Landwirtschaft / EU soll Trend weg vom Fleisch fördern
Mit einem siebenmonatigen Dialog einer breiten Bandbreite von Agrarexperten hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die aufgeheizte Stimmung unter Europas Landwirten abzukühlen versucht. Die nun vorgelegten Vorschläge für eine Vision der EU-Agrarpolitik enthalten bemerkenswerte Details.
„Jetzt“ sei die Zeit, den Umbau der EU-Agrarpolitik in Angriff zu nehmen. Hinter dieser Forderung haben sich 29 Experten einstimmig versammeln können, obwohl sie bislang vor allem gegeneinander Politik zu machen versuchten. Landwirte und Naturschützer, Tierwohlengagierte und Verbraucherschützer – sie alle tragen nun ein 110-Seiten-Konzept mit, aus dem heraus die neue EU-Kommission in den ersten hundert Tagen der neuen Amtszeit eine Vision der künftigen EU-Agrarpolitik entwickeln soll. Notleidende Bauern sollen besser unterstützt, Lebensmittel klimafreundlicher produziert, die Wiederherstellung von Natur mit mehr Geld gefördert und die gesunde Ernährung gestärkt werden.
Sieben Monate hatten die Teilnehmer des von Ursula von der Leyen nach den Bauernprotesten initiierten „Strategischen Dialogs“ in über hundert Sitzungen das breite Feld der Probleme und Herausforderungen des Agrarsektors durchpflügt und sich dabei nach den Beobachtungen der Kommissionspräsidentin immer mehr aufeinander zubewegt. Ein „steiniger Weg“ sei das gewesen, berichtete der Chef des Dialogs, der deutsche Agrarwissenschaftler Peter Strohschneider. Aber am Ende sei ein „ganzheitlicher und gesellschaftlicher Ansatz“ dabei herausgekommen, der es der EU ermögliche, auf diesem Feld umwelt-, klima-, wirtschafts- und sozialpolitische Ziele zu verwirklichen.
Empfehlungen dürften für Diskussionen sorgen
Das Konzept verzichtet weitgehend auf Zahlen-Vorgaben, was vermutlich die Konsensfindung erleichterte. Denn derzeit verschlingt die EU-Agrarpolitik fast jeden dritten Euro des Brüsseler Haushaltes. Die Verhandlungen über die Ausgestaltung des neuen Finanzierungszeitraums laufen. Sie werden geprägt von der Auseinandersetzung darum, ob mehr die Fläche oder der Beitrag zur klimafreundlichen Nutzung gefördert werden soll. Angesichts der riesigen Getreidefelder in der Ukraine würde ein Beitritt des Landes zur EU die derzeitige EU-Agrarförderung kollabieren lassen. Nach einer Vielzahl neuer EU-Reglementierungen für die Landwirtschaft hatte es zum Teil gewalttätige Bauernproteste gegeben.
Bei der Entgegennahme des Berichtes unterstrich von der Leyen an diesem Mittwoch, dass für den Kontinent kaum ein Sektor so wichtig sei wie die Landwirtschaft. Sie bekräftigte die Entscheidung, die systematische Kontrolle von Betrieben unter zehn Hektar aufzugeben und stattdessen den Angaben der Bauern schlicht zu vertrauen. Das sei „relevant für 65 Prozent der Landwirte“, auch wenn der davon betroffene Anteil lediglich zehn Prozent der gesamten Fläche ausmache. Großbetriebe müssten „natürlich weiter kontrolliert werden“.
Einige Empfehlungen der Dialogteilnehmer dürften noch für Gesprächsstoff sorgen, wie etwa der indirekte Ratschlag, weniger Fleisch zu essen. Im Zusammenhang mit dem Ziel, „bessere Ernährungsumgebungen“ zu schaffen, beobachtete der Dialog „einen Trend in der EU hin zu einem sinkenden Verbrauch bestimmter tierischer Erzeugnisse und gleichzeitig ein steigendes Interesse an pflanzlichen Proteinen“. Daraus entwickelt wird die Forderung: „Um in einem nachhaltigen gesamtgesellschaftlichen Ansatz ein Gleichgewicht des Konsums von tierischem und pflanzlichem Eiweiß zu erreichen, muss dieser Trend unbedingt unterstützt werden, indem pflanzliche Optionen vermehrt angeboten und die Verbraucherinnen und Verbraucher bei diesem Wandel gefördert werden.“ Im weiteren Verlauf des Konzeptes folgt die Empfehlung: „Die Europäische Kommission sollte bis 2026 einen EU-Aktionsplan für pflanzliche Lebensmittel entwickeln, um die pflanzlichen Agrarlebensmittelketten vom Landwirt bis zum Verbraucher zu stärken.“
Während Strohschneider hervorhob, den Fleischkonsum „keinesfalls stigmatisieren“ zu wollen, kritisierte der deutsche Landwirt und CSU-Europaabgeordnete Stefan Köhler eine „gezielte Unterstützung der Veränderung der Essgewohnheiten“. Eine derartige Einmischung solle nicht auf politischer Ebene beschlossen werden, sondern dem Markt überlassen bleiben. Ansonsten überwogen die positiven Einschätzungen des neuen Konsenskonzeptes.
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