LIH-Immunologe / „Es wird auf jeden Fall eine Winterwelle kommen“ – Luxemburg muss 60.360 Impfdosen entsorgen
Luxemburg muss dieses Jahr insgesamt 60.360 Impfdosen entsorgen. Das geht aus Angaben des Gesundheitsministeriums hervor. Im gleichen Zusammenhang hat sich das Tageblatt mit dem Immunologen Dirk Brenner vom Luxembourg Institute of Health (LIH) unterhalten. Das Großherzogtum sei noch nicht über den Berg und müsse im Winter mit einer weiteren Welle rechnen.
Luxemburg ist Corona-technisch recht entspannt durch den Sommer gekommen: Die Krankenhäuser waren nur spärlich belegt und die Todeszahlen blieben niedrig. Es war fast so, als sei die Pandemie endlich vorbei. Doch ist dem auch wirklich so oder wiederholt sich das Pandemie-Geschehen von vergangenem Jahr, als Luxemburg ziemlich hart von der Herbst- und Winterwelle überrascht wurde?
„Es wird auf jeden Fall eine Winterwelle kommen“, meint der Immunologe Dirk Brenner im Gespräch mit dem Tageblatt. Er bezweifelt jedoch, dass diese Welle so heftig sein wird wie jene aus dem vergangenen Jahr. Omikron habe viele Infektionen verursacht, wodurch wiederum viele Menschen zusammen mit der Impfung eine Grundimmunität aufgebaut hätten. Somit würden auch vergleichsweise viele Personen mit einer höheren Grundimmunität in den Winter starten.
Das Immunsystem „muss in regelmäßigen Abständen stimuliert werden“, entweder durch eine Impfung oder durch eine natürliche Infektion, sagt Brenner. Aufgrund der unvorhersehbaren Symptomatik der Infektion ist eine Impfung der natürlichen Infektion als Immunisierung aber klar vorzuziehen. Eine Auffrischungsimpfung ist drei Monate nach der letzten Impfung möglich. Brenner empfiehlt, sich vor der bevorstehenden Winterwelle noch einmal „boostern“ zu lassen.
Kosten der weggeworfenen Vakzine
Die Corona-Impfstoffe, die in Luxemburg gespritzt werden, werden über die EU bestellt. Die EU-Kommunikation bezüglich der Kosten der Impfstoffe ist nicht sonderlich ausführlich. Wie die Deutsche Apothekerzeitung (DAZ) im August 2021 berichtete, soll der Preis für eine Impfdosis von Biontech/Pfizer bei 19,50 Euro und der von Moderna bei 21,50 Euro gelegen haben. Das AstraZeneca-Vakzin soll mit nur 1,78 Euro pro Dosis mit Abstand das billigste sein. Der AstraZeneca-Preis stammt aus einer im Dezember 2020 von einer belgischen Politikerin unwillentlich geleakten Tabelle.
Geht man von dem niedrigsten oben genannten Vakzin-Preis aus, landen mit der Vernichtung von 60.360 Luxemburger Dosen mindestens 107.440 Euro in der Tonne. Geht man von dem höchsten Preis aus, jenem, den die DAZ für die Moderna-Impfstoffe angegeben hat, wären es sogar 1.297.740 Euro. Da das Großherzogtum aber einen Mix von unterschiedlichen Impfstoff-Herstellern erhalten hat, müsste die reale Summe irgendwo zwischen den beiden Werten liegen.
Hätte Luxemburg sich tatsächlich an dieser Zeitspanne orientiert, müssten sicherlich nicht so viele abgelaufene Vakzine entsorgt werden. Ganze 60.360 Dosen müssen dieses Jahr vernichtet werden, verrät die „Santé“ auf Nachfrage des Tageblatt. Eine enorme Menge und eine noch größere Summe an weggeworfenen Steuergeldern. Vergangenes Jahr mussten „lediglich“ 1.320 Dosen vernichtet werden. Inzwischen verfügt Luxemburg jedoch wieder über neue, an Omikron angepasste Impfstoffe, teilt die „Santé“ mit – insgesamt 300.388 Stück (Stand 6. Oktober).
Keine zusätzliche Dosis in Sicht
„Aktuell ist nicht bekannt, ob nach einer vierten Dosis noch weitere Impfungen nötig sein werden“, teilt die „Santé“ mit. Vorstellbar sei, dass man beispielsweise in einen Rhythmus von jährlichen Auffrischungsdosen übergehen werde. Konkreteres dazu gibt es jedoch nicht.
Aber: Es ist „definitiv nicht zu spät“, sich jetzt noch für die erwartete Herbst- beziehungsweise Winterwelle impfen zu lassen – ganz im Gegenteil, meint Brenner. Da der Übertragungsschutz nur sehr kurzfristig wirke, ergebe eine Impfung gerade zu Beginn einer Welle Sinn. Das Zeitfenster ist offen. Pläne für eine vierte Impfdosis für Personen unter 60 Jahren und eine fünfte Dosis für Gefährdete und Menschen ab 60 gebe es derzeit noch nicht, teilt die „Santé“ mit. Der „Conseil supérieur des maladies infectieuses“ (CSMI) habe diesbezüglich noch keine Empfehlung ausgesprochen.
Daneben begleitet die Angst vor möglichen Nebenwirkungen durch die Impfstoffe viele Menschen. Dem erwidert Brenner jedoch, dass die Corona-Impfstoffe die am besten kontrollierten Impfstoffe überhaupt seien. Nebenwirkungen würden sehr gut kontrolliert und dokumentiert. „Nebenwirkungen treten immer unmittelbar, das heißt akut auf, als Reaktion des Immunsystems auf den verabreichten Impfstoff – nicht langfristig“, erklärt der Experte. „Bei sehr seltenen Nebenwirkungen dauert es allerdings einige Zeit, bis diese als statistisch signifikant dokumentiert werden. Daher entsteht der falsche Eindruck, dass es sich hierbei um langfristige Nebenwirkung handelt. Aufgrund der hohen Zahl der verabreichten Dosen gibt es bei den Corona-Impfstoffen einen sehr guten Überblick über diese seltenen Nebenwirkungen und es sind keine weiteren zu erwarten.“
Wirksamkeit der Impfstoffe
Laut Brenner liegt der Schutz der neuen, an die frühen Omikron-Varianten angepassten Vakzine über jenen der ersten Generation. Mit einer vierten Dosis würden die neuen Impfstoffe die Immunität auf ein Niveau „boosten“, das mit der dritten Dosis nicht erreicht werden konnte.
Das Vision-Netzwerk des Center for Disease Control and Prevention (CDC) schloss jedoch aus seiner neuen Analyse: „Die Schutzwirkung einer Covid-19-Impfung lässt auch nach einem Booster Shot relativ rasch nach“, wie das Deutsche Ärzteblatt am Dienstag, 4. Oktober, berichtete. Die beiden in den USA zugelassenen mRNA-Impfstoffe von Moderna und Pfizer/Biontech hätten in den beiden ersten Monaten nach der zweiten Dosis einen Schutz vor einer Hospitalisierung von insgesamt 73 Prozent geboten – bei der Delta-Variante seien es sogar 96 Prozent. Doch die Schutzwirkung lasse bekanntlich mit der Zeit weiter nach, wodurch weitere Impfungen notwendig wurden.
Vision-Netzwerk
Das Vision-Netzwerk des Center for Disease Control and Prevention (CDC) umfasst 261 Kliniken und 272 Notaufnahmen in den USA. Sämtliche Patienten mit Verdacht auf eine Corona-Infektion werden getestet. Aus dem Anteil der Geimpften unter den Getesteten zieht das CDC Schlüsse zur Wirksamkeit der Impfung.
„Nach sechs bis acht Monaten betrug die Schutzwirkung [der beiden ersten Impfdosen; Anm. der Red.] vor einer Hospitalisierung nur noch 48 Prozent und nach mehr als 14 Monaten gerade einmal 19 Prozent“, schreibt das Ärzteblatt. Die erste Boosterimpfung hätte die Wirksamkeit in den ersten beiden Monaten wieder auf 89 Prozent gesetzt, die allerdings auch wiederum nach vier bis sechs Monaten auf 66 Prozent abgefallen sei. Nach acht Monaten habe die Schutzwirkung vor einer Hospitalisierung nur noch bei 31 Prozent gelegen.
Neue Variante, neue Gefahren?
Aktuell dominiert noch die Omikron-BA.5-Variante in Luxemburg, doch Omikron ist laut Brenner nicht das Ende der Coronavirus-Entwicklung: Es bestehe „keine Frage, dass sich auch neue Varianten entwickeln werden“. Allerdings sei es „relativ unwahrscheinlich“, dass sich eine gefährlichere Variante langfristig durchsetzen werde. Es sei aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass zumindest kurzfristig eine schwerwiegendere Virusvariante auftreten könne, so Brenner.
Covid-19 werde sich laut dem Immunologen langfristig zu einer Art saisonalem Virus hin entwickeln. Ein genaues Zeitfenster dafür könne er jedoch nicht bestimmen. Es gebe immer eine Wechselwirkung zwischen Immunität und Virusevolution. Mit der Zeit werde das menschliche Immunsystem besser gegen das Virus gewappnet sein, wodurch es auch zu milderen Krankheitsverläufen komme.
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