Präsident der tibetischen Exilregierung / „Europa füttert den Drachen“: Penpa Tsering spricht über den Umgang mit Russland und China
In Frankreich empfängt ihn der Präsident, in Luxemburg nicht einmal der Außenminister: Der Chef der tibetischen Exilregierung, Penpa Tsering, ist zu Besuch in Luxemburg. Offizielle Regierungstermine gibt es nicht. Zeit für ein Gespräch über Luxemburgs besondere Beziehungen zu China – und was das mit der nächsten Reinkarnation des Dalai Lamas zu tun hat.
Zur Person
Penpa Tsering ist seit 2021 der zweite demokratisch gewählte Präsident der tibetischen Exilregierung, die im indischen Dharamsala residiert. Dort lebt auch der Dalai Lama, das religiöse Oberhaupt der Tibeter, dessen politisches Gegenstück Tsering bildet.
Tageblatt: Herr Tsering, Sie sind gerade auf Europareise. Welche Termine stehen in Luxemburg an?
Penpa Tsering: Luxemburg hat eine sehr kleine tibetische Bevölkerung. Insgesamt acht Leute leben hier. Sie haben uns am Flughafen empfangen, zusammen mit dem Verein „Les Amis du Tibet“. Heute Morgen hatte ich ein Gespräch mit zwei Abgeordneten von den Grünen. Ich bin aber enttäuscht, dass sich der Außenminister nicht mit mir trifft. Geben Sie uns wenigstens die Möglichkeit, zu sagen, was wir zu sagen haben. Hören Sie zu. Wir können niemanden zu Entscheidungen zu zwingen. Aber der Einfluss von China ist zu groß in Luxemburg. Politiker haben Angst, eine Gruppe oder eine Person zu treffen, von der sie denken, dass sie der chinesischen Regierung nicht passt.
In Frankreich hat Sie in diesem Jahr schon Präsident Macron empfangen. Geht Luxemburg mit dem Thema Tibet und China anders um?
Der luxemburgische Außenminister ist der erste europäische Außenminister, der sich nicht mit uns treffen wollte. Es ist eine Enttäuschung. Aber ich hoffe, dass sie ihre Lektion lernen werden. Im Umgang mit China gibt es nichts umsonst. Der einzige gewaltfreie Weg, China in Einklang mit der internationalen Ordnung zu bringen, ist, weniger Geschäfte mit ihnen zu machen. Chinas Verhältnis zu Russland vertieft sich gerade, sie beliefern die Russen mit Dual-Use-Technologie (Technologie, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden kann; Anm. d. Red.). Wenn man mehr Geschäfte mit China macht, finanziert man indirekt den Krieg in der Ukraine. Europäische Staats- und Regierungschefs müssen sich fragen: Wie viel Geld verdienen ihre Wirtschaften durch Handel mit China und wie viel Geld geben sie aus, um die Ukraine zu verteidigen?
Der Krieg in der Ukraine hat bei vielen Europäern zum Umdenken im Hinblick auf wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland geführt. Ähnlich blickt man nun auf China, es ist die Rede von „De-Risking“ in kritischen Bereichen. Reicht das Ihrer Meinung nach aus?
Es braucht sowohl politische Überzeugung als auch das Verständnis der Geschäftswelt, dass sie auf lange Sicht nicht profitieren werden. Wenn man nur an kurzfristige Gewinne denkt, dann wird weiter investiert. Wir sehen aber auch, dass die europäische Geschäftswelt nicht unbedingt zufrieden ist mit China: Die ausländischen Direktinvestitionen in China sind in jüngster Zeit gesunken. Eine echte Entkoppelung, ein „De-Coupling“, ist nicht möglich. Aber die meisten Länder werden wohl dem Vorbild Japans folgen. Die haben sich 2018 einer „China plus one“-Strategie verschrieben: Wenn man eine Industrie in China hat, braucht man dieselbe Industrie im eigenen oder einem dritten Land, damit die Lieferkette nicht gestört wird, wenn etwas mit China passiert. Europa ist erst durch den Ukrainekrieg in der Realität aufgewacht.
Gehört zu dieser Realität auch ein möglicher militärischer Konflikt zwischen Taiwan und China? Wie hängen diese beiden Konflikte zusammen?
Es ist wichtig, dass die Ukraine geschützt und unterstützt wird von der NATO. Ansonsten würde es einen schlechten Präzedenzfall schaffen. China könnte sich ermutigt fühlen, gewisse Risiken einzugehen. Es gibt Potenzial für geopolitische Spannungen: die Beteiligung der USA, Chinas hegemoniale Ansprüche, die auch Konflikte mit den Philippinen schaffen. Diese nähern sich gerade Malaysia und Vietnam an, aufgrund von Chinas kartografischer Aggression in der Region. Wir müssen die gegenseitigen Abhängigkeiten unserer Existenz begreifen. Etwas, was in einem Teil der Welt passiert, hat Einfluss auf den anderen Teil. Manchmal stark, manchmal weniger, aber es hat einen Einfluss. Wenn China Taiwan angreift, wird die Welt nicht stumm bleiben.
Sie wissen, wenn sie den nächsten Dalai Lama in ihre Hände bekommen, dann können sie die tibetische Bevölkerung kontrollieren
Führen diese geopolitischen Spannungen dazu, dass die Situation in Tibet in Vergessenheit gerät?
In den vergangenen Jahren hat die Aufmerksamkeit eher zugenommen. Auch Seine Heiligkeit als Person schafft Interesse. Dieser Tage interessieren sich Journalisten vermehrt für das Alter Seiner Heiligkeit. Er geht auf die 90 zu. Alle wollen wissen, wer ihm nachfolgen wird.
Auch die Kommunistische Partei Chinas will da ein Wörtchen mitreden.
2007 hat China ein Gesetz namens „Order No. 5“ erlassen, das sich auf alle lebendigen Buddhas bezieht, oder wiedergeborene Lamas, wie wir sie nennen. Mit diesem Gesetz will die chinesische Regierung die Kontrolle über die Auswahl und Ernennung der Reinkarnationen des tibetischen Lamas erlangen. Sie wissen, wenn sie den nächsten Dalai Lama in ihre Hände bekommen, dann können sie die tibetische Bevölkerung kontrollieren.
Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Ich sende Nachrichten nach China: Wollt ihr lebenslange Kopfschmerzen? Denn wenn es zwei Dalai Lamas gibt, dann wird das ein lebenslanges Problem. Ich frage sie: Habt ihr nicht genug gelernt aus der Geschichte um den Penchen Lama (eine der höchsten spirituellen Autoritäten nach dem Dalai Lama; Anm. d. Red.)? Zwei Penchen Lama, einer anerkennt von Seiner Heiligkeit, einer ausgewählt von der chinesischen Regierung. Der Junge, den Seine Heiligkeit auserwählt hat, ist verschwunden. Wir wissen nicht, ob er noch lebt oder nicht. 2020 hat die US-Regierung in ihrem „Tibet Policy and Support Act“ das Element der Reinkarnation Seiner Heiligkeit mit aufgenommen. Damit reagiert man per Gesetz auf jeden Versuch der chinesischen Regierung, den nächsten Dalai Lama auszuwählen.
Welche konkrete Unterstützung für die tibetische Sache wünschen Sie sich von Luxemburg?
Wir haben realistische Vorstellungen: Kein Land wird seine nationalen Interessen für die Interessen von Tibet beiseiteschieben. Zuallererst braucht es mehr Bewusstsein. Deshalb war ich auch enttäuscht, dass sich niemand aus dem Außenministerium mit uns treffen wollte. US-Präsident Joe Biden hat diesen Sommer den „Resolve Tibet Act“ unterzeichnet. Darin wird festgehalten, dass die Tibet-Frage ein ungelöster Konflikt ist, der im Einklang mit internationalem Gesetz gelöst werden muss, dass die tibetische Bevölkerung das Recht auf Selbstbestimmung hat und dass die USA das chinesische Narrativ ablehnen, das besagt, dass Tibet seit alters her zu China gehört. Falls die luxemburgische Regierung eine ähnliche Position einnehmen würde, wäre das für uns das beste Ergebnis. Ansonsten könnte man sich wenigstens auf religiöser Ebene für das Recht der Tibeter einsetzen, den nächsten Dalai Lama selbst zu bestimmen. Wir versuchen, eine gewaltfreie Lösung zu finden. Ansonsten wird es noch mehr Kriege geben.
In Luxemburg und vielen anderen Ländern in Europa werden die Militärausgaben aufgestockt. Es scheint nicht die Zeit für gewaltfreie Konfliktlösungen zu sein.
Wenn man sich anschaut, was in Israel und Gaza, in Russland und der Ukraine passiert: Lösen sie dort ein Problem oder schaffen sie neue Probleme für die Zukunft? Gewalt schafft keine dauerhaften Lösungen. Der einzige nachhaltige Weg ist gewaltfrei.
Russland und China werden oft mit Schulhofschlägern verglichen, denen gegenüber man Stärke zeigen muss, sonst geht man unter.
Das stimmt, aber man darf nicht immer nur darauf schauen, was direkt vor einem liegt. Das ist der Grund, warum ich den gewaltlosen Weg vorschlage, weniger Geschäfte mit China zu machen. Europa füttert den Drachen und beschwert sich dann, dass er beißt. Der einzige Weg, mit Russland und China umzugehen, ist, ihnen weniger Geld zu geben. Nur dann hören sie zu. Wirtschaftliche Werkzeuge, nicht Krieg. Das ist das Instrument der freien Welt, gegen Autoritarismus vorzugehen. Ob wir wollen oder nicht, es ist ein Kampf zwischen Ideologien, zwischen Demokratie und Autoritarismus.
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