Esch2022 / Escher Gastronomen und Geschäftsleute hatten sich mehr erwartet
Am Donnerstag steht der Schlussakt für Esch2022 auf dem Programm, die Zeit der Bilanzen bricht an. Während die Verantwortlichen einen großen Erfolg ausrufen, sprechen viele Bürger von einem Kulturjahr, das komplett an ihnen vorbeigegangen sei. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich in der Mitte. Die Escher Geschäftswelt und vor allem die Gastronomen im Stadtkern zeigen sich aber ziemlich enttäuscht.
Auf dem Brillplatz ist am Dienstagmorgen nicht viel los. Dies, obwohl der Wochenmarkt gerade hier Station macht. Drei Händler sind gekommen. Nach Kulturhauptstadt sieht es hier nicht aus, auch wenn der E22-Pavillon und die Werbetafel eines E22-Sponsors nicht weit sind. Laurent Sguerra steht in der Küche. Sein Restaurant „Mise en Scène“ ist vor allem in der Mittagsstunde sehr gut besucht. Von Esch2022 erhoffte sich Sguerra auch am Abend mehr Kundschaft. „Nur bei der Eröffnungsfeier konnten wir einen echten Impakt spüren“, sagt er, „der Rest des Jahres war wie immer. Gewundert hat mich das allerdings nicht, denn niemand wusste so richtig, was los war, es gab keine Programme. Für mich war das Kulturjahr eine organisatorische Katastrophe.“ Auch bei den „Nuits de la Culture“ sei nicht mehr in seinem Restaurant los gewesen als sonst.
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Gastronomie
Von den Kulturnächten berichtet auch Peppino Carpini aus dem „Ristorante-Pizzeria Carpini“ in der rue d’Audun. „Ja, wir konnten schon von ihnen profitieren, weil die Beteiligten, wie die Artisten, zu uns zum Essen kamen. Das waren dann zum Teil große Gruppen.“ Ansonsten aber hätte er sich mehr von Esch2022 erwartet: „Ich hatte auf einen echten Impakt gehofft, aber der war bescheiden und beschränkt sich im Grunde genommen auf die Eröffnungsfeier“, so Peppino Carpini. Auf 50 bis 60 Kulturtouristen schätzt er die Bilanz seines Restaurants. Zusammengezählt von Februar bis Dezember, wohlgemerkt.
Im „La Storia“ am anderen Ende des Zentrums in Al Esch zieht man eine positivere Bilanz: „Ja, wir hatten in diesem Jahr mehr Kunden“, sagt Antonio Raimondo. Vor allem die Eröffnung, der Abend des Konzerts von Boy George und die Wochenenden seien gut gelaufen. Unterhalb der Woche allerdings sei es ruhig gewesen, so Raimondo. Gabriella Biagioni von „Pizza Enzo“ aus der Alzettestraße berichtet Ähnliches. Vor allem im Juni und Juli sei viel los gewesen, doch dann war es plötzlich vorbei. Am Eröffnungstag seien sehr viele Leute da gewesen, nur dass man nicht darauf vorbereitet war, weil niemand genau wusste, was lief. „Ich finde es in diesem Zusammenhang auch traurig, dass der Abschluss nicht im Zentrum stattfindet. Im Großen und Ganzen ist Esch2022 an der Alzettestraße vorbeigegangen. Schade“.
Diese Aussage bestätigt Sergio Lemos, Inhaber des „Café Casablanca“. „Ja, wir hatten am Tag der Eröffnung ein volles Haus und auch beim Boy-George-Konzert, doch am Tag darauf war schon nichts mehr da“, blickt Lemos zurück. „Wir hatten uns das anders vorgestellt. Es waren nicht genügend Events im Stadtzentrum. Für mich war das eher Belval2022 als Esch2022. Und die Kommunikation war katastrophal. Kein Mensch wusste, wo was los war. Man musste danach suchen.“
Geschäftswelt
Diese Kritik teilt Sacha Mariacher. Er ist Inhaber von „Hanf – der etwas andere Bioladen“ gegenüber dem „Casablanca“. Mariacher war einer der Interviewpartner des britischen Journalisten, der im Frühjahr im Telegraph von der langweiligsten Kulturhauptstadt der EU berichtete. „Ja, es war wenig los“, sagt Mariacher, „2022 wird jedenfalls das schlechteste Jahr, seit ich hier vor dreieinhalb Jahren eröffnet habe.“ Dabei wollte er mit einer Terrasse das Geschäft ankurbeln, hatte für einige Wochenenden einen DJ engagiert. An der Alzettestraße sei das Kulturjahr jedenfalls vorbeigelaufen, da ist Mariacher formell. Und an vielen Menschen ebenfalls, davon ist er überzeugt: „Ich glaube, ich hatte insgesamt drei der E22-Programmhefte zu Hause in meinem Briefkasten, mehr nicht.“
Nebenan im „WeltButtek“ berichtet man, dass einige englischsprachige Studenten den Weg ins Geschäft gefunden hätten, ansonsten habe man einige Gruppen durch die Alzettestraße gehen sehen. „Natürlich haben wir unsere Stammkundschaft hier und Touristen gehen im Ausland nicht unbedingt in einen ‚WeltButtek‘, denn die gibt es ein bisschen überall“, sagt Marie-Rose Thoma. Sie und ihre Kollegin Marcelle Ludwig bemängeln, dass nicht überall verstärkt Informationsmaterial über Esch2022 gelegen habe. Nicht in Esch, aber auch nicht im Touristenbüro in Luxemburg-Stadt zum Beispiel.
Dabei sollte die Geschäftswelt im Escher Zentrum vom Kulturjahr profitieren. Im Oktober 2021 war E22-Generaldirektorin Nancy Braun mit ihrer Marketing-Managerin Shamiran Abdullah in die Generalversammlung des Escher Geschäftsverbands gekommen, um die Zusammenarbeit unter dem Motto „Culture meets Shopping Tours“ vorzustellen. Ein kostenloses Toolkit sollte Geschäften, Restaurants, Cafés und Betrieben zur Verfügung gestellt werden. Zudem sollte eine Art Touristenpass eingeführt werden. Als „fantastische Gelegenheit, sich zu präsentieren“, hatte ACAIE-Präsident Nicolas Kremer damals das Kulturjahr bezeichnet. Heute ist beim Besitzer der „Bijouterie Hirsch-Glesener“ eher Ernüchterung eingekehrt. „Ich muss leider sagen, dass das Kulturjahr keine Auswirkungen auf die Escher Geschäftswelt hatte. Es sollten Shoppingtouren und ‚Nocturnes‘ organisiert werden, was aber nicht geschah. Natürlich war nicht alles negativ. Aber es ist nun mal so, dass die Menschen, die z.B. auf dem Skulpturenweg unterwegs waren, den Weg in die Geschäfte nicht gefunden haben“, so Kremer.
Hotellerie
Dass Esch2022 vor allem einen Einfluss auf den Horeca-Sektor haben würde, das war vorher bekannt, sagt Serge Rihm, Besitzer des „Acacia“ in der rue de la Libération. Er hatte sein Restaurant im letzten Jahr geschlossen, den Hotelbetrieb aber aufrechterhalten. „Man muss bedenken, dass die Kulturhauptstadt nicht nur in Esch, sondern im ganzen Süden und der Grenzregion stattgefunden hat“, so Rihm. Die Bilanz seines Hotels sei ganz positiv. Gleiches sagt auch Cristina Justino aus dem „Hotel Topaz“. Während bei ihr vor allem Crewmitglieder unterkamen, seien im „Acacia“ neben den Künstlern auch viele Touristen gewesen, so Rihm: „Ich erinnere mich an das Feedback zweier Damen aus Dresden. Sie waren sehr zufrieden, haben sich aber gewundert, weshalb das Kulturjahr in den Straßen nicht präsenter war.“ „Im Großen und Ganzen muss ich sagen, dass eine Veranstaltung wie Esch2022 eine Stadt belebt, genauso wie eine Ankunft einer Tour-de-France-Etappe zum Beispiel“, so der Mitorganisator der Flèche du Sud. Voll besetzt war meistens auch die Jugendherberge mit ihren 122 Betten. „Wir sind aber eh fast immer so gut wie ausgebucht. Der Unterschied aber war, dass wir 2022 mehr Familien und ausländische Gruppen hatten“, so Janine Oberto.
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Eine Nullnummer…war nicht anders zu erwarten.
Außer ein paar Stelzen nix gewesen.
Wenn „Kultur“ an den Einnahmen der Geschäftsleute gemessen wird, sagt ja wohl genug!
Esch2022, der Beweis, dass Dilettantismus mit Versagen Hand in Hand geht …
Kulturell für die meisten Künstler und Kulturschaffenden in Luxemburg eine Nullnummer. Eine Steigerung des Bekanntheitsgrades oder eine Stärkung der luxemburgischen Kulturszene wird wohl kaum messbar sein. Esch selber, als Stadt im Süden Luxemburgs, dürfte auch heute vielen Menschen im Ausland genauso unbekannt sein wie vor des Jahres als Kulturhauptstadt in Europa.
Mit ausländischen Acts eine nationale Kulturaktion befördern zu wollen, ist in etwa so sinnvoll wie mit einer Luxemburg streifende Tour-de-France-Etappe dem luxemburgischen Radsport international zu hohem Ansehen verschaffen zu wollen. Selbstverständlich sind internationale Künstler von Weltrang, die in Luxemburg auftreten, eine Bereicherung. Damit kann Luxemburg sich in der Tat als unumgänglicher Kulturstandort für die internationale Kunst- und Kulturszene schmücken. Aber das ist ein völlig anderes Unterfangen und hat mit dem Status Kulturhauptstadt nicht mal peripher zu tun.
Die Diskussionen, eher die Dispute – im wahrsten Sinne des Wortes – werden wohl bald hochkochen. Organisatorisch unterirdische Performance wird den Investitionen entgegengestellt werden. Und recht bald wird die Frage auftauchen, wer denn der oder die Profiteur(e) von Esch2022 waren, respektiv sind. Diese Dispute dürften auch vermutlich in Schlammschlachten ausarten.
Machen wir uns nichts vor: Esch2022 war das völlige Verpassen einer einmaligen Gelegenheit, den Süden des Landes nicht bloß international zu präsentieren, sondern nachhaltige Strukturen zu schaffen, zum Nutzen aller Bürger, ob kulturschaffend oder nicht. Es wird nichts bleiben von Esch2022, außer maßlose Enttäuschung.
Epic failure – mit diesem international bekannten Begriff wird sich Esch (und alle Orte, die daran beteiligt waren) immerhin identifizieren dürfen. Auch eine Leistung …
Niemand, ausser allen hat das kommen sehen.