Bürgerbeteiligung / Escher sollen über Zukunft der Stadt mitentscheiden: Bürgerrat wird per Los zusammengestellt
Esch will mehr Bürgerbeteiligung wagen. 2025 soll ein Bürgerrat entstehen, der in Zukunftsfragen der Stadt mitredet. Unter 25 Kandidaten wurde Esch gemeinsam mit Vilnius (Litauen), Kerewan (Gambia) und vielleicht auch Seattle (USA) ausgewählt, um am kommenden DemocracyNext-Projekt teilzunehmen.
DemocracyNext ist eine globale NGO und Plattform, die sich zum Ziel setzt, mit Bürgerbeteiligung gegen Populismus und Desinformation vorzugehen. Indem die Menschen in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden, soll zudem die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung abgemildert werden. Mitreden und -entscheiden soll die Bürgerversammlung, die per Losverfahren zusammengesetzt wird und die den demografischen Gegebenheiten Rechnung trägt. In anderen Worten: Sie soll repräsentativ für die Zusammensetzung der Einwohnerschaft der Stadt sein. Eine Repräsentativität, die in den Gemeinde- und Schöffenräten des Landes nicht zu finden ist.
Auch nicht in Esch, wo sich beispielsweise der Schöffenrat ausschließlich aus Männern zusammensetzt. Vor drei Wochen waren die DemocracyNext-Mitarbeiter drei Tage in der Stadt, um Gespräche zu führen. Dabei arbeitet man eng mit dem Lehrstuhl „Cultures of Assembly“ der Universität Luxemburg, der die Stadterneuerung von Esch vorantreiben soll, zusammen. Professor Markus Miessen und sein Team hatten seit Anfang 2023 daran gearbeitet, das Projekt nach Esch zu bringen.
„Stehen erst am Anfang“
„Wir stehen erst am Anfang des Projekts“, sagte Bürgermeister Christian Weis (CSV) in der Gemeinderatssitzung vom 5. Juli, „die spannendsten Punkte kommen noch“. In der Tat, denn es geht jetzt darum, eine Bürgerversammlung zusammenzustellen. Die soll in Zukunft Dossiers des Gemeinde- und Schöffenrats erhalten, sie begutachten und bewerten. Und so in den politischen Entscheidungsprozess bei größeren Projekten und Vorhaben eingebunden werden. „Involving citizens in the future of Esch-sur-Alzette“ („Die Bürger an der Zukunft von Esch beteiligen“), ist das Projekt überschrieben.
Der Prozess zur Schaffung der Bürgerversammlung begann Anfang Juli und soll im Dezember 2025 abgeschlossen sein. Zunächst soll ein großer Teil der Bewohner nach dem Zufallsprinzip angeschrieben werden, um sie zur Bürgerversammlung einzuladen. Aus denjenigen, die die Einladung angenommen haben, wird das Los die Versammlung zusammenstellen, wobei auf Repräsentativität geachtet wird. Denn die Bürgerversammlung soll dem Querschnitt der Bevölkerung der Stadt entsprechen. In wichtigen Zukunftsfragen soll sie nach gründlicher Beratung zunächst für sich Einigung finden, was erfahrungsgemäß meist mit einer Zustimmung von 70 bis 80% der Mitglieder geschieht.
Erfahrungswerte gibt es bereits. In Frankreich hat sich die „Convention citoyenne“ Anfang 2023 für die aktive Sterbehilfe ausgesprochen. In Irland wäre es ohne Bürgerrat nicht zur Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe gekommen. In Kolumbiens Hauptstadt Bogota startete die Bürgerversammlung 2020 mit 110 ausgelosten Mitgliedern, heute gehören ihr 70 Einwohner an. Auch im deutschsprachigen Teil Belgiens sammelt DemocracyNext seit 2019 Erfahrung mit der Bürgerbeteiligung.
Politiker haben letztes Wort
Nun ist Esch an der Reihe, wobei es nicht so ist, dass die Entscheidungen der Bürgerversammlung prinzipiell für die politisch Verantwortlichen bindend wären. Mitbestimmungsrecht heißt nämlich nicht, dass die Entscheidung gänzlich in den Händen der Bevölkerung liegt. Allerdings braucht es schon sehr gute Argumente, sie zu ignorieren. Auf der anderen Seite können schwierige politische Entscheidungen durch die Beteiligung der Bürger legitimiert werden und somit mithelfen, das Vertrauen in die Politik zu steigern.
„Das Einzigartige an dem Projekt ist, dass nicht nur ‚Citizen Assemblies’ vorbereitet und durchgeführt werden, sondern dass parallel eine lokale Kompetenz aufgebaut wird, diese auch in der Zukunft weiterzuführen. Dazu nehmen Vertreter der Städte ein halbes Jahr lang an wöchentlichen Seminaren teil“, fasst Uni-Professor Markus Miessen zusammen. „Ich bin sehr glücklich, dass wir es geschafft haben, DemocracyNext ins Minett zu holen und gleichzeitig Regierung und Opposition davon zu überzeugen, dass diese Zusammenarbeit für die Zukunft der Stadt und Region von enormer Wichtigkeit ist.“
- Neue Spielplätze sind nicht öffentlich zugänglich – Fragen zu Auslandsreisen und frEsch - 10. Januar 2025.
- Einstweilen nicht weit her mit der neuen Transparenz in Esch - 10. Januar 2025.
- Parkplatzsperrung erregt Gemüter im Bruch-Viertel, Gemeinde beschwichtigt - 9. Januar 2025.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos