Chafea / EU-Agentur: „Noch keine definitive Entscheidung“
Das Tauziehen um die EU-Agentur für Verbraucher, Gesundheit, Landwirtschaft und Lebensmittel (Chafea) geht weiter. Im Gespräch mit betroffenen Mitarbeitern und Gewerkschaftlern klingt die Auflösung des EU-Instituts nach beschlossener Sache – und zwar zum 1. Januar 2021. Das ist in zwei Monaten. Das luxemburgische Außenministerium sieht das anders. Das Tageblatt hat nachgehakt.
Die Vorgänge rund um die in Luxemburg ansässige EU-Agentur Verbraucher, Gesundheit, Landwirtschaft und Lebensmittel (Chafea) sind hochsensibles Terrain. In einem Brief erfahren die rund 80 Mitarbeiter der seit 15 Jahren in Luxemburg ansässigen Agentur Anfang Oktober, dass sie auf andere Agenturen in Brüssel aufgeteilt werden. Absender ist die Abteilung für Personalwesen der Europäischen Kommission (siehe Tageblatt vom 17. Oktober 2020).
Für die, die nicht mitgehen wollen, endet der Arbeitsvertrag zum 31. Dezember mit einer zweimonatigen Auflösungsfrist, das heißt: Ab dem 1. März spätestens sind sie arbeitslos. Der Brief liegt der Redaktion vor. Im luxemburgischen Außenministerium klingt es nicht danach. Von dort heißt es auf unser Nachfragen: „Die definitive Entscheidung über die Zukunft der Exekutivagentur Chafea ist noch nicht gefallen.“ Das teilt der Pressesprecher von Außenminister Jean Asselborn (LSAP) Dejvid Adrovic schriftlich mit.
Die Regierung setze sich auch vor dem Hintergrund der Covid-Pandemie und eines deutlich erhöhten EU-Haushalts für Gesundheit gegen einen Abzug von Chafea und für eine Verstärkung der Agentur in Luxemburg ein, heißt es von dort weiter. Die Chafea ist für die Umsetzung von Förderprogrammen in allen EU-Staaten im Bereich Gesundheit zuständig. Der Etat dafür wurde im Zuge der Pandemie erheblich aufgestockt.
Keine Rücksprache mit der luxemburgischen Regierung
Gleichzeitig bestätigt das Ministerium, „dass die Europäische Kommission keine Rücksprache mit der (luxemburgischen) Regierung gehalten hat, was die Absicht der Kommission betrifft, die Aktivitäten der Chafea nach Brüssel zu verlegen“. Die Behörde verweist dabei auf zwei parlamentarische Anfragen zum Thema, die sie in diesem Sinn beantwortet hat. Der CSV-Abgeordnete Léon Gloden wollte im Mai 2020 wissen, ob die Regierung informiert war.
Die Existenz der EU-Institutionen in Luxemburg ist eine Staatsangelegenheit. Das Land ist nach Brüssel der zweitwichtigste Sitz und rund 14.000 Menschen arbeiten derzeit im Dienst von Europa. Das sind mehr Mitarbeiter als je zuvor, wie das Außenministerium mitteilt. Deshalb habe man beim für Haushalt und Verwaltung zuständigen EU-Kommissar Johannes Hahn (ÖVP, Österreich) nach Bekanntwerden dieser Pläne interveniert.
„Die Regierung vertrat, und vertritt weiterhin, die Position, dass es Sinn macht, auch vor dem Hintergrund eines deutlich erhöhten EU-Haushalts für Gesundheit im Zuge der Covid-Pandemie, die Agentur in Luxemburg zu verstärken, wo sie von der Nähe zu den zuständigen Direktionen der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (DG Sante) sowie anderen Synergiemöglichkeiten profitieren kann, anstatt die Aufgaben der Chafea auf mehrere Exekutivagenturen in Brüssel aufzuteilen“, heißt es aus dem Außenministerium.
Das Thema in Brüssel zur Sprache gebracht
Das Thema ist offensichtlich auch bei Premier Xavier Bettel (DP) angekommen. Denn: „Premierminister Bettel und Außenminister Asselborn haben diesen Standpunkt diese Woche im Rahmen eines Treffens mit Kommissar Hahn in Luxemburg noch einmal bestätigt“, heißt es in der Antwort auf unsere Anfrage weiter. Das war am 27. Oktober, wie aus der parlamentarischen Anfrage des Abgeordneten Mars di Bartolomeo (LSAP) hervorgeht, die am 29. Oktober vom Außenministerium beantwortet wurde.
In der Antwort auf die Anfrage von Di Bartolomeo teilt das Außenministerium weiter mit, dass der Kommissar am 27. Oktober erneut die Zusage bekräftigt hat, die „Verpflichtungen aus dem Asselborn-Georgieva-Abkommen (….), wo es um die Präsenz der Dienststellen der Europäischen Kommission in Luxemburg geht, insbesondere in Finanz-, Rechts- und Digitalzentren, einzuhalten“. Zur Chafea selbst gibt es in der Antwort keine Aussagen.
Panikmache, wie die Befürchtungen, Luxemburg verliere an Attraktivität als Sitz von EU-Institutionen, teilt das Außenministerium nicht. Im Gegenteil: Es verweist auf die Ansiedelung der Europäischen Staatsanwaltschaft und des „Gemeinsamen Unternehmens für Europäisches Hochleistungsrechnen“ (EuroHPC). Hinzu kommt: Luxemburg will sich offensichtlich als Standort um das neue EU-Kompetenzzentrum für Cybersicherheit bewerben, teilt das Ministerium mit.
Gleichzeitig verhehlt die Behörde nicht, dass es Rekrutierungsprobleme gibt. „Herausforderungen, die teilweise auch bedingt sind durch die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in Luxemburg und in Brüssel“, teilt das Ministerium auf unsere Nachfrage mit. Deshalb habe die Regierung die Europäische Kommission dazu aufgerufen, sich Gedanken über Lösungen zu machen, einschließlich der möglichen Einführung eines Berichtigungskoeffizienten für Luxemburg, teilt das Ministerium auf unsere Nachfrage mit. Das heißt: Luxemburg bemüht sich um Zuschläge zum Gehalt für EU-Mitarbeiter, die sich dafür entscheiden, im Land zu arbeiten. Das ist eine Forderung, für die die Gewerkschaft der EU-Beamten in Luxemburg, die „Union syndicale Luxembourg“ (USL), schon länger kämpft.
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@ Tageblatt
„durch die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in Luxemburg und in Brüssel“
Wenn man sowas in den Raum wirft, braucht es Erklärungen dazu, denn es ging schon immer das Gerücht, EU-Funktionäre würden sehr gut verdienen. Ist das also nur ein Gerücht?