/ „Es ist ein Teufelskreis“: Forscher Tom Becker über Wohnungsnot und Wachstum in Luxemburg
Luxemburg steckt mittendrin in der Wohnungskrise. Um der Lage Herr zu werden, hat die Regierung eine ganze Reihe von Maßnahmen angekündigt. Tom Becker (39), Forscher im Bereich Raumplanung und Stadtentwicklung an der Uni Luxemburg, bezeichnet viele dieser Maßnahmen als „politischen Aktionismus“.
Er vermisst eine langfristige Strategie. Das Problem, mit dem die Politiker sich beschäftigen müssten, sei nicht die Wohnungsnot, sondern die Frage, wie es dazu gekommen sei, sagt Tom Becker. Die öffentliche Auseinandersetzung mit dem wirtschaftlichen und demografischen Wachstum werde aber bislang nicht konsequent angegangen.
Tageblatt: Die Wohnungskrise in Luxemburg hat sich in den vergangenen Jahren verschärft und ist zu einem der wichtigsten politischen Themen geworden. Wie konnte es so weit kommen?
Tom Becker: Es ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Die Situation hat sich über 20, 30 Jahre entwickelt. Das kontinuierliche und rasante Wachstum der Luxemburger Wirtschaft ist sicherlich einer der Hauptgründe. Es wurden immer mehr Arbeitsplätze geschaffen, die nicht mehr nur mit Menschen, die in Luxemburg leben, besetzt werden konnten. Es wurde viel in neue Bürofläche investiert, weil es damals lukrativ war.
Zugleich waren die Erschließung von Bauland und der Bau von Wohnungen nicht so hoch, wie sie hätten sein müssen. Es wurde zwar Wohnraum erschlossen, doch nicht unbedingt dort, wo die Arbeitsplätze entstanden. Das bringt mit sich, dass viele Menschen lange Anfahrtswege haben. Ein weiteres Problem stellt die Spekulation mit Bauland dar. Weil die Grundstückspreise rasant steigen, ist es natürlich interessant, darin zu investieren.
Hinzu kommt, dass nach dem Raumplanungsgesetz von 1999 und den neuen Verordnungen über die Bebauungspläne von 2004 die Genehmigungsprozeduren komplizierter und langwieriger wurden, wodurch es viel schwieriger wurde, größere Baulandflächen zu erschließen. Nicht zuletzt wird immer deutlicher, dass der Bausektor langsam an die Grenzen seiner Kapazitäten stößt.
Kann man sagen, dass die Politik lange nichts unternommen hat, weil die Wählerschaft nicht direkt von der Wohnungsnot betroffen war?
Ich glaube, dass dieser Umstand einen erheblichen Einfluss darauf hatte, dass der Wohnungsbau lange Zeit nicht Teil der politischen Agenda war. Die meisten Grundstücke sind im Besitz luxemburgischer Familien und Investoren. Lange Zeit profitierten die Luxemburger davon, dass sie Grundstücke kaufen konnten, die Familie oder Freunden gehörten. In den letzten Jahren hat sich die Lage aber verändert.
Mittlerweile hat sogar der Mittelstand große Probleme, sich ein Grundstück und ein Haus zu leisten. Mit Mittelstand meine ich vorwiegend Luxemburger, die ein geregeltes Einkommen haben, vielleicht beim Staat angestellt sind und eigentlich keine Probleme haben sollten, einen Bankkredit zu bekommen. Spätestens wenn diese Schicht von der Wohnungsnot betroffen ist, wird der Wohnungsbau zu einem politischen Thema. An diesem Punkt sind wir jetzt angelangt.
Die Wohnungsnot schafft eine Zweiklassengesellschaft. Im Zentrum können fast nur noch die Reichen wohnen, die unteren Schichten werden in die Peripherie zurückgedrängt. Würden Sie diese Aussage bestätigen?
Meines Wissens gibt es keine Zahlen dazu, doch wenn man die Entwicklung beobachtet, ist es so, dass in der Peripherie die Preise einfach noch ein gutes Stück niedriger sind als im Zentrum. Deshalb muss man davon ausgehen, dass Menschen mit geringerem Gehalt sich eher in der Peripherie oder jenseits der Grenze ansiedeln. Dadurch entsteht natürlich ein soziales Gefälle. Das Problem stellt sich insbesondere beim Kauf von Wohnungen. Dieses Phänomen stellt auch verschiedene Gemeinden vor große Herausforderungen, weil sich dort ganz andere Gruppen von Menschen niederlassen, als das bislang der Fall war. Doch in letzter Zeit tritt das Problem auch verstärkt im Mietbereich auf.
In Belval wurde bislang doppelt so viel Büro- und Geschäftsfläche wie Wohnraum gebaut. Dahinter steckt die Strategie, im Süden ein Gleichgewicht zum Dienstleistungssektor der Stadt Luxemburg zu schaffen. Ist diese Rechnung aufgegangen?
Bislang noch nicht so richtig. Mit der Uni sind wir seit 2015 auf Belval und haben die Entwicklung auch schon vorher verfolgt. Noch immer stehen viele Büroräume leer. Man braucht sich nur das rote RBC-Dexia-Gebäude anzuschauen. Es wird noch viel gebaut und weitere Bürofläche wird entstehen. Die Zahlen von Agora zeigen, dass die Entwicklung in den letzten zwei, drei Jahren positiv verlaufen ist. Es bleibt aber noch viel Luft nach oben.
Laut einer Studie des Liser sind 72,5% der bebaubaren Grundstücke im Besitz von Privatleuten, 14,9% gehören privaten Unternehmen. Die öffentliche Hand hat nur 11% des bebaubaren Lands. Bei den Wohnungen dürften die Anteile ähnlich gewichtet sein. Wie kamen diese Verhältnisse zustande?
Sie sind historisch bedingt. Zum einen haben viele Luxemburger Bauern als Vorfahren, die viel Land besaßen, das sie lieber vererbten, als es zu verkaufen. Das erklärt zumindest den hohen Anteil an Privatleuten, denen Land gehört. Zum anderen geht es um Spekulation. Entwicklungsgesellschaften und Privatinvestoren kaufen Grundstücke auf, zum Teil ganz strategisch, um zu einem späteren Zeitpunkt Großprojekte umzusetzen. Die öffentliche Hand hat die Wohnungsfrage lange Zeit nicht als ein Problem gesehen, das sie betrifft und bei dem sie aktiv werden muss. Viele Gemeinden waren in den vergangenen zehn bis 15 Jahren damit beschäftigt, der rasanten Entwicklung hinterherzulaufen, weil sie Infrastrukturen wie neue Kläranlagen oder Schulen bauen mussten.
Diese Projekte haben viel Geld verschlungen, sodass nicht mehr viel übrig blieb, das sie in Wohnungen und Bauland investieren konnten. Für kleinere Gemeinden ist es häufig schwierig, an Bauland zu kommen, weil sie nicht nach der gleichen Philosophie wie private Bauherren oder Investoren funktionieren. Mit der Gesetzesänderung, die Gemeinden ein Vorkaufsrecht für Bauland einräumt, hat sich die Lage aber verbessert. Sie können nun strategischer planen und zuschlagen, wenn die benötigten Grundstücke zum Verkauf angeboten werden.
Wieso werden die Gemeinden nicht stärker im Wohnungsbau aktiv?
Im Rahmen der staatlichen Wohnungsbaustrategie werden die Gemeindeverantwortlichen dazu aufgefordert, sich strategische Gedanken darüber zu machen, wie der Wohnungsbau sich in ihrer Gemeinde entwickeln soll. Das gilt sowohl für den privaten als auch für den öffentlichen Wohnungsbau. Doch viele Gemeinden sind noch gar nicht so weit. Sie haben weder das notwendige Know-how noch das Personal, um solche Strategien aufzustellen.
In diese Richtung zielte schon das 2008 verabschiedete „Pacte logement“-Gesetz. Hat dieses Gesetz etwas gebracht?
Wenn man mit den Akteuren redet, wird schnell klar, dass der „Pacte logement“ seine Ziele nicht erreicht hat. Eines der Probleme war, dass das Geld vom Staat mit der Gießkanne verteilt wurde und die Regeln, wie dieses Geld eingesetzt werden sollte, ziemlich großzügig ausgelegt werden konnten. Viele Gemeinden haben das Geld genutzt, um eben ihre Infrastruktur zu entwickeln. Das war sicherlich nicht falsch, doch es entspricht nicht der ursprünglichen Zielsetzung des „Pacte logement“. Es wird aber bereits an einer Neuauflage, dem „Pacte logement 2.0“, gearbeitet, bei dem das Regelwerk stärker an den aktuellen Bedarf an Wohnraum angepasst werden soll.
Im Süden ist die Situation anders. Dort gehört ein großer Teil der bebaubaren Grundstücke dem Stahlkonzern ArcelorMittal, der sich dadurch in einer Machtposition befindet. Nutzt das Unternehmen diese Position aus?
Im Süden sind die Machtverhältnisse leicht anders. Die Industriebrachen und auch andere Grundstücke, die bislang nicht genutzt wurden, gehören ArcelorMittal und ähnlichen Unternehmen. Nicht umsonst hält die Idee von Großprojekten seit einigen Jahren in Luxemburg Einzug. Einerseits macht das die Erschließung neuer Viertel und neuen Wohnraums einfacher als zum Beispiel in der Nordstad, wo mehr Kleinbesitzer beteiligt sind. Andererseits kann wegen der toxischen Belastung der Grundstücke und dem Abriss der alten Gebäude nicht auf der grünen Wiese geplant werden.
ArcelorMittal scheint aber auf Belval sehr positive Erfahrungen gemacht zu haben, sonst würde das Unternehmen wohl nicht erneut mit dem Staat zusammenarbeiten, um die Brache Esch-Schifflingen zu entwickeln. ArcelorMittal hat ja schließlich auch Interesse daran, dass diese Grundstücke nicht brachliegen und es das Geld, das es daraus zieht, anders investieren kann. Wie ArcelorMittal dieses Geld investiert, entzieht sich aber meiner Kenntnis.
Die Spekulation mit Bauland und Immobilien wurde jahrelang durch steuerliche Vergünstigungen quasi staatlich gefördert. Wieso?
Wenn man sich ansieht, wer am Wohnungsmarkt aktiv ist, stellt man fest, dass es nicht nur private Verkäufer und Käufer von Grundstücken sind. Es gibt viele Akteure, die daran verdienen: Immobilienagenturen, die ganze Baubranche, Treuhandgesellschaften und andere. So gesehen kann am Ende jeder von denen nur gewinnen, wenn die Wohnungsnot bestehen bleibt und die Preise hoch sind. Jeder, der etwas besitzt, kann von dieser Situation profitieren.
Ist die Nähe zwischen Politik und Wirtschaft in Luxemburg zu groß?
Diejenigen, die über Besitz verfügen, sind meist Luxemburger. Sie sind es, die wählen gehen und damit bestimmen, wer die Gesetze für sie macht. So hängt das alles irgendwie zusammen. Es bestand ganz deutlich ein politischer Wille, die Entwicklung so zu fördern, wie sie in den vergangenen 20 bis 30 Jahren vonstatten ging. Doch ich muss auch sagen, dass ich bislang noch nicht den klaren politischen Willen erkenne, mit dieser Praxis zu brechen. Man braucht sich nur die Diskussion um die Enteignungen anzusehen. In dieser Diskussion kommen wir nicht voran. An einem bestimmten Punkt bleiben wir immer hängen, weil sich verschiedene Parteien nicht einig sind, ob sie in diese Richtung gehen wollen oder nicht. Dabei geht es ja nur darum, die Eigeninteressen ihrer Wählerschaft zu bewahren.
Die grüne Wohnungsbauministerin Sam Tanson erklärte kürzlich, dass für Enteignungen ein öffentlicher Nutzen vorliegen müsse, was bei Wohnbauprojekten schwer nachzuweisen sei. Ferner müsse der gleiche Preis gezahlt werden, wie wenn ein Grundstück auf dem Markt gekauft wird. Was wäre denn der Nutzen von Enteignungen?
Enteignungen sind keine Allzwecklösung. Ich bin auch nicht der allergrößte Verfechter von Enteignungsprozeduren, weil sie doch für viel Unmut sorgen. Dieses Instrument sollte ganz gezielt eingesetzt werden. Es wäre aber ein erster Schritt, wenn neben den Infrastrukturen auch der Wohnungsbau als Priorität für Enteignungen angesehen würde. Im Rahmen der neuen Verfassung scheint es in die Richtung zu gehen, dass Wohnen als menschliches Bedürfnis konstitutionell anerkannt wird. Ich denke aber, dass man sich auch einmal trauen müsste, bestimmte Themen öffentlich zu diskutieren.
Die Regierung will verstärkt Grundstücke kaufen und in erschwingliche Mietwohnungen investieren. Reichen diese Maßnahmen aus?
Es ist ein wichtiger und wesentlicher Schritt, dass der Staat Grundstücke kaufen will, um über die SNHBM und den „Fonds du logement“ erschwingliche Mietwohnungen zu bauen. Es ist ein großes Problem, dass in Luxemburg in der Vergangenheit immer in der Optik gearbeitet wurde, dass die Menschen Häuser und Wohnungen kaufen sollen. Heute sind immer mehr Bürger in prekären Beschäftigungsverhältnissen und können sich wahrscheinlich nie eine Wohnung kaufen. Für diese Menschen bleibt nur der Mietwohnungsmarkt. Nicht jeder kann oder will Besitz anhäufen. Diese Bürger müssen auch berücksichtigt werden.
Ein anderes Problem stellt die Qualität der Wohnungen dar. Häufig stellt sich die Frage, ob die Bauqualität hochwertig genug oder aber ob sie nicht zu hochwertig ist. Bei vielen Wohnungen auf dem Markt kann man sich fragen, ob solch ein hoher Standard überhaupt gebraucht wird oder ob es nur den Preis unnötig in die Höhe treibt.
Wohnungen werden oft teurer, weil beim Bau die Energieeffizienz berücksichtigt wird, die zum Erreichen der Klimaziele beitragen soll. Ist das der falsche Weg?
Nein, der Weg ist richtig. Ich bin der Letzte, der Energieeffizienz anzweifeln will, aber manchmal kann man sich die Frage stellen, ob man nicht etwas zu weit geht. Macht es den Bau nicht zu teuer, im Verhältnis zu dem, was später an Energiekosten eingespart werden kann? Im Ausland klagen viele Bauherren bereits jetzt, dass es quasi unmöglich ist, erschwinglichen Wohnraum zu schaffen und gleichzeitig die energetischen Standards einzuhalten. Einfache Antworten auf diese Frage gibt es nicht, aber es geht darum, die richtige Balance zwischen den beiden Entwicklungen zu finden.
Häufig wird gefordert, dass in die Höhe gebaut werden muss, damit die Preise sinken. Könnte das eine Lösung sein?
Jein. Sicherlich kann etwas dichter gebaut werden. Wir brauchen keine Häuser mehr, die auf 10 oder 20 Ar großen Grundstücken stehen, wie das in den 1970er und 1980er Jahren der Fall war. Bei verdichteten Bauprojekten frage ich mich nur manchmal, ob es nicht zu dicht ist. Ist es wirklich die Wohnqualität, die die Menschen wollen? Auch in diesem Bereich muss die richtige Balance gefunden werden. Man kann keine Dichte für ganz Luxemburg festlegen, sondern es muss von Fall zu Fall entschieden werden.
Daher ist es nicht falsch, dass die Gemeinden in ihren neuen Flächennutzungsplänen (PAG) darüber nachdenken mussten, wie sie mit ihren Baudichten umgehen. Es kann aber auch nicht die Lösung sein, die Menschen alle in Hochhäusern unterzubringen, wie es in Singapur passiert. Die meisten Menschen in Luxemburg wollen noch etwas Grünfläche oder einen Garten, den sie nutzen können. Doch es muss ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden, dass wir künftig nicht mehr so wohnen können, wie es in der Vergangenheit der Fall war.
Ab den 1950er Jahren wurden in den Vororten vieler europäischer Großstädte Hochhaussiedlungen errichtet, die inzwischen verfallen oder zu sozialen Brennpunkten geworden sind. Wie kann Luxemburg sich vor solchen Entwicklungen schützen?
Vor allem in Frankreich hört man immer wieder, dass es an solchen Orten zu Ausschreitungen kommt. In Deutschland, den Niederlanden oder Skandinavien gibt es ähnliche Beispiele. Es reicht eben nicht aus, dass man einen Masterplan hat und baut. Es gehört viel mehr dazu. Das sehen wir ja auch bei den Großprojekten in Luxemburg. Die Gestaltung des Verkehrs und der Freiräume ist extrem wichtig bei solchen Vorhaben.
Es muss auch auf die soziale Durchmischung geachtet werden, die langfristig erhalten bleiben muss. Beispiele aus dem Ausland zeigen, dass die Zusammensetzung schnell umschlagen kann und das ganze Viertel von nur einer sozialen Gruppe bestimmt wird. In diesem Bereich hat Luxemburg noch sehr viel zu lernen, weil wir solche Erfahrungen noch nicht gemacht haben. Deshalb müssen wir uns gut überlegen, in welche Richtung wir gehen wollen.
Ist die Wohnungskrise ohne Begrenzung des Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums in den Griff zu bekommen?
Im letzten Wahlkampf gab es einen überparteilichen Konsens, dass die Wachstumsfrage gestellt werden muss: Brauchen wir so viel Wachstum? Wollen wir uns weiter in diese Richtung entwickeln? Was sind die Konsequenzen des Wachstums und sind wir gewillt, mit diesen Konsequenzen zu leben? Es scheint aber, als seien diese Fragen seit den Wahlen wieder in Vergessenheit geraten.
Im Koalitionsabkommen wird nicht mehr von Wachstum, sondern nur noch von qualitativer Entwicklung geredet.
Das ist natürlich ein sehr dehnbarer Begriff. Die Idee des Wachstums ist noch immer darin enthalten. Es wird noch immer davon ausgegangen, dass Luxemburg sich demografisch und vor allem wirtschaftlich weiter entwickelt wie bisher. Ich verfolge die Diskussion schon seit einiger Zeit, doch mir ist immer noch nicht klar, was die Politik eigentlich mit qualitativ meint. Für welche soziale Gruppe soll die Entwicklung qualitativ gestaltet werden? Soll die Qualität nur für die wirtschaftlichen Akteure angestrebt werden oder auch für die Menschen, die hier leben? Ganz klar ist aber, dass die Wachstumsfrage konsequenter angegangen und stärker öffentlich diskutiert werden muss. Wir können uns dem nicht mehr verschließen.
Kann Luxemburg es sich denn finanziell leisten, auf hohes Wachstum zu verzichten?
In dem Zusammenhang kommt immer wieder der Einwand, dass zur Aufrechterhaltung des Rentensystems noch mehr Wachstum benötigt werde. Wir kommen aus dieser Falle, diesem Teufelskreis nicht mehr heraus.
Könnten stärkere Investitionen des Luxemburger Staats in Infrastrukturen in der Grenzregion zur Lösung der Wachstumsfrage beitragen? Ist das praktisch überhaupt umsetzbar?
Es ist schwierig, doch es gibt schon Beispiele wie die Europaschulen, die „International School“ oder die „Ecole française“, die in diese Richtung gehen, auch wenn das Modell etwas anders ist, weil es nicht der französische Staat ist, der hier Schulen baut. Das Schengen-Lyzeum zielt auch schon darauf ab. Auf jeden Fall müssen wir uns die Frage stellen, ob wir Luxemburg weiterhin als Insel planen und entwickeln können oder nicht.
Wenn man sich die Planungskarten der letzten Jahrzehnte ansieht, fällt auf, dass alle Gebiete jenseits der luxemburgischen Grenze weiß blieben. Die grenzüberschreitenden Prozesse in Bereichen wie Wohnen oder Verkehr wurden nicht einmal berücksichtigt. Mittlerweile scheint es aber in die Richtung zu gehen, dass in den grenzüberschreitenden Gremien zumindest der Versuch unternommen wird, mit den Nachbarregionen zu reden.
Ihr Kollege Markus Hesse hat in einem Beitrag in der Zeitschrift Forum eine Urbanismus-Strategie für Luxemburg vermisst. Wie müsste so eine Strategie Ihrer Ansicht nach aussehen?
In letzter Zeit probiert die Politik vieles aus und ergreift neue Initiativen. In meinen Augen ist aber nicht ganz klar, inwiefern sich die einzelnen Aktionen zu einer Gesamtstrategie zusammenfassen lassen. Das ist der Punkt. Bevor man einzelne Schritte unternimmt, sollte man sich vielleicht erst einmal überlegen, wo wir hin wollen, was wir erreichen wollen und was das Problem ist, das wir lösen wollen. Das Problem ist nicht die Wohnungsnot, sondern die Frage, wie es dazu gekommen ist. Damit sind wir wieder beim wirtschaftlichen und demografischen Wachstum. Das ist der Punkt, über den wir nachdenken müssen.
Eine Strategie muss vor allem diese Probleme identifizieren, sich mit ihnen auseinandersetzen und Lösungsansätze aufzeigen. Erst dann können konkrete Maßnahmen umgesetzt werden. Stattdessen habe ich den Eindruck, dass es einen relativ großen Aktionismus in der Politik gibt. Es wird einfach mal etwas gemacht, weil es auf der politischen Agenda steht, doch wie sich diese Aktionen in übergreifende Reflexionen einreihen, ist nicht ganz klar.
Wie könnte die Politik eine solche Strategie konkret angehen?
Ein erster Schritt wäre, die öffentlichen Akteure nicht nur finanziell, sondern auch mit Expertise auszustatten, damit sie sich überlegen können, wie sie ihre Wohnungsbaupolitik auf lokaler und regionaler Ebene langfristig gestalten wollen.
Wir haben jetzt viel darüber gesprochen, was der Staat und die Gemeinden tun sollten oder könnten. Doch welche Möglichkeiten hat die Zivilgesellschaft, um sich bestimmte Räume wieder anzueignen?
Die Zivilgesellschaft kann Dinge von der Politik einfordern. Das passiert zuletzt immer häufiger. Ich denke zum Beispiel an das geplante Neubauprojekt auf dem Gelände des Stade Josy Barthel in der Stadt Luxemburg, wo sich eine Gruppe von Bürgern gefunden hat, die ganz konkrete Forderungen stellt. Ich will ihre Forderungen nicht bewerten, doch alleine die Tatsache, dass Menschen damit beginnen, sich zu manifestieren, ist schon bemerkenswert. Solche Eigeninitiativen müssten viel häufiger entstehen, denn ein Großteil dessen, was uns als Partizipation verkauft wird, ist im Grunde genommen lediglich Information. Eine richtige Kultur der Bürgerbeteiligung gibt es in Luxemburg nicht.
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Ich glaube das wussten wir schon vor 20 Jahren was da auf uns zukommt. Was haben wir um zu rechnen?
2600Km2 Fläche,eine gesunde Wirtschaft und menschliche Löhne.Was haben die Nachbarn? Hohe Steuern,Arbeitslosigkeit und unzumutbare Löhne. Was passiert? Alle wollen nach Luxemburg nicht nur zum Arbeiten,auf zum Wohnen. Es wird also gebaut auf Teufel komm raus ,es wird geteert und gepflastert und der Zuwachs will nicht aufhören.Die Preise erreichen astronomische Höhen,eine „normale“Auswirkung der freien Marktwirtschaft die wir ja so bejubelt haben,damals unter dem Namen „Klobasilierung“(Priol). Die Pendler können sich die teuren Wohnungen nicht leisten und deshalb müssen sie eben pendeln.Sogar Luxemburger oder deren Kinder müssen im Ausland nach Wohnungsraum suchen.Da unser Angebot im öffentlichen Transport an seine Grenzen stößt,außer Tramtrassen ab der Grenzen nach Luxemburg-Stadt,ist hier auch keine Lösung in Sicht.Die Kapazitäten in Hospitälern,Schulen usw. sind erschöpft.Wasser wird knapp,usw. Der Kuchen ist zu klein für ALLE.
Welchen Wert haben „menschliche Löhne“, wenn er nicht einmal dazu ausreicht, ein Dach über dem Kopf zu bezahlen? Anstelle die Milliardenüberschüsse der letzten Jahrzehnte in Wohnungsbau zu investieren, wurde das Geld an Projekte verschleudert, die dem kleinen Fürstentum prestige bringen sollte, aber bitte keine armen Menschen. Viele Arbeiter und Angestellte können sich Luxemburg schon lange nicht mehr leisten. Im Schengenraum ist es ja auch kein Problem wenn sich diese Menschen im Umland eine neue Heimat suchen, solange sie ihre Steuern in Luxemburg lassen. Die Gemeinden im Umland werden den Zuzug schon irgendwie unterbringen…, die schaffen das!
Mit menschlichem Lohn meinte ich,dass man davon leben können muss und zwar hier und nicht in Bangladesch. Die Preispolitik im Wohnungssektor ist eine andere Sache und kommt eben von der rücksichtslosen Ausbeutung der Nachfrage. Es wird wohl kein Dorf mehr geben in dem nicht ein oder zwei Immobilienhaie ihre „Werkstatt“haben. Aber das Gehalt das z.B. ein Banker in Trier oder eben in Luxemburg verdient,lässt ihn täglich ins Auto oder in den Zug steigen. Oder ein Arzt z.B. verdient hier in Frankreich 24€ für eine Sprechstunde,dafür öffnet ein luxemburger Arzt noch nicht mal die Tür. usw.
@Peter
Die Gemeinden im Umland können sich über eine Kaufkraft freuen, von der andere Regionen in D, F und B nur träumen können. Die höheren Löhne, ein Mindestlohn der seinesgleichen sucht, das hohe Kindergeld, die Studienbeihilfen und zudem die nicht anfallenden Sozialleistungen für die Menschen, die im „kleinen Fürstentum“ Arbeit finden, sind ein Segen für die Grenzgebiete. So gehört das Saarland zu den am stärksten gefährdeten Regionen in D, was nicht nur marode Strukturen sondern auch Bevölkerungsschwund mit sich bringt; neue Bürger mit gut gefüllten Brieftaschen sollten dort mit Freude aufgenommen werden. Und meinetwegen kann das Saarland sich vom erfolgreichen kleinen Fürstentum gerne etwas abschauen, denn mir hängt dieses unverantwortliche Wachstum mit der einhergehenden Minderung der Lebensqualität zum Halse raus.
Hallo Peter. Nur zur Information. Luxemburg ist kein kleines Fürstentum sondern ein Grossherzogtum. Unser Staatsoberhaupt ist ein Grossherzog und kein Fürst!
Da sie aus dem Umland ja wissen (?) was wir in den letzen Jahrzehnten hätten machen müssen wundert es dass sie da so schlecht informiert sind … 🙂
Jeder Mensch der willig ist hat Recht auf ein annehmbares Leben, ob nun Luxemburger, Grenzgänger oder sonst wie Ausländer. Nur wenn eine Firma nur mit Grenzgängern am Laufen gehalten werden kann, dann müsste deren Standort da sein von wo ihre meisten Arbeitskräfte herkommen. Ein Beispiel: Die Firma CLAAS hat ihre Produktion auf 4, im weitem Umkreis liegenden Standorten verteilt, seil man dort hinging von wo ihre Arbeitskräfte herkommen, und es im Interesse ihrer Mitarbeiter ist, dass man die Vorprodukte zu den Mitarbeitern bringt, und nicht die Arbeitskräfte zu den Vorprodukten.
Ein Bekannter wollte sich ein im Bau befindliches Appartement kaufen. Es gab 6 Bewerber, und nur der erhielt es, wer den größeren Betrag mit eigenem Geld diskret bezahlen konnte.
Firmen haben nicht den Ruf immer „edelmütig“ zu sein und wenn sie den Standort Luxemburg verlassen wird das schon nicht aus purem Mitgefühl sein.
Diese Problem ist schon seit langen Jahren bekannt,
da braucht man nicht lange forschen, denn die Politik hat
dies absichtlich versäumt und wird in Zukunft gar nix tun,
alles nur heisse Luft.
Sehr geehrter Herr Tom Becker, vielen Dank für ihren Artikel. Einen Punkt habe ich jedoch vermisst; was schlagen Sie vor zum Umgang mit dem Leerstand von bestehenden Wohnungen und Häuser? Könnte man diese kurzfristig mobilisieren, wäre der Druck auf dem Immobilienmarkt vielleicht etwas kleiner und man bräuchte hierfür auch keine neuen Infrastrukturen bauen.
quand on va voir les conséquences de la perte d’attractivité de la place financière suite à l’implementation des politiques fiscales demandées par UE. OECD, G20 etc, et concédées par le gouvernement, la montée explosive des prix immobiliers pourrait vite s’inverser.