Justiz / Es geht um die Freiheit der Anwälte
Ein Arbeitsunfall bei ArcelorMittal drohte teuer zu werden. Die Mittel, die der Rechtsbeistand des Unternehmens einsetzte, um den Schaden kleinstmöglich zu halten, empfand der zuständige Untersuchungsrichter ihm gegenüber als einschüchternd und beleidigend. Der Anwalt wird deswegen verurteilt. Und geht in Berufung. Die eigentliche Frage, um die es geht, betrifft die gesamte Anwaltschaft.
Anwälte seien beunruhigt und verunsichert, ja sogar eingeschüchtert, geben Me François Prum und Me Max Lehne am Rande der Gerichtsverhandlung zu verstehen. Ihr Recht auf freie Meinungsäußerung stehe auf dem Spiel. Der Prozess gegen Me Lutgen schaffe ein Klima der Unsicherheit. „Was darf man noch schreiben, wie muss man es formulieren, wie kann man seinen Mandaten noch vertreten und verteidigen?“
Laut Gesetz darf ein Anwalt die Mittel einsetzen, die er für nötig erachte, um die Interessen seines Klienten zu vertreten und Schaden von ihm abzuwenden. Im Rahmen der geltenden Gesetze natürlich. Me André Lutgen dazu: „Nein, der Zweck heiligt nicht die Mittel.“ Zweifel an den von ihm bewegten Hebeln hat er scheinbar keine. Er habe seine Arbeit getan. Dass Untersuchungsrichter Filipe Rodrigues sich deshalb schlecht behandelt fühle, versteht Me Lutgen nicht.
Es ist Mittwoch, 1. Juni. Zweiter Tag im Berufungsprozess gegen den bekannten Anwalt. Es ist im Berufungsprozess nicht anders als in erster Instanz: Jede der beteiligten Parteien scheint überzeugt davon, aus ihrer Sicht richtig, ihrer Rolle entsprechend gehandelt zu haben. Das Zusammenspiel hat aber offensichtlich nicht funktioniert.
„Ein großes Missverständnis“
Als ein großes Missverständnis bezeichnet es der beigeordnete Generalstaatsanwalt. Er versucht schlau, die Spreu vom Weizen zu trennen und zeigt Verständnis für beide Seiten. Der Anwalt habe die gebotenen Mittel eingesetzt, um in Erfahrung zu bringen, ob und wann, nach dem Arbeitsunfall mit einem Toten, ein Stromaggregat wieder eingeschaltet werde, damit die Produktion im Differdinger Stahlwerk normal weiterlaufen könne. Da er vom Untersuchungsrichter, anders als angekündigt, keine Antwort erhalten habe, sei er beunruhigt gewesen und habe auf Antwort gedrängt – per Mail beziehungsweise telefonisch. Um in Erfahrung zu bringen, was Sache ist. Die von ihm eingesetzten Mittel seien keine Einschüchterung gewesen, so der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft.
Jener sieht deshalb vom Vorwurf der Einschüchterung ab. So auch geschehen in erster Instanz. Der Vertreter der Anklage bleibt allerdings beim Vorwurf der Beleidigung. In einer Mail an die damaligen Minister Schneider (Wirtschaft) und Braz (Justiz) seien Beschwerden und Anschuldigungen gegen den Untersuchungsrichter vorgebracht worden, die den Tatbestand der Beleidigung erfüllen würden.
Der Vertreter der Anklage gibt allerdings auch zu bedenken, dass der Untersuchungsrichter vielleicht die Chance verpasst habe, den Anwalt zu beruhigen und vor weiterem Tun abzuhalten, nämlich indem er ihm mitteilt, wie der Produktionsablauf im Stahlbetrieb weitergehen würde.
Der Prozess, der eigentlich am Mittwoch zu Ende gebracht werden sollte, wird nun in einer Woche weitergeführt. Der Rechtsbeistand des Untersuchungsrichters pocht nach wie vor auf Einschüchterung, was das Vorgehen von Me Lutgen angeht.
Interessant bleibt, dass die Anwaltskammer Luxemburg nichts Strafbares im Vorgehen von Me Lutgen erkannt hat. Nicht minder interessant bleibt die Frage, warum die Generalstaatsanwältin eine von Me Lutgen verschickte Mail an Untersuchungsrichter Rodrigues weitergeleitet hat. Es sei nämlich nur deshalb zur Beschwerde gegen Me Lutgen und letztendlich zum Gerichtsprozess gegen ihn gekommen.
Wie es aussieht, besteht die Verteidigung von Untersuchungsrichter Rodrigues unbedingt auf dem Tatbestand der Einschüchterung. Merkwürdig ist das allerdings, weil selbst die Generalstaatsanwaltschaft diesen Vorwurf, wie gesagt, nicht in Betracht ziehen will. Es bleibt demnach spannend.
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Darf ein Richter „beleidigt“ sein? Wenn persönliche Gefühle im Richterspruch eine Rolle spielen dürfen,dann sieht’s schlecht aus mit der Neutralität und der Gleichheit.