Ende der Pandemie? / „Es geht in die richtige Richtung“: So sehen die Experten die Corona-Situation in Luxemburg
Luxemburg blickt dem Sommer 2021 optimistisch entgegen. Die Restaurants sind wieder offen, die Impfkampagne hat Fahrt aufgenommen und sogar die ersten größeren Veranstaltungen sind möglich. Doch sehen auch die Experten ein Ende der Pandemie? Wir haben beim Virologen Dr. Claude Muller und bei den Taskforce-Mitgliedern Dr. Alexander Skupin und Prof. Dr. Paul Wilmes von der Uni Luxemburg nachgefragt.
Das Infektionsgeschehen in Luxemburg geht deutlich zurück. Das zeigt schon ein kurzer Blick in den Wochenreport des Gesundheitsministeriums. Wer die einzelnen Statistiken im Detail auseinanderknobelt, kann feststellen: Die Infektionen, Todesfälle und sogar die Belegung der Betten in den Krankenhäusern sind auf das gleiche Niveau abgesunken, das Luxemburg im Oktober 2020 kurz vor der dritten Welle hatte. Die Regierung hat erst jüngst die Corona-Maßnahmen weiter gelockert und stellt weitere Öffnungen mit der zunehmenden Zahl an Impfungen in Sicht.
Die Corona-Zahlen in Luxemburg entwickeln sich in die richtige Richtung, da sind sich die drei Experten einig, mit denen das Tageblatt am Donnerstag sprach. Virologe Dr. Claude Muller und die Taskforce-Mitglieder Dr. Alexander Skupin und Prof. Dr. Paul Wilmes von der Uni Luxemburg sind erfreut über den positiven Trend. „Es gibt sogar einen stärkeren Abfall, als das normale epidemische Modell vorhersagt“, sagt Skupin. Er vermutet, dass dies auf einem Zusammenspiel von mehreren Faktoren beruht. Da vor allem die älteren Bürger und Risikopatienten zu großen Teilen geimpft seien, sinke die Zahl der Todesfälle und schweren Erkrankungen. Impfungen und überstandene Infektionen verringern den Pool an Menschen, die infiziert werden könnten. „Es ist schwer einzuschätzen, aber wegen des besseren Wetters sind die Menschen auch wieder häufiger draußen. Das könnte ebenfalls mitspielen“, sagt Skupin.
Sorge vor Varianten
Dr. Paul Wilmes teilt die Einstellung seines Kollegen, warnt aber auch, dass es noch eine Reihe von Unbekannten gibt, „die uns nicht erlauben zu sagen, dass wir am Ende der Pandemie sind“. Die Situation sei nur durch die vielen Impfungen und die aktuell geltenden Maßnahmen so stabil. Die größte Bedrohung sehen alle drei Forscher in den Corona-Mutationen.
Skupin gibt im Gespräch unumwunden zu, dass ihm die Varianten Sorgen bereiten. Es gebe Anzeichen dafür, dass die aktuell verfügbaren Vakzine nicht komplett gegen alle Mutationen schützen. Wilmes verweist auf die indische Variante. In Großbritannien sei diese dabei, die britische Variante zu verdrängen – und sei ansteckender. „Das könnte auch in Luxemburg passieren“, warnt der Forscher. Die indische Variante zeige außerdem, dass sich neue Mutationen trotz strikter Reisebeschränkungen rasch verbreiten können.
„Wenn sich Varianten ausbreiten, müssen wir uns darauf einstellen, dass wir noch in diesem Jahr eine weitere Impfung brauchen“, sagt Virologe Dr. Claude Muller gegenüber dem Tageblatt. Seiner Ansicht nach sei es nicht zwingend notwendig, dass diese Impfung mit dem gleichen Wirkstoff durchgeführt wird. Eine Impfung mit einem anderen Vakzin könnte sogar von Vorteil sein. Eine weitere Impfung werde in dem Moment nötig, wenn die Inzidenzzahlen wieder steigen. Auch Wilmes hält es für sehr wahrscheinlich, dass Menschen, die Anfang des Jahres die Impfung bekommen haben, im Herbst einen „Boostershot“ erhalten werden. „Dann sind wir gut gewappnet für den kommenden Winter“, so Wilmes.
Das Virus werde uns aber auch in Zukunft weiter begleiten, warnen die Forscher. „Das Coronavirus mutiert wohl nicht ganz so schnell wie die Influenzaviren“, erklärt Skupin. „Es besteht die Hoffnung, dass wir nicht ganz so rigoros jedes Jahr aufs Neue impfen müssen.“ Doch eine regelmäßige Auffrischung der Impfung gegen neue Varianten werde wohl nötig bleiben.
Impfen, impfen, impfen
Mit der Geschwindigkeit der Impfkampagne sei er mittlerweile wesentlich zufriedener, meint Muller gegenüber dem Tageblatt. „Mir ging es am Anfang zu langsam und ich hatte das Gefühl, es haben zu viele Menschen mitgesprochen, die eigentlich keine Ahnung vom Thema haben.“ Jetzt liege man im Mittelfeld von Europa und mit den neuen Impfzentren gehe es merklich schneller, „wenn genug Impfstoff vorhanden ist“, so Muller.
Skupin sieht den Schwarzen Peter in Sachen Impfkampagne bei der EU. „Die Beschaffung der Impfstoffe war das ‚Bottleneck‘“, so der Forscher. Natürlich könne man sich nun fragen, ob Luxemburg die richtige Strategie gewählt hat. Es sei ein Abwägen zwischen Allgemeinwohl und dem individuellen Schutz gewesen. „Entscheiden wir uns dafür, möglichst vielen die erste Impfung zu geben und so einen breiten Teilschutz der Bevölkerung zu erreichen, oder stellen wir die Sicherheit der einzelnen Person in den Mittelpunkt, damit diese so schnell wie möglich komplett geimpft wird?“ Diese Fragen seien intensiv diskutiert worden. Am Ende sei es eine Frage der Risikoeinschätzung gewesen und Luxemburg habe sich dazu entschieden, die gefährdeten Menschen zuerst komplett durchzuimpfen. Mit einer anderen Strategie hätte es auch keine deutlichen Unterschiede gegeben, glaubt Skupin. Was-wäre-wenn-Szenarien nun durchzuspielen bringe auch nicht viel.
Die Impfbereitschaft sei in Luxemburg aber wesentlich besser als prognostiziert. „Umfragen im Herbst 2020 nach waren nur 50 Prozent bereit, sich impfen zu lassen“, so Skupin. Die tatsächlichen Impfzahlen seien heute viel besser. Er glaubt, dies sei darauf zurückzuführen, dass das Vertrauen in die Impfungen gestiegen sei. Impfen sei eine Frage der sozialen Verantwortung und der gesellschaftlichen Solidarität, sagt Skupin. „Insbesondere wenn man in Kontakt mit Risikopatienten steht.“ Dass Einrichtungen wie etwa das Thermalbad in Mondorf von den Mitarbeitern einen Impfnachweis oder regelmäßige Tests verlangen, wenn sie in Kontakt mit solchen Personen sind, findet Skupin „von einem epidemiologischen Standpunkt richtig“. Natürlich spielte auch die Frage der Grundrechte in der Diskussion eine Rolle.
Weitere Lockerungen
Geimpfte sollten wieder mehr Rechte erhalten, verlangt Virologe Claude Muller. Die EU sei in Sachen Impfpass „absolut zu langsam“. Es sei viel zu spät realisiert worden, dass so etwas nötig sei. Dass Luxemburg den Pass schneller einführen möchte, begrüßt Muller. Wilmes jedoch findet den Termin Anfang Juli gerechtfertigt. Bis dahin habe vermutlich noch nicht jeder die Gelegenheit gehabt, sich impfen zu lassen, geschweige denn eine komplette Impfung zu haben. Zwar haben sich viele Länder in der EU zum Ziel gesetzt, 70 Prozent der Bevölkerung die Impfung bis dahin zur Verfügung zu stellen, „das heißt aber nicht, dass auch jeder das erreicht“, warnt Wilmes. Erst wenn eine populationsübergreifende Immunität gegeben sei, würde es aus wissenschaftlicher Sicht Sinn ergeben, dass Menschen wieder frei reisen können. Doch das sei am Ende eine politische Frage.
Skupin versteht, dass aktuell großer Druck herrsche, einen Impfpass einzuführen. „Wir sind alle müde und wollen zur Normalität zurück“, sagt der Forscher. Er warnt aber davor, unvorsichtig zu werden. Auch Geimpfte könnten potenziell andere anstecken und eine Infektionskette auslösen. „Wir brauchen den gesellschaftlichen Diskurs.“ Taskforce-Kollege Wilmes schließt sich der Warnung an. „Müssen wir jetzt auf Teufel komm raus eine Situation provozieren, wo die Infektionen wieder steigen?“, fragt Wilmes. „Aktuell haben wir die Lage wegen der Impfungen und der geltenden Maßnahmen im Griff.“
Eine weitere Lockerung der Maßnahmen, etwa die Aufhebung der Ausgangssperre oder der Verzicht der Selbsttests im Horeca-Bereich, solle man an die Entwicklung der Inzidenz koppeln, argumentieren die drei Forscher. Muller sagt deutlich: „Wenn die Inzidenz weiter sinkt und die Impfrate steigt, finde ich Juli sogar spät.“ Die beiden Taskforce-Mitglieder sind skeptischer. Skupin rät abzuwarten, bis Luxemburg eine Inzidenz von weniger als 50 Neuinfektionen am Tag erreicht. „Dann haben wir einen Sicherheitspuffer für weitere Lockerungen.“ Wilmes sagt, man müsse flexibel bleiben. „Erst wenn wir mehrere Tage ohne jegliche Neuinfektionen in Luxemburg haben – und das war seit Anfang der Pandemie noch nie der Fall – können wir davon reden, dass wir es weitestgehend überstanden haben.“
- „Nach all dem was passiert ist, ist man verunsichert“ - 15. November 2024.
- Bei den Wahlen in den USA ist das Chaos vorprogrammiert - 2. November 2024.
- Rechte für Menschen mit einer Behinderung: Es reicht mit den leeren Versprechungen - 14. Oktober 2024.
Tenöre die mit Marika einstimmen könnten :
„ Im Leben geht alles vorüber, im Leben geht alles vorbei und auf jede Pandemie folgt wieder eine Grippe.“