Debatte / EU besorgt über Orbáns Einreiseerleichterungen für Russen
Während die EU die Einreisen für Russen angesichts der wachsenden Spionage- und Sabotage-Vorfälle immer weiter begrenzt, hat Ungarn Erleichterungen für Russen eingeführt, die in die EU wollen. Kommission und Parlament empfinden das als Provokation und beraten weitere Schritte gegen Budapest.
„Es reicht“, lautet eine der häufigsten Bemerkungen in jener zweistündigen Debatte des Europaparlaments über die jüngsten Entscheidungen der ungarischen Regierung, die in Brüssel und Straßburg als pure Provokation angesehen werden. Da hat die EU nach dem großangelegten russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sämtliche Visaerleichterungen für russische Staatsbürger ausgesetzt, um auf die vielen Berichte über russische Sabotage und Spionage in Europa zu reagieren – und was macht Putin-Freund Orbán? Er öffnet Russen eine besondere Zugangsmöglichkeit, indem er die neu eingeführte Ungarn-Karte zur erleichterten Einreise auch auf Staatsbürger aus Russland und Weißrussland ausweitet. Ausdrücklich bedankt sich für die EU-Kommission Kommissarin Stella Kyriakides beim Parlament, das Thema auf die Tagesordnung gesetzt zu haben, denn „Russland ist eine Bedrohung für Europa“.
Anfang des Jahres habe Budapest die Karte zunächst nur für Ukrainer und Serben eingeführt, im Sommer dann auch auf Einreisewillige aus Bosnien, Moldawien, Montenegro, Nordmazedonien, Russland und Belarus ausgeweitet. „Sechs Kandidatenländer und zwei Staaten, die der Europäischen Union feindlich gesinnt sind“, fasst Kyriakides zusammen. Umgehend habe Innenkommissarin Ylva Johansson Budapest um eine Erklärung gebeten, nach drei Wochen eine Antwort erhalten, die auf die entscheidenden Fragen jedoch nicht eingegangen sei: Warum gibt es trotz erhöhter Risiken keine zusätzlichen Kontrollen? Nach einem direkten Gespräch mit Ungarns Innenminister Sándor Pintér erwartet die Kommissarin nun eine weitere schriftliche Stellungnahme.
In Straßburg betont Ungarns Europaminister János Bóka eingangs der Debatte „das Recht jedes Mitgliedslandes, bei der Einreise technische Erleichterungen vorzunehmen, ohne damit die europäischen Verträge zu verletzen“. Und er versichert: „Alle Kontrollen des Schengenraums werden weiterhin durchgeführt.“ Der ungarische Abgeordnete Andras Lászlo von Orbáns Fidesz-Partei hebt hervor, dass es im Juli und August nur jeweils fünf Einreisen von russischen Staatsbürgern über das neue Verfahren gegeben habe, während sich weiterhin 711.035 Russen in der EU aufhielten, fast 260.000 davon allein in Deutschland. Der rechtsextreme Abgeordnete Tomasz Froelich stellt sich an die Seite Ungarns und wiederholt den von ungarischen Politikern erhobenen Vorwurf der „Heuchelei“. Nicht in Budapest explodierten Bomben von Terroristen, nicht in Budapest würden Frauen in Gruppen vergewaltigt, nicht in Budapest werde das Kalifat ausgerufen – „sehr wohl aber in Deutschland“, erklärt Froelich.
Tineke Strik von den niederländischen Grünen verweist darauf, dass Orbán nahezu zeitgleich Russen in seinem Land herzlich willkommen heiße, während er Ukrainern, die aus Regionen ohne aktuelle Kämpfe stammten, das Wohnrecht in Ungarn entzogen habe, obwohl sie in der gesamten EU einen Schutzstatus hätten. „Wie existenziell muss denn eine Gefahr werden, bis wir sagen: Jetzt reicht’s?“, fragt Strik. Auch die deutsche Sozialdemokratin Birgit Sippel verlangt eine Prüfung, „wie lange wir diesem Treiben noch zusehen wollen“.
„Das Trojanische Pferd Putins“
Fabienne Keller von den französischen Liberalen fordert die anderen EU-Institutionen auf, die Mitgliedschaft Ungarns im Schengenraum auszusetzen. Der schwedische Linke Jonas Sjöstedt sieht Ungarns Vorgehen als „weiteren Beweis, dass Ungarn den Ratsvorsitz gar nicht hätte erhalten dürfen“. Das Land erfülle „nicht mehr die Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie“ und Orbán sei „immer mehr das Trojanische Pferd Putins“. Der ungarische Regierungschef werde „möglicherweise zum größten Schleuser der EU“, mutmaßt der liberale Europaabgeordnete Jan-Christoph Oetjen und sieht die Gefahr, dass Ungarn das Vertrauen in den Schengenraum von innen zerstöre.
Daraufhin verweist der Grünen-Europapolitiker Daniel Freund darauf, dass Ungarn nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes wegen erheblicher Verstöße gegen das europäische Migrationsrecht eine Strafe von 200 Millionen Euro schulde, die sich pro Tag der Nichtzahlung um eine weitere Million erhöhe – jetzt bereits 93 Millionen. Die EU müsse über ein Artikel-7-Verfahren Ungarn das Vetorecht im Rat entziehen und nicht nur einen Teil der EU-Gelder für Budapest einfrieren, sondern „alle“ – „bis das EU-Recht wieder gilt in Ungarn“.
Die EU-Kommission verkündet ein Ultimatum: Wenn Ungarn die Strafe nicht innerhalb der nächsten 45 Tage zahle, werde die EU die laufenden Zahlungen von EU-Geldern an Ungarn um diesen Betrag kürzen. Aus Budapest folgen zuversichtliche Reaktionen, den Streit bald in Verhandlungen beilegen zu können. Schließlich erwarte die EU, dass Ungarn den Weg freimache, die von einem Veto betroffenen EU-Hilfszahlungen für die Ukraine endlich auszahlen zu können.
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