Sammelband / Europäische Frauen im Widerstand gegen Faschismus und Krieg: Ihre Leben gegen den Faschismus
Im Sammelband „Ihr wisst nicht, wo mein Mut endet – Europäische Frauen im Widerstand gegen Faschismus und Krieg“ von Florence Hervé werden die Biografien von Frauen aus 20 europäischen Ländern vorgestellt. Sie widersetzten sich dem Nationalsozialismus und kämpften unter Einsatz ihres Lebens für die Freiheit.
Als die Nazis Frankreich besetzten, war „Annette“ gerade mal 17. Weil sie die Kollaboration und den Antisemitismus nicht akzeptierte, war sie ab Sommer 1940 im Widerstand aktiv, wirkte im Studium in Paris im Untergrund und ab 1942 in der Kommunistischen Partei PCF, die sie 1956 verließ. Als Kurierin war sie unter dem Decknamen „Odile“ verantwortlich für die Organisation und bewahrte 1942 zwei Kinder jüdisch-polnischer Herkunft vor der Deportation, indem sie sie im Bistro ihrer Eltern versteckte. Eine Tat, für die sie in Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt werden sollte.
Es sind ergreifende Geschichten wie die der Französin Anne Beaumanoir, deren Leben Anne Weber im Roman „Annette, ein Heldinnenepos“ eingefangen hat, die Florence Hervé in ihrem Sammelband vereint: Biografien von rund 80 Frauen aus 20 europäischen Ländern, geschrieben von Wissenschaftlerinnen. „Noch immer sind viel zu viele Widerstandskämpferinnen unsichtbar“, betont Hervé. Alle widersetzten sie sich der Terrorherrschaft des Nationalsozialismus.
Von Desrumaux und Jacobson
Da ist die aus Lille stammende Martha Desrumaux (1897-1982), die schon mit zwölf in einer Textilfabrik zu arbeiten begann, um nach dem Tod ihres Vaters zum Lebensunterhalt der achtköpfigen Familie beizutragen. Mit 13 wurde sie Mitglied der CGT, mit 15 schlossen sie und ihr jüngster Bruder sich den „Jeunesses socialistes“ an. Streikerfahrung machte sie bereits während des Ersten Weltkrieges. 1927 wurde sie als erste Frau ins Zentralkomitee der KP gewählt. Sie gründete die Zeitung „Die Arbeiterin“, um Frauen über ihre Rechte zu informieren. 1936 verhandelte sie als einzige Frau unter den delegierten Arbeitern die Vereinbarungen zwischen Unternehmern, Gewerkschaften und dem Staat aus. Um die schlechte Bezahlung von Arbeiterinnen zu dokumentieren, hatte sie Lohnzettel mitgebracht, die sie vor den Unternehmern ausbreitete. Die Gewerkschaften konnten in der Folge die 40-Stunden-Woche und den bezahlten zweiwöchigen Urlaub durchsetzen.
Als die KP verboten wurde, musste Desrumaux nach Belgien fliehen. Nach der Besetzung Nordfrankreichs durch die deutsche Wehrmacht kehrte sie nach Lille zurück und reorganisierte die KP aus dem Untergrund. Sie war u.a. an der Organisation des legendären Bergarbeiterstreiks im Sommer 1941 beteiligt, dem größten Streik im von Deutschen besetzten Europa. 1942 wurde sie von der Gestapo verhaftet und als eine der ersten Französinnen in das Frauen-KZ Ravensbrück deportiert. Dort war sie „eine wichtige Stütze des internationalen Netzwerkes der Solidarität“. Zusammen mit rund 300 Frauen wurde sie im April 1945 im Austausch gegen deutsche Zivilgefangene befreit. Nach dem Krieg wurde sie als erste Frau Generalsekretärin der CGT in Nordfrankreich.
Die aus Schlesien stammende Edith Jacobson wurde 1936 wegen Hochverrats zu zwei Jahren Haft verurteilt und in Berlin interniert. Die Psychoanalytikerin verfasste während ihrer Haft Lyrik und schrieb psychoanalytische Texte. Ihre „Dichtwut“ (Selbstbezeichnung) war für sie Mittel zur Selbstvergewisserung. Die in eine jüdische Ärztefamilie geborene Jacobson hatte nach ihrem Medizinstudium in der psychiatrischen Abteilung der Charité gearbeitet. Bereits während ihrer Ausbildung referierte sie über sexualpolitische Themen und arbeitete in einer Beratungsstelle für Sexualaufklärung; eine eigene Praxis eröffnete sie 1929 in Berlin.
Da sie die Ehe als „Eingriff des Staates in eine rein private Angelegenheit der Frauen“ ansah, kam eine Heirat nicht in Frage. Ab 1933 führte sie ein „Doppelleben“: Gegenüber der Psychoanalytischen Gesellschaft verrichtete sie ihre Lehrtätigkeit. Gleichzeitig wirkte sie unter Decknamen als zentrales Mitglied am Widerstand der Gruppe „Neu Beginnen“ mit, stellte für Treffen ihre Wohnung zur Verfügung und behandelte Patient*innen, die im Widerstand aktiv waren. Anfang 1938 gelang ihr die Flucht nach New York.
Félicie Mertens
Die aus Mons stammende Félicie Mertens bekam eine Lehrstelle in einem Kürschnerbetrieb in Brüssel. Auf den Zugfahrten dorthin beobachtete sie, wie herablassend die Pendler die Textilarbeiterinnen behandelten. Ende 1933 wurde sie Mitglied der KP Belgiens. Zu der Zeit waren bereits die ersten Antifaschist*innen aus Deutschland geflüchtet, und Félice beteiligte sich an ihrer Unterbringung und Versorgung. Während des Spanischen Bürgerkriegs brachte sie künftige Interbrigaden über die belgisch-französische Grenze. Als sich ihr arbeitsloser Mann 1940 freiwillig zur Arbeitsaufnahme in Deutschland meldete, wollte Félicie nichts mehr mit ihm zu tun haben.
Sie beteiligte sich an der Résistance, insbesondere durch Mitarbeit an einer Untergrundzeitung. 1941 wurde sie festgenommen und nach einer Odyssee durch Haftanstalten im April 1942 ins Frauen-KZ Ravensbrück verschleppt. Die als „sichere Todeskandidatin“ geltende Mertens wurde durch die Aufnahme in die „Klempner-Kolonne“ gerettet. Dank der Solidarität unter den Gefangenen konnten ihre Gedichte und Zeichnungen – bis heute Beweise für die erlittenen Grausamkeiten – aus dem Lager geschmuggelt werden.
Resistenzlerinnen aus Luxemburg
Aus Luxemburg erinnert Kathrin Mess in dem Band an Lily Unden und Madeleine Weis-Bauler. Der Kunst hatte sich die aus Longwy stammende, in Luxemburg nach ihrer Befreiung noch lange Jahre als Kunstlehrerin wirkende Unden verschrieben. Es gelang ihr, sogar im Konzentrationslager weiter zu zeichnen. Während ihrer Arbeitseinsätze in der Schneiderei konnte sie an Papier und Stifte gelangen und nutzte ihre Pausen. Sie verschenkte die kleinformatigen Zeichnungen auch an Mithäftlinge, um ihnen Mut zu machen und sie zum Durchhalten zu ermutigen. Es war sowohl ein „Akt des Widerstandes“ wie eine Dokumentation der verübten Verbrechen. Nach der Besetzung Luxemburgs im Mai 1940 hatte sich Unden geweigert, der Landeskulturkammer beizutreten, deren Mitgliedschaft verpflichtend war. So durfte sie nicht mehr künstlerisch tätig sein und wurde in den Arbeitsdienst gezwungen.
Lily Unden gehörte zu den ersten Frauen in Luxemburg, die sich sowohl mit kleineren Aktionen als auch im Rahmen von Widerstandsorganisationen gegen die deutsche Besetzung einsetzten. Ihre Wohnung war ein zentraler Treffpunkt. Zahlreiche Aktionen wie das Verteilen von Flugblättern und das Verstecken politischer Flüchtlinge in ihrer Wohnung sowie die Unterstützung jüdischer Verfolgter sind nachgewiesen. Nach ihrer Verhaftung kam sie nach Verhören in der Villa Pauly in das Frauengefängnis Luxemburg-Grund. 1943 wurde sie ins Frauen-KZ Ravensbrück verschleppt, im April 1945 vom Roten Kreuz nach Schweden evakuiert. Ende 1945 kehrte sie nach Luxemburg zurück. Sie war Mitbegründerin der „Amicale des femmes concentrationnaires et prisonnières politiques“ und aktiv im „Conseil national de la résistance“ (CNR).
In einer Zeit, in der Politik auf Kosten von Minderheiten en vogue ist und Antisemitismus allerorten wiedererstarkt, ist dieser Sammelband wichtiger denn je
Die Biografien in dem Band sind durchweg beeindruckend. Erwähnt sei noch die Partisanin Rita Rosani, die in den Bergen von Verona kämpfte. Sie wurde als Tochter jüdischer Einwanderer aus Mähren in Triest geboren. Im Zuge der „Rassegesetze“ (1938) wurde ihrer Familie die Staatsbürgerschaft und der Nachname aberkannt. Nach der Besetzung holte sie ihre Eltern in letzter Minute aus Triest heraus und brachte sie aufs Land. Im Februar 1944 schloss sie sich der Partisanenbewegung an. Sie war beteiligt am Aufbau der Banda armata dell’Aquila. Die Einheit verübte Sabotageakte in Valpolicella. Am 17. September 1944 wurde das Versteck der Gruppe bei einer Razzia der Guardia Nazionale Repubblicana (GNR) und der Wehrmacht entdeckt. Rita wurde verwundet und kämpfte bis zuletzt. Auf einer Steintafel am Eingang der Synagoge in Verona erinnert eine Inschrift an sie: „Viele Frauen haben sich tapfer geschlagen, aber du übertriffst sie alle.“
In der Nacht zum 9. November 1938 wurden auf Geheiß der nationalsozialistischen Führungsriege in ganz Deutschland jüdische Läden und Wohnungen geplündert und zerstört, Synagogen in Brand gesetzt und jüdische Menschen ermordet. Der Tag ging als „Reichspogromnacht“ in die Geschichtsbücher ein. In einer Zeit, in der Politik auf Kosten von Minderheiten en vogue ist und Antisemitismus allerorten wiedererstarkt, ist dieser Sammelband wichtiger denn je. Die Biografien dieser Frauen machen Mut. Florence Hervé und die zahlreichen Autorinnen geben den Frauen und ihrem Widerstand ein Gesicht und eine späte Würdigung. Heldinnen wie sie kann es nicht genug geben.
Eine Ausstellung über nach Ravensbrück deportierte Frauen wird ab dem 8. März bis September 2025 im Nationalen Widerstandsmuseum in Esch/Alzette zu sehen sein.
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