. Am Computer spiele ich keine Schießspiele und auch Kriegsfilme mag ich nicht“, schreibt Dunaienko in einem emotionalen Statement auf Facebook: „Daran hat sich auch jetzt nichts geändert. Ich hasse alles, was mit Krieg zu tun hat.“ Noch vor wenigen Wochen hätte er sich nicht vorstellen können, jetzt in einer Militäruniform zu stecken. Doch das Leben des 23-Jährigen wurde mit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine auf den Kopf gestellt.
Vom Basketballplatz aufs Kriegsfeld
An den Augenblick, als er erfuhr, dass in seiner Heimat ein Krieg ausgebrochen ist, erinnert sich Dunaienko genau. Er war gerade im spanischen Cordoba, wo er über die WM-Qualifikationsspiele der ukrainischen Basketball-Nationalmannschaft berichtete. „Ich bin am 24. Februar im Hotel aufgewacht und brach zu meinem täglichen Morgenlauf auf. Die Nachrichten hatte ich zudem Zeitpunkt noch nicht gesehen. Plötzlich bekam ich aber zahlreiche Anrufe und Nachrichten von meiner Familie und Freunden“, erinnert er sich genau: „Dann habe ich mitbekommen, dass Russland die Ukraine angreift. Es war ein Schock.“
Der 23-Jährige versuchte sofort seine Eltern zu erreichen, die sich zu dem Zeitpunkt in einem Dorf nahe Kiew befanden, wo die Familie lebt: „Es ging ihnen glücklicherweise gut. Sie waren gerade zu Hause. Ich habe mich kurz mit ihnen beraten und dann entschieden, mich schnellstmöglich auf die Rückreise zu machen.“
Für Dunaienko war sofort klar, dass er wieder zurück nach Hause muss. In Spanien zu bleiben, wo er in Sicherheit war, kam für ihn nicht infrage. Er wollte seine Familie, Freunde – und sein Land nicht im Stich lassen. „Es gab keinen anderen Weg, eine andere Entscheidung hätte ich nicht rechtfertigen können“, sagt er.
Das Basketball-Spiel am Abend des 24. war plötzlich nicht mehr wichtig – auch die 74:88-Niederlage der Ukrainer gegen Spanien spielte keine Rolle mehr. „Es war alles egal“, sagt der Sportjournalist.
„Ich habe Cordoba am nächsten Morgen verlassen und machte mich auf den Weg nach Madrid“, erzählt er. Seine Familie befand sich weiterhin in Kiew. „Vlad“ blieb ständig mit ihnen in Kontakt: „Mein Vater hat mich dann am Morgen angerufen und mir gesagt, dass er zu den territorialen Verteidigungskräften geht. Ich wollte, dass er auf mich wartet und dass wir zusammen gehen.“
Während das Basketball-Nationalteam in Madrid blieb, setzte Dunaienko seine Reise mit dem Flugzeug fort und flog nach Budapest. „Eigentlich wollte ich nach Polen, da es von dort aus einfacher gewesen wäre, in die Ukraine einzureisen – die Flugtickets waren aber zu teuer. Deshalb fiel die Wahl auf Budapest.“
Als er dort ankam, brach die Nacht schon herein. „Als ich meine Mutter dann am Abend noch einmal anrief, hat sie mir mitgeteilt, dass mein Vater ohne mich losgegangenen ist. Sie hat mir ein Bild von ihm mit einer Waffe geschickt“, erzählt Dunaienko mit zittriger Stimme: „Ich wusste, dass ich so schnell wie möglich zurückmuss.“
Eine komplizierte Reise
Am nächsten Morgen setzte der Ukrainer seine Odyssee fort und stieg in einen Zug nach Zahony – eine kleine ungarische Stadt an der ukrainischen Grenze.“ Den restlichen Weg zur Grenze bewältigte er zu Fuß. „Allerdings darf man die Grenze an diesem Ort nicht zu Fuß überqueren, also musste ich mir einen Bus suchen.“
Gesagt, getan. „Es war nicht schwierig, rüberzukommen, aber es hat lange gedauert. Zeit, die man nicht hat, wenn man so schnell wie möglich nach Hause will“, so Dunaienko. Hilfe bei seiner Reise bekam er derweil von seinem Arbeitgeber, Parimatch – einem internationalen Sportnachrichten- und Wettunternehmen. Auch als er zurück in der Ukraine war, unterstützte sein Arbeitgeber ihn weiter. „Sie haben mir verschiedene Dinge zur Verfügung gestellt, sowie schusssichere Westen. Mein jüngerer Bruder und meine Mutter mussten außerdem evakuiert und in den Westen des Landes gebracht werden – auch dabei haben sie geholfen und den Transport organisiert. Das Unternehmen hat aber nicht nur mir, sondern all seinen Mitarbeitern und deren Familien weitergeholfen.“
Es gab keinen anderen Weg, eine andere Entscheidung hätte ich nicht rechtfertigen könnenüber die Rückreise von Spanien in die Ukraine
In der Ukraine angekommen, machte sich Dunaienko auf den Weg nach Kiew, wo sein Vater in den territorialen Verteidigungskräften auf ihn wartete. Dort wollte er allerdings nicht mit leeren Händen auftauchen. Während seiner Reise quer durch die Ukraine besuchte der 23-Jährige verschiedene Geschäfte, um sich für den Krieg vorzubereiten. „Ich habe ein Waffengeschäft in Uschgorod besucht. Diesen Shop zu finden, war einfach – es war allerdings schwierig, etwas zu kaufen. Nicht, weil die Sachen zu teuer waren, sondern weil es einen Riesenandrang gab. Jeder wollte Uniformen, Waffen, Helme, Stiefel, Westen, Handschuhe und so weiter kaufen. Deswegen waren die Regale leer“, erzählt Dunaienko, der in dem Chaos dennoch Helme, Uniformen und Handschuhe erwarb.
In der Ukraine war der Sportjournalist zwar mittlerweile wieder angekommen, an seinem Ziel war er aber noch lange nicht. Dunaienko wollte nach Kiew, wo auch sein Vater den territorialen Verteidigungskräften beigetreten war. Ein Teil der Zugverbindungen funktionierte zu diesem Zeitpunkt noch, sodass es schnell voranging. In Kmelnitski fand der junge Ukrainer schließlich einen Zug, der ihn nach Kiew brachte.
Kaum noch ruhige Minuten
In der ukrainischen Hauptstadt angekommen, traf sich Dunaienko sofort mit seinem Vater. Während Vlads Bruder und Mutter vorerst im Westen des Landes in Sicherheit sind, wurde er mit Waffe und Uniform ausgestattet und kämpft nun an der Seite seines Vaters. „Ich bin glücklich, wieder bei ihm zu sein. Aber die Situation ist schwierig.“
Es sind unter anderem Alltagsprobleme, die ihn beschäftigen. „Es ist schwieriger, Lebensmittel zu kaufen, als zuvor. Einzelne Lebensmittelgeschäfte haben zwar noch geöffnet, aber vieles gibt es nicht mehr. Frisches Brot oder frisches Gemüse kann man zum Beispiel nicht kaufen. Wir müssen aber nicht hungern und haben in Kiew noch genug anderes Essen vorrätig“, sagt er.
Die Situation ist aber beängstigend. Es ist schwer vorherzusehen, was als Nächstes passiert. Ruhige Minuten hat Dunaienko kaum noch. Ständig heulen Sirenen auf, die „einen Luftangriff voraussagen. Die Gefahr lauert in der Luft, aber auch am Boden. Nachts kontrollieren wir zum Beispiel Autos auf der Straße, denn darin könnten auch russische Soldaten sitzen, die zivil unterwegs sind“, beschreibt Dunaienko seine Aufgaben. Neben den Patrouillen in Militäruniform hilft er aber auch beim Bau von Verteidigungsstützpunkten, um im Notfall für den nächsten Angriff bereit zu sein.
„Wenn alles vorbei ist“, schreibt Dunaienko auf Facebook, „möchte ich die Tarnkleidung weglegen und nie wieder tragen müssen.“
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