/ „Es kann der nächste Karriereschritt sein“: Vor 20 Jahren gewann Kim Kirchen die Flèche du Sud
Am Mittwoch beginnt die 70. Flèche du Sud (UCI 2.2) mit einem Prolog in Esch. Die 50. Auflage des Etappenrennens wurde 1999 vom Luxemburger Kim Kirchen gewonnen. Es war der Startschuss einer äußerst erfolgreichen Karriere mit einem Sieg beim Klassiker Flèche Wallonne, einem Etappensieg bei der Tour de France und vielen weiteren Erfolgen. Im Interview blickt der 40-Jährige zurück.
Inwiefern hat der Sieg bei der Flèche du Sud Ihre weitere Karriere beeinflusst?
Kim Kirchen: In dem Moment war es eine Bestätigung meiner guten Form, die ich in der Saison hatte. Später wurde ich noch Vierter beim WM-Straßenrennen der U23 in Verona. Natürlich hat der Sieg bei der Flèche du Sud für mich einen hohen Stellenwert. Es ist ein äußerst renommiertes Rennen, das zudem noch in Luxemburg stattfindet.
Sind Sie damals mit der Erwartung ins Rennen gegangen, Gesamtsieger zu werden?
Nein, eigentlich überhaupt nicht. Ich habe mir als Jugendlicher vor keinem Rennen Druck gemacht, geschweige denn irgendein Resultat angestrebt. Ich habe immer nur versucht, alles zu geben und so lang wie möglich mit den Besten mitzuhalten. Bei der Flèche hatte ich eine starke Mannschaft am Start (Nationalmannschaft bestand aus Kim Kirchen, Steve Fogen, Max Becker, Vincenzo Centrone, Christian Poos, Marc Vanacker und Christian Weyland, d.Red.). Nach der ersten Etappe (die Kirchen gewann, d.Red.) wurde uns klar, dass etwas zu holen sei. Wir sind als Mannschaft ein richtig starkes Rennen gefahren.
Haben Sie irgendwelche besonderen Erinnerungen an die Flèche 1999?
An ein Detail kann ich mich noch genau erinnern: Es war die zweite Halbetappe am Samstag. Morgens hatte ich das Leadertrikot abgeben müssen. Am Nachmittag lag ich im „Buurschter“ mit einem weiteren Fahrer an der Spitze, dessen Schuhe bei jeder Pedalumdrehung irgendwie ‚geklackert‘ haben. Das hat mich richtig genervt, doch auf einmal wurde das Geräusch leiser und ich realisierte, dass der andere mein Tempo nicht mitgehen konnte. Ich legte noch eine Schippe drauf und setzte mich ab. In der Abfahrt hatte ich noch einen Sturz und einen Platten, verlor aber nicht viel Zeit und konnte meinen Vorsprung ins Ziel retten.
Foto: Der damalige Sieger Kim Kirchen im Jahr 2016
Verfolgen Sie die Flèche du Sud heute noch?
In den Jahren nachdem ich meine Karriere beendet habe (Kirchen trat nach einem Herzstillstand bei der Tour de Suisse 2010 zurück, d.Red.) habe ich erst einmal etwas Abstand genommen. In den vergangenen Jahren habe ich die Flèche aber wieder intensiv verfolgt. Es ist sehr interessant, die talentierten Nachwuchsfahrer zu beobachten. Man braucht nur einen Blick in die Siegerliste der Flèche zu werfen. Leider kann ich dieses Jahr nicht an der Strecke sein, da ich für RTL den Giro kommentiere.
Was macht die Flèche aus?
Es ist ein Rennen, in dem junge Fahrer auf sich aufmerksam machen können. Die Flèche du Sud ist ein sehr schweres Rennen und hat aus diesem Grund einen hohen Stellenwert. Teams stehen Schlange, um an der Flèche du Sud teilzunehmen. Das ist bei einer Tour de Luxembourg zum Beispiel nicht der Fall. Die Flèche ist meines Erachtens teilweise sogar schwieriger als die Tour de Luxembourg. Dort lässt man die Fluchtgruppe meist fahren und kontrolliert dann das Renngeschehen. Bei der Flèche ist das anders, da wird von Anfang bis Ende gekämpft.
Was erwarten Sie dieses Jahr von den luxemburgischen Fahrern bei der Flèche?
Dass sie eine aktive Rolle übernehmen. Der Erfolg der Flèche hängt sehr stark von ihnen ab. Sie müssen Verantwortung übernehmen. Es ist ihr Heimrennen und da müssen sie versuchen, das Rennen zu animieren. Auch wenn es mit einer Attacke nicht klappt und man abgehängt wird, ist das kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Bei der Flèche sind viele starke Teams am Start, deren Sportliche Leiter auf einen aufmerksam werden können. Es kann der nächste Karriereschritt sein.
Nach seinem Sieg bei der Flèche du Sud 1999 folgte für Kim Kirchen eine überaus erfolgreiche Profi-Karriere. Ähnliches gelang einigen seiner Nachfolger als Flèche-Sieger. Unter ihnen immerhin drei spätere Tour-de-France-Sieger.
2000 – Giampaolo Cheula (I): Der Italiener kam nach seinem Flèche-Sieg beim Mapei-Quick-Step-Team unter, wurde aber nie einer der ganz Großen. Eine Etappe der Bayern-Rundfahrt, der Sieg bei der Friedensfahrt und beim GP Nobili sind die Höhepunkte einer zehnjährigen Karriere.
2001 – Bradley Wiggins (GB): Sir Bradley Wiggins entwickelte sich zum Aushängeschild des britischen Radsports schlechthin. Am Beginn seiner Karriere stand der Sieg bei der Flèche du Sud. Im Jahr darauf wurde er Profi bei La Francaise des Jeux. Er machte vor allem als Bahnspezialist auf sich aufmerksam, immerhin gewann er vier olympische Goldmedaillen. Hinzu kam noch einmal Gold im Zeitfahren bei Olympia 2012 in London. In die Geschichte geht „Wiggo“ allerdings als erster britischer Tour-Sieger ein. 2012 gewann er das „Maillot jaune“. Allerdings wurde der Brite auch ständig vom Dopingverdacht begleitet.
2002 – Christian Weber (CH): Für den Schweizer war der Flèche-du-Sud-Sieg im Alter von 27 Jahren eher der Ausklang seiner Karriere. Nach 2002 verliert sich seine Spur.
2003 – David Loosli (CH): Auch Loosli fehlen die ganz großen Erfolge, aber der Berner schaffte 2004 den Sprung in den Profi-Zirkus, erst ein Jahr bei Saeco und dann von 2005 bis zu seinem Karriereende 2011 bei Lampre. Heute kommentiert er Radrennen als Experte beim Schweizer Fernsehen.
2004 – Andy Schleck (LUX): Irgendwie schien jeder zu ahnen, was für ein Talent in Andy Schleck steckt. Der Flèche-Sieg im Alter von 19 Jahren war die Offenbarung eines Talents, das sich nur wenige Jahre später mit zweiten Plätzen beim Giro d’Italia, der Tour de France sowie dem nachträglichen Gesamtsieg bei der Tour 2010 und dem Sieg bei Liège-Bastogne-Liège 2009 bestätigte. Wie für viele andere begann das Profi-Abenteuer für Schleck im Jahr nach seinem Flèche-Sieg.
2005 – Wolfram Wiese (D): Der Flèche-Sieg im Alter von 28 Jahren war der größte Erfolg in der Karriere von Wolfram Wiese. 2006 war Wiese schon Zweiter geworden. 2007 beendete der Teamkollege von Laurent Didier bei Regiostrom-Senges seine Radsport-Karriere.
2006 – Geraint Thomas (GB): Der Waliser verblüffte, als er an der Spitze des britischen Nationalteams dem Feld im Langengrund in Rümelingen davonfuhr und sich am Ende den Sieg sicherte. Damals waren sich Organisatoren und Journalisten nicht sicher, ob der damals 20-Jährige nun Geraint Thomas oder doch Thomas Geraint heißen würde. Das Problem hat „G“ mittlerweile nicht mehr – immerhin ist er amtierender Sieger der Tour de France und hat zweimal olympisches Gold in der Mannschaftsverfolgung gewonnen.
2007 – Boris Shpilevsky (RUS): Shpilevsky fuhr bei seinem Sieg schon in einem großen Kontinental-Team, das den Aufstieg in die Pro-Continental-Klasse anstrebte. Der große Karrieresprung blieb aus. 2012 fuhr er eine Saison für die WorldTour-Mannschaft Ag2r La Mondiale und war dort Teamkollege von Ben Gastauer.
2008 – Marcel Wyss (CH): Der Schweizer feierte einen Start-Ziel-Sieg bei der Flèche 2008. 2009 verschlug es ihn zum Cervélo-Test-Team, das sich den Tour-Sieger von 2008, Carlos Sastre, geangelt hatte. Die letzten Jahre seiner Karriere verbrachte Wyss von 2013 bis 2016 bei IAM Cycling.
2009 – Simon Zahner (CH): Schon wieder ein Schweizer – der allerdings im Gegensatz zu seinem Vorgänger schon etwas älter (26) war, als er die Flèche gewann. Der Lohn für den eigentlichen Cross-Spezialisten: ein Vertrag beim BMC-Racing-Team, für das er 2010 und 2011 fuhr. Anschließend konzentrierte er sich wieder auf den Cyclocross, kehrte aber 2013, ’14, ’15 und ’16 zur Flèche du Sud zurück. Um den Gesamtsieg fuhr er da allerdings nicht mehr mit.
2010, 2011 – Lasse Bøchmann (DEN): Der Däne hatte gleich doppelt zugeschlagen und sich im Alter von 25 bzw. 26 Jahren den Gesamtsieg zweimal hintereinander gesichert. Zuvor fuhr er bereits 2008 und 2009 beim Schleck-Team CSC beziehungsweise Saxo Bank. Durchsetzen konnte er sich nicht und ging zurück auf Kontinentalniveau, wo er seine Karriere 2014 beendete.
2012 – Bob Jungels (LUX): Es war das Ziel des damals 19-jährigen Aushängeschildes des neu gegründeten Leopard – Trek Continental Team, die Flèche du Sud zu gewinnen. Das Einzelzeitfahren kam ihm damals entgegen. Im Jahr darauf wechselte Jungels ins Profilager und hat mittlerweile mit Liège-Bastogne-Liège ein Monument gewonnen sowie Top-Ten-Platzierungen beim Giro erzielt, eine Etappe gewonnen und die Nachwuchswertung gleich zweimal für sich entschieden.
2013 – Michael Valgren (DEN): Das dänische WorldTour-Team Saxo-Tinkoff hatte das Nachwuchstalent bereits auf dem Radar. 2014 wurde Valgren dann verpflichtet. Heute macht der 27-Jährige vor allem bei Eintagesrennen auf sich aufmerksam, gewann 2018 unter anderem das Amstel Gold Race und den Omloop Het Nieuwsblad.
2014 – Gaëtan Bille (B): Nach zwei Jahren in der WorldTour bei Lotto Belisol bekam der Belgier seinen Vertrag 2014 nicht verlängert. Er kam beim Kontinental-Team Verandas Willems unter und gewann die Flèche – vor dem Luxemburger Joël Zangerlé. 2015 sah Bille eine Etappe vor Schluss wieder wie der sichere Sieger aus, doch auf der letzten Etappe verlor er das Leadertrikot und wurde Dritter. Ende 2018 hat Bille im Alter von 30 Jahren seine Karriere beendet.
2015 – Victor de la Parte (ESP): Der Spätzünder gewann im Alter von 29 Jahren die Flèche du Sud. 2017 bekam er einen Vertrag beim WorldTour-Team Movistar. Heute bestreitet er für CCC den Giro d’Italia.
2016 – Sergio Sousa (POR): Der Portugiese verabschiedete sich mit dem Sieg bei der Flèche du Sud von seiner aktiven Karriere. Sousa streifte sich im Alter von 32 Jahren das Gelbe Trikot in der Escher Kanalstraße über und feierte den Sieg anschließend mit seinen in Esch lebenden Landsleuten.
2017 – Mark Padun (UKR): Der 20-Jährige gewann die Flèche am grünen Tisch, nachdem der Kroate Matija Kvasina gleich zweimal positiv getestet und wegen Dopings gesperrt wurde. Mittlerweile fährt Padun für das WorldTour-Team Bahrain Merida.
2018 – Gianni Marchand (B): Der Belgier vom Kontinental-Team Cibel gewann die Flèche du Sud mit 27 Jahren. Seine gute Form 2018 bewies er auch mit einem 6. Platz bei der Belgien-Rundfahrt.
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