Analyse / Europawahlen in Luxemburg: Wie es war, wie es kommen könnte
In Luxemburg dürfte es bei den Europawahlen am Sonntag zu einer leichten Sitzverschiebung zwischen den Parteien kommen. Zu welchen, das liegt in der Hand der Wähler.
Die Europawahlen endeten 2019 in Luxemburg vor allem mit schweren Verlusten für die CSV. Um ganze 16,55 Prozentpunkte waren die Christlich-Sozialen am Ende des Wahltages abgestürzt. Derart große Verluste musste, zumindest bei den Europawahlen, zuvor noch keine Partei in Luxemburg einstecken. Damit verlor die CSV ihren dritten Sitz, den sie bei den Wahlen 2004 erst wieder hinzugewonnen hatte. Ins Parlament gewählt waren Christophe Hansen und Isabel Wiseler-Lima. Hansen übergab jedoch im vergangenen Jahr sein Abgeordnetenmandat in Straßburg an die Drittgewählte auf der CSV-Liste, Martine Kemp, da er seine politische Karriere in der Nationalpolitik weiterführen wollte und daher bei den Chamberwahlen im Oktober antrat. Nach den Wahlen bot Luc Frieden als angehender Premierminister dem Nord-Deputierten den Posten des künftigen luxemburgischen EU-Kommissars an. Sodass sich Christophe Hansen, nach einem kurzen Zwischenspiel auf Krautmarkt, wieder auf eine europäische Karriere fokussiert. Nun tritt er wieder mit den beiden EU-Parlamentarierinnen Isabel Wiseler-Lima und Martine Kemp auf der CSV-Liste an.
Die DP hingegen ging 2019 als klare Gewinnerin aus den Europawahlen hervor: Mit einem Zugewinn von 6,67 Prozentpunkten auf 21,44 Prozent konnten die Liberalen einen zweiten Sitz in der Europäischen Volksvertretung einfahren. Neben dem insgesamt Erstgewählten Charles Goerens, mit 97.445 persönlichen Stimmen, kam Monica Semedo mit 50.890 Stimmen auf den vierten Platz. Die Rechnung der Liberalen, mit der einst beliebten ehemaligen RTL-Moderatorin auf Stimmenfang zu gehen, ging damit auf. Doch die Geschichte nahm kein gutes Ende. Nachdem ihre Mitarbeiter ihr „psychologische Belästigung“ vorgeworfen hatten, sprach EP-Präsident David Sassoli im Januar 2021 Sanktionen gegen die DP-Politikerin aus. Diese fühlte sich von ihrer Partei in dieser Affäre im Stich gelassen, kündigte ihre Mitgliedschaft in der DP, blieb aber in der liberalen Renew-Fraktion im EU-Parlament. Auch nachdem Monica Semedo im April 2023 wegen der gleichen Vorwürfe ihrer parlamentarischen Assistenten sanktioniert wurde. Dieses Mal jedoch klagte die EU-Parlamentarierin gegen die neuerliche Strafmaßnahme vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Monica Semedo tritt nun neben Frank Engel auf der Liste von Fokus an.
Aufblühen in europäischen Gefilden
Eine andere Wahlgewinnerin gab es 2019 mit „déi gréng“. Auch sie konnten zulegen, wenn auch mit 3,9 Prozentpunkten bescheidener, und kamen auf 18,91 Prozent. Ihre Spitzenkandidatin Tilly Metz belegte mit ihren 55.359 Stimmen immerhin den dritten Platz und konnte damit gegenüber der Wahl 2014 ihren Stimmenanteil verdoppeln.
Mit gerade einmal 0,44 Prozentpunkten Zugewinn kam die LSAP bei den letzten Europawahlen gegenüber 2014 kaum vom Fleck. Die 12,19 Prozent des Stimmenanteils reichten allerdings, um einen Sitz in Straßburg zu ergattern. Der ging vorerst an Nicolas Schmit, der mit genau 39.000 Stimmen allerdings nur Zehntgewählter wurde. Schmit hatte nur eine kurze Verweildauer im EP, da er bei den Koalitionsverhandlungen 2018 als Luxemburgs künftiger EU-Kommissar vorgesehen wurde. Nach seinem Wechsel im Herbst 2019 in die Kommission von Ursula von der Leyen folgte ihm mit Marc Angel der Zweitgewählte auf der LSAP-Liste ins EP. Dieser schien damit seine politische Bestimmung gefunden zu haben und blühte in den europäischen Gefilden dermaßen auf, dass er im Januar 2023 zum Vizepräsidenten des EU-Parlaments gewählt wurde.
Leer ging vor fünf Jahren wieder einmal die ADR aus, die zwar um 2,51 Prozentpunkte auf 10,04 Prozent zulegen konnte. Doch es reichte nicht, auch nur einen Restsitz zu ergattern. Dabei hatte der Spitzenkandidat der ADR, Gast Gibéryen, mit 43.092 Stimmen den beachtlichen sechsten Platz belegt. Von den übrigen fünf Parteien, die 2019 ebenfalls an der Wahl teilgenommen hatten, stechen noch die Piraten hervor, die sich von den anderen Parteien etwas absetzen konnten und mit einem Zugewinn von 3,47 Prozentpunkten gegenüber 2014 auf 7,7 Prozent kamen. „déi Lénk“ fiel um 0,93 Prozentpunkte auf nur mehr 4,83 Prozent; die erstmals beteiligte paneuropäische Partei Volt schaffte es auf 2,11 Prozent, die KPL verlor und erreichte nur mehr 1,14 Prozent und die „déi Konservativ“ kamen gerade mal auf 0,53 Prozent.
Mit Sympathieträgern zum Wahlerfolg
Was aber bringt uns der Wahlsonntag, nachdem ein gewohnt unspektakulärer Europa-Wahlkampf dieser Tage sang- und klanglos zu Ende ging? Etwas Aufschluss liefert, allerdings nur in sehr begrenzter Form, der von RTL sowie dem Luxemburger Wort im Mai veröffentlichte „Politmonitor“. Doch auch aus diversen Gesprächen mit den Parteien lässt sich zumindest eine Tendenz erahnen. Alles in allem könnte es zu einer Verschiebung von ein bis zwei Sitzen kommen.
Welche Rückschlüsse sich aus den Ergebnissen des Politmonitors auf den Ausgang der Wahlen ziehen lassen, ist schwer zu sagen. Dass sich jedoch bei der Bewertung der Kandidaten nach Sympathie und Kompetenz gleich drei LSAP-Politikerinnen und -Politiker – Mars Di Bartolomeo, Liz Braz und Marc Angel – unter den ersten sechs befanden, dürfte bei den Sozialisten die Hoffnung erheblich belebt haben, den 2004 verloren gegangenen zweiten Sitz wiederzuerlangen. Die Besetzung der LSAP-Liste mit – neben den beiden Spitzenkandidaten Marc Angel und Danielle Filbig – Mars Di Bartolomeo und Liz Braz, deren Abschneiden zu den parteiübergreifenden Überraschungen der Nationalwahlen vom vergangenen Oktober zählte, deutet denn auch darauf hin, dass die LSAP alles daran setzt, wieder zwei Abgeordnete im Europaparlament zu haben. Denn schließlich müssen sie zeigen, wenn auch im Endeffekt mit einer relativ bescheidenen Wirkung, dass sie alles dafür getan haben, die S&D-Fraktion im Europaparlament zu stärken. Denn das wiederum steigert die Chancen des Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten, den Posten des EU-Kommissionspräsidenten für sich zu reklamieren. Bei dem es sich bekanntlich um den LSAP-Politiker und luxemburgischen EU-Kommissar Nicolas Schmit handelt.
Andere setzen auf bewährte Größen
Die CSV setzt ihrerseits auf ihr bewährtes Dreiergespann Hansen, Wiseler-Lima und Kemp. Dass sie ihren dritten Sitz zurückerobern könnten, wird eher ausgeschlossen. Da vorgesehen ist, dass Christophe Hansen in die EU-Kommission wechselt, dürften Isabel Wiseler-Lima und Martine Kemp spätestens im Herbst die CSV wieder in der EVP-Fraktion vertreten. Es sei denn, es kommt zu Überraschungen. Zum einen, dass in Brüssel im Rahmen der Personalverhandlungen zwischen den großen europäischen Parteien Nicolas Schmit doch noch einen Platz in der künftigen EU-Kommission findet. Immerhin beließ die niederländische Regierung 2019 den Sozialdemokraten Frans Timmermans als Vizepräsident in der Kommission, obwohl dessen Partei der Opposition angehörte. Oder aus dem Wahlresultat geht eine andere Platzierung der Kandidaten hervor, wofür es allerdings derzeit keine Anhaltspunkte gibt.
Einen sicheren Sitz in Straßburg dürfte hingegen Charles Goerens haben. Ob die DP wieder einen zweiten Sitz erhält, dürfte vor allem vom Abschneiden der LSAP abhängen. Mit Monica Semedo hatten die Liberalen 2019 eine wahre Stimmenfängerin aufgeboten. Eine solche Figur fehlt dieses Mal neben Charles Goerens auf der Liste. Zwar ist mit Gusty Graas ein durchaus bekannter Politiker mit von der Partie. Doch belegte der Bettemburger 2019 lediglich den fünften Platz, wenn auch nur knapp hinter der viertgewählten, aber vergleichsweise unbekannteren Anne Daems.
Stärkt die ADR die Rechtspopulisten im EP?
Die Grünen wiederum werden darauf hoffen, dass ihnen bei den Europawahlen nicht das gleiche Debakel bevorsteht wie bei den Nationalwahlen. Mit Tilly Metz, die 2019 doch ein beachtliches Resultat einfuhr, dem über die Parteigrenzen hinweg geschätzten François Bausch und der längst nicht mehr unbekannten Djuna Bernard setzen, wie die LSAP, auch die Grünen auf bekannte Gesichter, um ihre Erfolgschancen zu steigern.
Und die ADR, geht sie wieder leer aus? Befürchtet wird, dass dem dieses Mal nicht so ist und dann auch aus Luxemburg eine Partei die Reihen der „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR) und somit einer der EU eher ablehnend gesinnten Fraktion im EP stärkt. Ob die ADR im europaweiten Trend liegt, der den rechtspopulistischen Parteien Zugewinne prognostiziert, ist jedoch schwer einzuschätzen. 2019 holte Gast Gibéryen die meisten Stimmen für die Partei. Der zweitplatzierte Fernand Kartheiser folgte ihm mit mehr als der Hälfte weniger an Stimmen.
Von den kleineren Parteien dürfte vor allem das Abschneiden von Fokus von Interesse sein. Immerhin holte Parteigründer Frank Engel die in Misskredit geratene Monica Semedo an Bord, womit der Liste neben ihm als ehemaligem EP-Abgeordneten noch eine gegenwärtige Mandatsträgerin angehört. Dass Monica Semedos Strahlkraft nach ihren Affären noch reicht, um in den Wahlurnen eine Wirkung zu erzielen, wird allseits bezweifelt. An Durchhaltewillen jedoch mangelt es ihr nicht.
Nach den Wahlen dürfte sich dann auch die Frage schnell klären, wer von den prominent aufgestellten Kandidatinnen und Kandidaten den Gang nach Straßburg bzw. Brüssel antritt. Oder doch lieber den übersichtlicheren und weniger stressbeladenen heimischen Politikbetrieb bevorzugt.
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