/ Für Medienberater Manfred Theisen sind „Digital Natives“ oft zu naiv
Manfred Theisen (56) ist mit seiner geradlinigen, pragmatischen Art jemand, der bei Jugendlichen ankommt. Er nimmt sie ernst und fordert sie in ihrem Umgang mit Medien wie dem Smartphone heraus.
Der langjährige Medienredakteur der Kölnischen Rundschau berät im deutschsprachigen Raum viele Schulen, Lehrer und Schüler in puncto Mediennutzung. „Digital Natives“ heißen bei ihm „Digital Naives“. Warum, das erklärt er auch in luxemburgischen Schulen.
Tageblatt: Medienkompetenz, was ist das?
Manfred Theisen: Medienkompetent ist jemand dann, wenn er mit allen Medien, nicht nur mit dem Smartphone, so umgehen kann, dass er das Medium bestimmt und nicht das Medium ihn, er es also beherrscht.
Sie plädieren für einen bewussten Umgang mit Medien. Was ist „bewusst“?
Wenn ich weiß, wo ich was finde, wie Apps aufgebaut sind, wie sie mich leiten – und wenn ich mir überlege, was will ich überhaupt von meinem Smartphone? Und nicht kopflos herunterlade oder herumtippe. Ich kann viele positive Dinge mit dem Handy tun, aber ich muss wissen wie.
Jeder Jugendliche will aber doch heute einfach nur ein Smartphone haben. Das ist cool …
Stimmt. Viele wissen aber nicht, was für Möglichkeiten es gibt und dass man eine Wahl hat. Das betrifft die Wahl der Suchmaschine genauso wie die Wahl der Apps.
Sind wir nicht alle sowieso schon Googleianer?
Das liegt daran, dass Google auf dem Handy vorinstalliert ist. Google will Geld verdienen und arbeitet mit den Daten der Nutzer, die irgendwo landen. Viele wissen aber gar nicht, dass man sich andere Suchmaschinen herunterladen kann. Anbieter, die nicht die Daten speichern, sondern ihre Gewinne sogar an Naturschutzprojekte spenden wie Ecosia. Damit soll der CO2-Ausstoß verringert werden.
CO2-Ausstoß bei Suchmaschinen?
Anfragen bei Suchmaschinen laufen bei riesigen Serverfarmen zusammen, die meist im Norden, Grönland oder Island zum Beispiel, stehen, weil Rechner kühl stehen müssen. Diese Farmen mit kilometerlangen Unterwasserkabeln, Schaltern und Routern verbrauchen enorme Mengen an Energie, die zum größten Teil aus fossilen Brennstoffen stammt.
Setzt das kritische Denken bei IT und Digitalisierung aus?
Ich glaube, was durch den ständigen Gebrauch von Smartphones, aber auch des Computers verloren geht, ist die Fähigkeit dazu, sich Dinge erarbeiten zu müssen. Ein Klick und zack! Sofort sind Informationen verfügbar, sofort habe ich meine Musik, kann ich etwas kaufen, es wieder abbestellen etc. Das verringert die Geduld, sich mit Sachverhalten und Hintergründen länger zu beschäftigen. Wir lassen uns keine Zeit mehr, Dinge auf uns zukommen zu lassen und uns etwas zu erarbeiten.
Was spielen „Influencer“ dabei für eine Rolle?
Die Krux ist, dass Jugendliche dort keine Informationen bekommen, sondern „Influencer“ Meinungen verbreiten. Jugendliche wollen sich zwar informieren, machen sich aber keine Gedanken über die Quelle und haben schnell eine eigene Meinung. Für meinen Geschmack zu schnell. Es ist, als ob ich an einem Kunstwerk in einem Museum vorbeilaufe und nur immer sofort sage: „Gefällt mir, gefällt mir nicht.“
Sie plädieren für einen europäischen Hersteller von IT-Hardware. Mögen Sie Apple nicht?
Nein. Ich finde es bedenklich, dass alle unsere Daten in den USA oder sonst wo landen. Ich will, dass die Europäer das selbst in die Hand nehmen.
Schon klar, aber warum?
Das beantworte ich mit einer Gegenfrage: Was ist denn, wenn es zum Konflikt mit den USA kommt? Im Moment liefern wir Europäer uns aus. Und das sollte nicht so weitergehen.
Die Drei-Stationen-Regel von Manfred Theisen …
Die meisten Anbieter machen den Nutzern einen bewussten Umgang mit ihrem Angebot schwer. Bei WhatsApp zum Beispiel braucht jemand, der sich gegen Mobbing wehren will, drei Klicks bis zu der Funktion. Die Firma hat in ihren AGB vorgesehen, dass Accounts mit Inhalten, die anderen Menschen schaden, gesperrt werden. Doch für WhatsApp ist die Sperrung eines Users nicht lukrativ. Der Messengerdienst gehört zu Facebook und Facebook will Geld verdienen.
Das heißt, ich bin nicht oldschool, wenn ich noch Bedienungsanleitungen oder Geschäftsbedingungen (AGB) lese?
Jeder sollte die AGB lesen, sie sind mittlerweile recht einfach verfasst. Es ist ein Mythos, dass die AGB von WhatsApp besonders schwierig seien. Der Punkt ist, wir haben keinen Bock. Selbst wenn sie nur drei Zeilen lang wäre, würden wir sie nicht lesen. Alle denken, das klicke ich kurz an und weiter. Es wäre etwas anderes, wenn man persönlich unterschreiben müsste, um den Messenger zu nutzen. Es ist einfach zu einfach. Diese Häkchen nimmt keiner wirklich ernst.
Fördert das eine unkritische Gesellschaft?
Falls die Presse weiter so denunziert und so wenig durch Abonnenten und Spender gefördert wird, könnten wir eine Gesellschaft bekommen, in der jeder einzelne Bürger sich selbst um die Wahrheit kümmern müsste. Wir müssen den kritischen Journalismus erhalten. Wir werden keine Youtuber finden, die recherchieren, ohne Geld dafür zu bekommen. Guter Journalismus kostet Geld.
Was haben die Erwachsenen in puncto Politik bei Jugendlichen verpennt?
Dass sie sie nicht ernst genug nehmen. Ein Beispiel sind die Freitagsdemonstrationen für den Klimaschutz. Das Argument, „sie müssten aber in die Schule gehen“, reduziert dieses Anliegen auf Kinderniveau. Kein Bahnarbeiter streikt für seine Rechte an seinem freien Tag. Das wirkliche Thema ist die Trägheit der Erwachsenen gegenüber dem Umweltschutz.
Neueste Untersuchungen belegen, dass häufiger Smartphone-Gebrauch bei Jugendlichen vermehrt zu Kurzsichtigkeit führt. Gibt es was dagegen?
Mehr ins Freie gehen und mehr im Licht sein. Dann können die Augen sich von der „Naharbeit“ und der Dunkelheit im Zimmer erholen.
„Digital Natives“ verwenden ältere Semester fast schon ehrfürchtig. Sie sagen „digital Naive“. Warum?
Weil sie nichts über Smartphones wissen und total naiv darangehen, sich leiten und verleiten lassen. Jemand, der das Handy nicht mit in die Wiege gelegt bekommt, geht sogar oft kritischer damit um und erarbeitet sich Medienkompetenz. Kinder bekommen häufig das Handy einfach in die Hand gedrückt. Dann probieren sie aus, lernen von Freunden und haben eigentlich keine Ahnung von dem Ding. Es ist ein bisschen so wie Autofahren. Wir kriegen ein Auto auch ohne Fahrstunde in Gang gesetzt, aber dann wird es problematisch. Dann sind wir ausgeliefert und bauen Unfälle.
EXTRA
Suchmaschinen: Alternativen zu Google
Ecosia.org: Die in Berlin gegründete Suchmaschine begreift sich als „social business“. Das Unternehmen veröffentlicht monatlich seine Umsatzzahlen und wirbt damit, die Daten nicht an Werbetreibende zu verkaufen. Ecosia wurde 2009 gegründet.
Startpage.com: Die Suchmaschine bezeichnet sich selbst als „die diskreteste Suchmaschine der Welt“ auf ihrer Webseite. Der Firmensitz ist in Europa und wird von der niederländischen Surfboard Holding B.V. betrieben.
Duckduckgo.com: Die Suchmaschine verspricht ebenfalls anonymes und sicheres Surfen. Die Suchmaschine wurde 2008 von dem Amerikaner Gabriel Weinberg gegründet und hat ihren Sitz in den USA.
EXTRA Die „schöne“ neue Welt der Influencer
Die „Influencerin“ Ana Johnson hat 610.000 Follower, sie postet und bloggt auf Deutsch:
Die „Influencerin“ Lil Miquela ist eine Roboterfrau und hat einen großen Vorteil: Sie altert nicht. Ihr folgen 1,5 Millionen Menschen bei Instagram:
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Digital naives? Digital idiots wäre treffender. Dabei ist Internet ohne Zweifel eine der grossartigsten Erfindungen der Menschheit. Man stelle sich vor: Mit einem simplen Mausklick hat man Zugriff auf so ziemlich alles Wissen dieser Welt. Wie aber nutzt unsere Jugend dieses wundersame Instrument, für das ein Da Vinci oder ein Goethe freudig beide Arme hergegeben hätten? Sie mobben sich untereinander bis zum Selbstmord oder schauen stundenlang ohne Unterbrechung Schminkvideos. Und kommen schon ins Grübeln, wenn sie nur die eigene Postleitzahl gefragt werden. Na, wenn das kein Schuss in den Ofen war.