Gipfeltreffen / EU-Staaten wollen Energiekrise meistern und Wettbewerbsfähigkeit gegenüber USA stärken
Der Gaspreisdeckel, über den die EU-Staaten bereits seit Wochen streiten, soll kommenden Montag von den EU-Energieministern unter Dach und Fach gebracht werden. Die EU-Kommission wiederum wurde von der gestrigen Gipfelrunde damit beauftragt, eine Antwort auf das US-Subventionsprogramm IRA zu finden.
Nur einen Tag hatten die EU-Staats- und Regierungschefs für ihr letztes Treffen in diesem Jahr veranschlagt, anstatt der sonst üblichen zwei Gipfeltage. Dennoch gab es genügend Diskussionsstoff, weshalb die 27 bis in den späten Abend hinein tagten. Auch wenn gestern keine großen Entscheidungen getroffen wurden, so ebneten die 27 doch den Weg, damit die seit Wochen anhaltenden Diskussionen über die Einführung eines sogenannten Gaspreisdeckels abgeschlossen werden können. So wurden die EU-Energieminister dazu aufgefordert, bei ihrer Ratstagung am kommenden Montag ihre Arbeiten über einen „Marktkorrekturmechanismus“ vorzulegen, mit dem die Bürger und die Wirtschaft vor „exzessiv hohen (Energie-)Preisen“ geschützt werden, wie es in der Schlusserklärung des Gipfels heißt.
Vor Beginn der Ratstagung hatte sich insbesondere der deutsche Kanzler Olaf Scholz zuversichtlich gezeigt, dass eine Lösung gefunden werden könnte. Immerhin war es vor allem Deutschland, das bei der Festlegung auf einen Gaspreisdeckel auf der Bremse stand, während eine Mehrheit der EU-Staaten, allen voran Frankreich, diesen Mechanismus fordern. Er sei „sicher“, dass es zu einer „einvernehmlichen und gemeinsamen Lösung kommen wird“, sagte Olaf Scholz beim Eintreffen im Ratsgebäude, auch wenn noch einiges festgelegt werden müsse. Die EU-Kommission hatte einen Preis von 275 Euro pro Megawattstunde vorgeschlagen, der jedoch mittlerweile selbst von den Märkten unterboten wird. Der Preisdeckel müsste demnach erheblich tiefer angesetzt werden.
Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel erklärte gestern nach der Tagung, dass ein Preiskorridor unter- und oberhalb 200 Euro anvisiert werde. Es sei eine Einigung gefunden worden, dass nächste Woche „basta“ sei, so Bettel weiter. „Wir können nicht noch wochenlang darüber diskutieren.“ Demnach könnte auch eine Entscheidung getroffen werden, mit der nicht jedes EU-Land einverstanden sei.
Zudem sollen die EU-Energieminister ebenfalls die Regelung für den gemeinsamen Einkauf von Gas abschließen. Damit wollen sich die 27 auf die nächste Heizperiode 2023/24 vorbereiten. Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Gasspeicher in Europa in diesem Jahr noch mit russischem Gas gefüllt wurden. Das nun nicht mehr zur Verfügung steht. Die Europäer werden sich vermehrt auf Flüssiggas (LNG) verlegen müssen, womit sie vor allem zu den Verbrauchern in Asien in Konkurrenz treten. Asiatische Länder sind ebenfalls große Abnehmer von LNG aus dem arabischen Raum. Daher setzen die 27 darauf, künftig gemeinsam Gas einzukaufen, womit sie als Großabnehmer mehr Gewicht auf dem internationalen Gasmarkt erhalten. Weiter wollen die EU-Staaten ihre Einsparziele sowie den Füllstand ihrer Gasspeicher im Auge behalten und zeitlich für Notfallpläne für die Zeit 2023/24 sorgen.
Macron will schnelle Antwort auf US-Subventionspaket
Im Vorfeld des Gipfeltreffens wurde viel über eine notwendige europäische Antwort zum US-Subventionspaket IRA (Inflation Reduction Act) diskutiert, mit dem die Regierung in Washington ihre Industrie auf dem Weg hin zu einer grünen Energiewende unterstützen will. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schlug in einem Schreiben an die EU-Staats- und Regierungschefs vor, einen europäischen Solidaritätsfonds aufzulegen, um die europäische Industrie in der anvisierten grünen und digitalen Transition zu unterstützen. Ihren Vorschlag zu dem Fonds, der möglicherweise über die Aufnahme gemeinsamer Schulden finanziert werden sollte, wollte die Kommissionschefin im Sommer vorlegen. Frankreich wolle jedoch bereits Anfang des kommenden Jahres eine Antwort auf den IRA, erklärte der französische Präsident Emmanuel Macron vor der Ratstagung.
Xavier Bettel meinte gestern in Brüssel, dass es nicht angehe, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft mit weiteren Subventionen zu fördern, auch wenn die USA das tun. Es müsste vielmehr die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit insgesamt gestellt werden. Er wolle diese Strategiediskussionen jedoch den Wirtschaftsministern überlassen. Es könne aber nicht sein, dass Industriepolitik über nationale Subventionspolitik betrieben werde und nur Länder dies tun, die es sich leisten können. „Wir brauchen da auch Solidarität“, sagte Xavier Bettel.
Selenskyj fordert moderne Panzer
Die Antworten darauf, wie die EU auf den durch das US-Gesetz IRA ausgeübten Druck auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie reagieren soll, muss nun die EU-Kommission finden. Die 27 beauftragten die EU-Kommissionschefin damit, bis Ende Januar 2023 Vorschläge vorzulegen, wie „alle relevanten nationalen und EU-Instrumente mobilisiert“ werden können, um die Bedingungen für Investitionen in der EU zu verbessern. Einschließlich einer Anpassung administrativer Prozeduren, wie es in der Schlusserklärung des Gipfels heißt.
Zugeschaltet zum Gipfel war auch dieses Mal der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der weitere Unterstützung bei der Luftverteidigung sowie vor allem die Lieferung moderner Panzer forderte. „Es gibt keinen rationalen Grund dafür, warum die Ukraine die jetzt nicht bekommen soll“, sagte Selenskyj vor den 27. Hier steht vor allem Deutschland unter Zugzwang, das sich bislang weigert, Leopard-Panzer an die ukrainische Armee weiterzugeben. Am Rande des Gipfeltreffens konnten sich die EU-Botschafter der Mitgliedstaaten zudem auf ein neuntes Sanktionspaket gegen Russland einigen. Bis Freitagmittag sollen die 27 in einem schriftlichen Verfahren die neuen Strafmaßnahmen verabschiedet haben.
Freuen über diesen EU-Gipfel dürften sich schließlich die Menschen in Bosnien-Herzegowina. Ihnen wurde gestern von den 27 der EU-Kandidatenstatus zuerkannt. Bis es jedoch zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen kommen wird, dürfte noch viel Zeit vergehen. In dem Vielvölkerstaat kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften – Kroaten, Serben und muslimischen Bosniaken.
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