Luxemburg / EU startet Beitrittsverhandlungen mit Ukraine und Moldau
Die EU hat die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und mit Moldau formal begonnen. Noch geht es nicht um konkrete Inhalte, sondern mehr um die psychologische Wirkung. Und um das Überleben beider Länder.
Der Gegensatz könnte an diesem Dienstagmorgen im Luxemburger EU-Ratsgebäude krasser kaum sein. Am Nachmittag werden hier Regierungskonferenzen mit der Ukraine und mit Moldau den Start von Beitrittsverhandlungen mit der EU markieren. Deutschlands Europa-Staatsministerin Anna Lührmann freut sich, dass der „historische Tag“ für den Beginn dieser Verhandlungen „endlich“ gekommen ist. Sie habe sich selbst in der Vorwoche bei Reisen vor Ort davon überzeugen können, dass die Länder bei den nötigen Reformen „enorme Fortschritte gemacht“ hätten. Dagegen hat Ungarns Europaminister János Bóka wenige Minuten vorher an gleicher Stelle gesagt: „Welche Beitrittsverhandlungen?“ Diese würden „nicht wirklich“ beginnen. Es erfolge nur das vorgeschaltete Screening. Es lägen keine Kapitel für die Verhandlung auf dem Tisch, und im übrigen „sind wir noch weit davon entfernt, dass die Ukraine die Beitrittskriterien erfüllt“, unterstreicht der Ungar.
Ausgerechnet das Land, das nach der Meinung der meisten anderen EU-Staaten derzeit selbst nicht die Kriterien für einen Beitritt erfüllen würde, hat in den nächsten sechs Monaten den Hut als EU-Ratspräsidentschaft auf. Budapest hat sich zwar die „Erweiterung der EU“ als ein Schwerpunktthema vorgenommen – versteht darunter jedoch die Absicht, den Beitrittsprozess für die Westbalkanländer zu beschleunigen. Die stecken teilweise bereits seit Jahrzehnten in der EU-Warteschlange. Das ging bei der Ukraine deutlich schneller. Bereits vier Monate nach dem Antrag auf Mitgliedschaft ernannte die EU das Land zum offiziellen Beitrittskandidaten, 22 Monate danach war die Aufnahme von Verhandlungen darüber schon beschlossen.
Wäre der Beitritt ein Fall von Mehrheitsentscheidungen, könnten die ukrainischen Vertreter optimistischer aus Luxemburg nach Kiew zurückkehren. Aber solch ein Beitrittsprozess unterliegt ständig der Einstimmigkeit. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán hat nach der Freigabe blockierter EU-Mittel für sein Land zwar seine Blockade des Beginns von Gesprächen aufgegeben. Doch bevor es konkret wird, muss Ungarn der Eröffnung jedes einzelnen der 35 Verhandlungskapitel zustimmen – und deren Schließung. Und am Ende muss es auch noch einmal Ja zum Beitritt selbst sagen. Es sind also Dutzende von Klippen eingebaut, die jedes einzelne der 27 EU-Länder nutzen kann, um den Plan einer ukrainischen EU-Mitgliedschaft auflaufen zu lassen.
Als Nicht-Mitglied bereits einbinden
Die hervorstechendste Wirkung ist daher erst einmal psychologischer Natur. „Das ist der Tag, auf den die Ukraine seit Jahrzehnten zustrebt. Und nun wird es Wirklichkeit“, waren die Worte, mit denen der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Vorgang feierte. Die nun konkreter werdende europäische Perspektive ist ein Teil jener Motivation, die es den Ukrainern ermöglicht, der russischen Übermacht seit Februar 2022 standzuhalten – neben der vielfältigen militärischen und finanziellen Unterstützung des Westens. Daran wird sich auch vorerst nichts ändern, selbst wenn in den nächsten sechs Monaten der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft kaum Fortschritte zu erwarten sein dürften.
Bis zum Sommer wollen die EU-Staaten 60.000 ukrainische Soldaten ausgebildet haben, der Ukraine weitere Milliarden an Unterstützung zukommen lassen. Denn aus Brüsseler Sicht geht es erst einmal nicht um den Beitritt, sondern um das Überleben des Landes. In der EU gilt es als ausgeschlossen, dass die Ukraine oder Teile von ihr EU- oder NATO-Mitglied werden könnten, solange der Krieg andauert. Auf Moldau verstärkt Putin ebenfalls den Druck, zettelt Unruhen im Land an.
Auch wenn erst am Ende des Beitritts eine Beistandspflicht aller EU-Staaten Teil der neuen Rechte und Pflichten für die Ukraine ist, werden die Staats- und Regierungschefs an diesem Freitag bereits über eine Sicherheitsgarantie zugunsten der Ukraine beraten. Auch in andere Kooperationen, wie etwa die Energieversorgung, wird das Land bereits als Nicht-Mitglied eingebunden. Zugleich muss sich die EU selbst auch erst noch beitrittsreif machen. Die Strukturen sind nicht auf die aktuelle Größe der EU ausgelegt, erst recht nicht auf die Aufnahme eines Landes, das mit seinen gigantischen landwirtschaftlichen Dimensionen die gemeinsame EU-Agrarpolitik sprengen würde.
Beitrittsdatum ungewiss
Der scheidende EU-Ratspräsident Charles Michel hatte das Jahr 2030 genannt, an dem die Ukraine EU-Mitglied sein könnte, wenn beide Seiten bis dahin ihre Hausaufgaben gemacht hätten. Die anderen Beitrittsprozesse liefern kaum Anhaltspunkte. Kroatien brauchte keine acht Jahre vom Beginn der Verhandlungen bis zum Beitritt. Die Türkei bekam bereits 1963 eine Beitrittsperspektive, erlebte 2005 den Start der offiziellen Verhandlungen, hat aber damit zurechtzukommen, dass wegen des Vorgehens gegen Erdogan-Gegner und der fehlenden Bewegung in der Zypern-Frage die Verhandlungen auf Eis liegen. Ginge es mit der Ukraine so schnell wie mit Kroatien, wäre der Beitritt 2032, wäre die Türkei das Beispiel, wäre der Prozess noch 2043 festgefahren.
Wie schnell sich jedoch die Dinge ändern können, wissen die Deutschen am besten. Die Mauer werde auch in 50 und in 100 Jahren noch stehen, sagte DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker im Januar 1989. Zehn Monate später waren beide Geschichte.
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