Eurozone / EZB-Chefvolkswirt sieht weniger Gründe für erneuten Mammut-Zinsschritt
Die Europäische Zentralbank (EZB) sieht laut ihrem Chefvolkswirt Philip Lane immer weniger Argumente für eine erneute Jumbo-Zinserhöhung auf der kommenden Dezember-Zinssitzung. Die Zeit für eine Pause sei aber noch nicht gekommen.
„Eine Plattform für die Erwägung einer sehr starken Anhebung, wie etwa 75 Basispunkte, ist nicht mehr vorhanden“, sagte der oberste Ökonom der Europäischen Zentralbank (EZB) in einem am Montag veröffentlichten Interview mit Market News. Ein Niveau von 1,5 Prozent beim Einlagensatz sei zwar immer noch weit von dem Niveau entfernt, was nötig sei. Je mehr aber zusammengefasst bereits unternommen worden sei, umso mehr änderten sich die Vor- und Nachteile jeder einzelnen Erhöhung.
Die EZB hatte im Juli im Kampf gegen die hohe Inflation die Zinswende eingeleitet. Innerhalb weniger Monate hat sie die Schlüsselzinsen bereits dreimal angehoben um zusammen 2,0 Prozentpunkte. Im September und Oktober hatte sie die Sätze sogar um jeweils besonders kräftige 0,75 Prozentpunkte nach oben gesetzt. Der Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank bekommen und der aktuell am Finanzmarkt als der maßgebliche Zinssatz gilt, liegt damit aktuell bei 1,5 Prozent. Die nächste EZB-Zinssitzung ist am 15. Dezember. Die EZB strebt zwei Prozent Inflation für den Währungsraum an. Doch davon ist sie weit entfernt. Im Oktober lag die Teuerung mit 10,6 Prozent mehr als fünfmal so hoch.
Die Währungshüter würden im Dezember die Inflationsaussichten, wie sie zu dem Zeitpunkt bestünden, in ihre Entscheidung einfließen lassen, sagte Lane. Die EZB werde dann auch die bereits erfolgten Schritte berücksichtigen und die Zeitabstände, die es brauche, bis die Maßnahmen in der Wirtschaft wirken. Zum konkreten Zinsniveau, das im Dezember voraussichtlich beschlossen wird, äußerte sich der Chefvolkswirt nicht. „Aber je mehr wir bereits getan haben, desto weniger müssen wir noch tun“, merkte er an.
Auch Abbau der Anleihenbestände im Blick
Im Dezember wird es Lane zufolge nicht den letzten Zinsschritt der EZB geben. Es sei gegenwärtig aber noch zu früh, bezüglich Februar, März, Mai oder Juni 2023 sehr starke Ansichten zu haben. Die EZB sei noch nicht an dem Punkt einer Pause angelangt. Wichtiger als die Frage, ob eine Pause eingelegt werden solle, sei es, ob zu gegebener Zeit zu kleineren Schritten übergegangen werden solle.
Zu einem möglichen Start des Abschmelzungsprozesses der billionenschweren Anleihenbestände erläuterte der Ökonom, erst müssten vernünftige Fortschritte bei den Zinserhöhungen gemacht werden, bevor mit den Planungen dafür begonnen werde. „Und bis Dezember werden wir einen vernünftigen Fortschritt erzielt haben“, sagte Lane. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte bereits in Aussicht gestellt, dass im Dezember wichtige Grundsätze einer Reduzierung der Bondbestände beschlossen werden sollen. Dabei hat die EZB zunächst die Bestände aus dem älteren Kaufprogramm APP im Blick. Der deutsche Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hatte sich dafür ausgesprochen, mit dem Abschmelzen der Anleihenbestände Anfang nächsten Jahres zu beginnen.
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