Balkan / Ex-Kriegsgegner Kroatien und Serbien liefern sich bizarren Rüstungswettlauf
Was der eine Nachbar hat, will der andere auch: In Südosteuropa liefern sich die früheren Kriegsgegner Kroatien und Serbien einen ebenso kostspieligen wie bizarren Rüstungswettlauf – ohne erkennbaren Zweck und klares Ziel.
Aus seinen nagenden Neidgefühlen macht Serbiens Chefwaffeneinkäufer keine Mördergrube. Das Himars-Raketenwerfersystem sei „eine fantastische Waffe“, reagierte Serbiens Präsident Aleksandar Vucic Anfang August auf die Kunde des bevorstehenden Kaufs des US-Kriegsgeräts durch die kroatische Armee. Er sei zwar „ein wenig eifersüchtig“: „Aber wir werden uns noch viel mehr beschaffen.“
Kroatien habe „das Recht, sich zu bewaffnen“, versichert Vucic. Doch der 390 Millionen-Dollar-Einkauf der Nachbarn lässt ihn nicht ruhen. „Wir werden etwas Besonderes kaufen, die einzige Waffe, die Himars überlegen ist“, kündigte Serbiens Vormann bei einem Truppenbesuch am Wochenende an: „Wir werden Euch bald darüber informieren.“
Als „Muskelspiel“ bezeichnet das Portal des TV-Senders „Aljazeera Balkans“ in Sarajevo besorgt die waffenrasselnden Shopping-Touren der beiden Nachbarn: Beunruhigend sei vor allem das Ausbleiben von Antworten auf die Frage, wohin das „gefährliche Wettrüsten“ denn führen solle.
Die Modernisierung ihrer Streitkräfte nennen das NATO-Mitglied Kroatien und der russophile EU-Anwärter Serbien als Grund für ihre milliardenschweren Investitionen in gebrauchtes oder neues Kriegsgerät. Doch auffällig ist vor allem der Gleichklang der Rüstungsanstrengungen in Belgrad und Zagreb.
So hat Kroatien mit dem Ankauf des französischen Luftabwehrsystems Mistral, der US-Kampfhubschrauber „Black Hawk“ und französischen Rafale-Kampfjäger in den letzten Jahren vor allem seine Luftwaffe gestärkt. Zudem hat Premier Andrej Plenkovic den Kauf neuer Panzer angekündigt.
Auch Serbien, das im Gegensatz zu den Nachbarn auch auf starke heimische Rüstungsschmieden bauen kann, geht fleißig auf Einkaufstour. Bereits die 2016 mit Moskau vereinbarte „Schenkung“ von sechs ausrangierten MIG-29-Kampfjägern, die 2017 zerlegt in Einzelteilen in Kisten angeliefert wurden, lösten in der Region nicht nur höhnische Kommentare, sondern auch Stirnrunzeln aus. Fabrikneu erwarb Belgrad 2020 das chinesische Raketenabwehrsystem FK-300 mit einer Reichweite von 100 Kilometern.
Beide wollen Wehrpflicht wieder einführen
Allein für den 2023 mit Paris vereinbarten Ankauf von zwölf gebrauchten Rafale-Jägern blätterte Zagreb eine Milliarde Euro auf den Tisch. Belgrad zog nach – und ließ sich nicht lumpen: Für den mit Präsident Emmanuel Macron im August vereinbarten Kauf von zwölf fabrikneuen Rafale-Kampfflugzeugen hat Serbien stolze 2,7 Milliarden Euro zu berappen.
Im Gleichschritt marschieren Belgrad und Zagreb auch bei der geplanten Wiedereinführung der Wehrpflicht – auch wenn deren Kosten deutlich höher als der militärische Nutzen scheinen.
Erst kündigte Kroatiens Verteidigungsminister Ivan Anusic im August die Einführung einer zweimonatigen Wehrpflicht zum 1. Januar an – mit Verweis auf den Ukraine-Krieg und Spannungen in der Region. Mitte September zog Serbiens Präsident mit der Ankündigung eines 75-tägigen Militärdienstes im Laufe des nächsten Jahres nach. Serbien benötige eine „starke Armee“, so Vucic. Es sei „nicht unser Wunsch, irgendjemanden anzugreifen. Aber unser Wunsch ist es, all jene abzuschrecken, die uns Tag für Tag bedrohen.“
Wo er die Bedrohung für sein Land wittert, erläuterte Vucic genauso wenig wie die Frage, wo denn das von Belgrad erworbene Kriegsgerät zum Einsatz kommen könnte. Sechs von acht Nachbarstaaten Serbiens sind mittlerweile Mitglieder der NATO, in der seit 2008 unabhängigen Ex-Provinz Kosovo, aber auch in Bosnien überwiegend von NATO-Partnern gestellte Schutztruppen stationiert.
Weder Personal noch Feuerkraft reichen
Zwar pflegt Belgrad bei Spannungen mit Pristina demonstrativ Truppen an der Kosovo-Grenze aufmarschieren zu lassen. Doch auch wenn sich vor Jahresfrist vermutlich von Belgrad unterstützte Milizionäre in Nordkosovo stundenlang eine blutige Schießerei mit der Polizei lieferten, ist eine Wiederholung des Kosovo-Kriegs von 1999 kaum zu befürchten. Zu mehr als etwas Waffenrasseln scheint Belgrad kaum mehr in der Lage: Trotz aller Aufrüstung verfügt Serbiens Armee weder über das Personal noch über die Feuerkraft, um erneut einen Waffengang gegen die NATO zu wagen.
Zumindest Kroatien pflegt seine Aufrüstungsanstrengungen auch mit NATO-Vorgaben zur Erhöhung der Militärausgaben zu begründen. Gezielt geschürtes Misstrauen und vermehrte Waffenkäufe mindern allerdings keineswegs die Spannungen in der Region, im Gegenteil: Düster und fast täglich zeichnet vor allem Serbiens regierungsnahe Boulevardpresse die Gefahr neuer Kriege.
Dabei wären auch für Serben und Kroaten eine gute Nachbarschaft eine bessere Sicherheitsgarantie als teures Kriegsgerät. Doch es sind nicht nur Misstrauen, sorgfältig gehegte Animositäten und eher irrationale Rivalitätsgefühle, die die Nachbarn ihre Verteidigungsbudgets aufpumpen lassen.
Fast drei Jahrzehnte nach Ende des Kroatienkriegs (1991-1995) können beide Regierungen mit ihrem bilateralen Rüstungswettlauf zumindest bei nationalistisch gesinnten Wählern noch immer punkten. Stets wenn das Rating der regierenden SNS am Fallen sei, wärme Belgrad das Thema der Wehrpflicht auf, konstatiert in Serbien die regierungskritische Zeitung Danas: „Vucic vertuscht mit der Armee seine Misserfolge.“
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